Verfassungsgericht Polen fürchtet den Bruch mit der EU – und zögert Gerichtsentscheidung hinaus

Die Justizreform in Polen hat auch die Bevölkerung dort gespalten.
Wien Polen schreckt offenbar davor zurück, den Verfassungskonflikt mit der EU vollends eskalieren zu lassen. Am Mittwoch hat das beschränkt unabhängige Verfassungsgericht des Landes erneut eine Anhörung durchgeführt, ob europäisches über nationalem Recht stehe. Viele Beobachter hatten erwartet, dass das Gericht endlich darüber entscheidet. Schließlich hatte es die Entscheidung schon mehrfach hinausgeschoben.
Aber auch am Mittwoch konnte sich das Verfassungsgericht, das von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zumindest als teilweise abhängig gilt, nicht zu einem Beschluss durchringen. Vielmehr hat es den Fall auf den 30. September verschoben.
Die Regierung Polens fürchtet offenbar die harten Strafen der EU, wenn sie das Recht des Staatenverbundes künftig nach eigenem Gutdünken anwenden würde. Für Polen steht wirtschaftlich viel auf dem Spiel, wie etwa das Geld aus dem Corona-Aufbaufonds der EU.
Die Programme einiger Länder hat die Kommission bereits bewilligt. Andere unterzieht sie einer genaueren Prüfung, wie etwa Polens Plan. Man schaue sich an, ob EU-Recht Vorrang habe und welche Auswirkungen das auf den polnischen Aufbauplan hat, sagte etwa der zuständige EU-Handelskommissar Valdis Dombrovski erst vor wenigen Tagen.
Mit dem Geld aus Brüssel will die Regierung ein ehrgeiziges Wirtschaftsprogramm finanzieren, für das sie seit Monaten die Werbetrommel rührt. Die „Polnische Ordnung“ (Polski Lad) soll aus Polen eine Mittelstandsgesellschaft machen, wie es sie laut den Vorstellungen der PiS in Westeuropa gibt.
Justizreform belastet Verhältnis zur EU
Geplant ist etwa, die Steuerfreigrenze anzuheben, aber auch eine stärkere Progression des Steuersystems. Mehr Geld soll auch in das dürftig finanzierte Gesundheitswesen fließen. Das Wirtschaftsprogramm darf aus Sicht der PiS nicht scheitern, weil es ein Prestigeprojekt ist und der Partei in zwei Jahren zu einem neuen Wahlsieg verhelfen soll.
Umso ungeschickter ist es, sich mit der EU in einer Dauerfehde zu verheddern. Der Verfassungskonflikt mit der EU hat seine Wurzeln im Jahr 2015. Damals gewann die PiS die Wahlen. Kaum hatte sie die Regierung übernommen, machte sie sich an den Umbau des Justizwesens.
Die Federführung dabei hat Justizminister Zbigniew Ziobro. Er ist ein Vertreter der erzkonservativen Partei „Solidarisches Polen“, dem Koalitionspartner von PiS. In den vergangenen Jahren hat die Regierung die Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts stark eingeschränkt. Seit Anfang 2017 präsidiert eine von der Regierung eingesetzte Richterin dieses Justizorgan.
Am obersten Gericht wurde zudem eine Disziplinarkammer eingerichtet. An dieses Gremium können sich unter anderem Richter wenden, die nicht damit einverstanden sind, dass sie – infolge einer von der Regierung verordneten Senkung des Pensionsalters – in den Ruhestand geschickt werden.
Polen streitet mit EU auch über Braunkohle
Mit solchen und weiteren Aktionen geriet Polen mit der EU auf Kollisionskurs. Die Kommission bezweifelt, dass die polnische Justiz von der Regierung noch völlig unabhängig agiert. Vollends eskalierte der Konflikt, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) verfügte, dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit einstellen müsse. Die Kammer sei von der Regierung abhängig und verstoße somit gegen EU-Recht, entschieden die Richter in Luxemburg.
Polen trägt mit der EU derzeit aber nicht nur einen Verfassungskonflikt aus. Im Streit liegt das Land mit dem Staatenverbund auch wegen des Braunkohleabbaus im Dreiländereck zu Tschechien und Deutschland.
Tschechien hat gegen den Tagebau und die Verstromung der Kohle beim EuGH Beschwerde eingelegt. Das Land beanstandet, dass sich die Förderung der Kohle negativ auf die Umwelt auswirkt. Der EuGH hat dazu eine Verfügung erlassen, Polen setzt sich aber darüber hinweg. Falls das Land den Tagebau nicht stoppt, bevor ein endgültiges Urteil vorliegt, verliert es pro Tag 500.000 Euro Fördergelder aus Brüssel.
Auch in diesem Streit kochen die Emotionen hoch. Wie im Verfassungskonflikt versuchen gewisse PiS-Politiker den Eindruck zu erwecken, Polen würde von EU-Richtern in einer Art Knechtschaft gehalten.
Mehr: Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit – Dreht die EU Ungarn und Polen den Geldhahn zu?
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