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Verhältnis EU-USA Trotz U-Boot-Streit: Transatlantische Tech-Allianz kann starten

Die USA und die EU wollen ihre ramponierten Beziehungen reparieren und eine Tech-Partnerschaft schließen. Das Ziel: Chinas Streben nach Technologieführerschaft entgegenzuwirken.
23.09.2021 Update: 24.09.2021 - 02:08 Uhr Kommentieren
Ein Telefonat zwischen dem US-Präsidenten und seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron hatte die Wogen wieder etwas geglättet. Quelle: Reuters
Joe Biden

Ein Telefonat zwischen dem US-Präsidenten und seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron hatte die Wogen wieder etwas geglättet.

(Foto: Reuters)

Brüssel Nun also doch: Der transatlantische Wirtschaftsgipfel in Pittsburgh kann stattfinden. In den vergangenen Tagen wurde in Brüssel heftig darüber gestritten, das für den 29. September geplante Treffen zu verschieben. 

Die französische Regierung verlangte die Vertagung aus Wut darüber, dass die US-Regierung die neue pazifische Sicherheitsallianz Aukus hinter ihrem Rücken eingefädelt und Frankreich bei einem lukrativen U-Boot-Deal mit Australien ausgestochen hatte. Der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton sprach sich dafür aus, das transatlantische Verhältnis „zu pausieren und neu zu starten“.

Doch mit dieser Haltung trafen die Franzosen in der EU auf Widerstand. Etliche Mitgliedsstaaten wollten an dem Termin festhalten. Auch innerhalb der Kommission gab es, bei allem Verständnis für die Verärgerung der Franzosen, gewichtige Stimmen, die davon abrieten, das Auftakttreffen des „EU-US Trade and Technology Council (TTC)“ zum Spielball in einem geopolitischen Konflikt zwischen den USA und Frankreich zu machen. Schließlich geht der TTC auf einen europäischen Vorschlag zurück.

Ein Telefonat zwischen US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron trug dazu bei, den Konflikt zu entschärfen. Außerdem verabredeten Biden und Macron, sich Ende Oktober in Europa treffen zu wollen.

US-Außenminister Antony Blinken sagte: „Ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsamen Interessen so stark sind, dass die Werte, die wir teilen, so unerschütterlich sind, dass wir weitermachen und gute Arbeit leisten werden“. Er sei persönlich mit Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian befreundet und schätze ihn sehr, so Blinken. „Wir sind uns darüber im Klaren, dass dies Zeit und harte Arbeit erfordert und nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten unter Beweis gestellt werden muss“, sagte Blinken über die künftigen Gespräche mit Paris.

Le Drian erklärte ebenfalls, es werde „Zeit und Maßnahmen“ brauchen, um das Vertrauen in die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder herzustellen. Le Drian sagte in einer Erklärung, dass er mit Blinken über die Bedingungen und Kernpunkte gesprochen hat, die die Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens sind. Am Donnerstagabend fiel dann die Entscheidung, eine EU-Sprecherin konnte auf Twitter vermelden: „Die Kommission bestätigt, dass der Trade and Technologie Council in Pittsburgh kommende Woche stattfindet.“ 

Bei dem Treffen wollen die USA und die EU eine Technologie-Allianz vereinbaren, deren Ziel es ist, Standards für Künstliche Intelligenz und die Datennetze der Zukunft zu prägen und zu verhindern, dass High-Tech von autoritären Regimen für Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Es gehe darum, „transatlantischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer Werte“ zu vertiefen, heißt es in der Abschlusserklärung, die dem Handelsblatt vorliegt.

Das Dokument zeigt, dass die EU ihre Agenda weitgehend durchsetzen konnte. Von zentraler Bedeutung sind Absprachen bei Exportkontrollen. „Wir haben gemeinsame Grundsätze und Bereiche für die Zusammenarbeit bei der Ausfuhrkontrolle festgelegt“, heißt es in der Erklärung. 

Sorge um deutsche Autoindustrie

Damit kommen die USA der EU in einem wichtigen Punkt entgegen. Nach den Erfahrungen der Trump-Präsidentschaft befürchten die Europäer, dass die USA die Lieferung bestimmter kritischer Bauteile, vor allem Mikroprozessoren, an China unterbinden – und damit auch Geschäfte von EU-Firmen treffen könnten, die auf diese Komponenten angewiesen sind. Die Bundesregierung treibt insbesondere die Sorge über die deutsche Autoindustrie um, die sich stark auf den chinesischen Markt ausgerichtet hat. 

„Wo Exportkontrollen für Halbleiter benötig werden, sind wir uns einig, dass sie in koordinierter Weise konzipiert und umgesetzt werden müssen, wobei die Auswirkungen auf die Industrie und die Forschungseinrichtungen der jeweils anderen Seite sowie außenpolitische Ziele so weit wie möglich zu berücksichtigen sind“, versichern sich die EU und die USA nun.

Die von Ex-Präsident Donald Trump geschürten Handelskonflikte klammert die Abschlusserklärung hingegen weitgehend aus. Der Streit über die US-Zölle auf Stahl und Aluminium wird in Pittsburgh damit nicht gelöst werden. Doch dass den Amerikanern die Gespräche mit den Europäern wichtig sind, zeigt sich daran, wie hochrangig sie ihre Gäste aus Brüssel empfangen wollen. 

Die US-Delegation für den TTC sollen Außenminister Antony Blinken, Wirtschaftsministerin Gina Raimondo und die Handelsbeauftragte der US-Regierung, Katherine Tai, leiten. Die EU will die stellvertretende Kommissionspräsidentin Margrethe Vestager und ihren Amtskollegen Valdis Dombrovskis nach Pittsburgh schicken.

Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, warnte zuletzt vor europäischen Kurzschlussreaktionen. „Dieser Rat ist fundamental wichtig, um handelspolitisch und in den entscheidenden Zukunftstechnologien zu einer gemeinsamen transatlantischen Politik gegenüber China zu gelangen“, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. „Die USA wollen mit uns zusammenarbeiten, aber sie werden nicht auf uns warten.“ 

Tatsächlich trifft US-Präsident Joe Biden schon am Freitag auf die Spitzen von Australien, Indien und Japan. Auch bei diesem Gipfel wird es darum gehen, in Technologiefragen und bei Lieferketten gemeinsame Standards festzulegen. Die EU muss aufpassen, sich nicht selbst ins Abseits zu manövrieren. Auch SPD-Außenpolitiker Christoph Matschie mahnte daher: „Technologische Souveränität können wir nur mit Partnern verwirklichen, die Kooperation mit den USA ist enorm wichtig.“

„Risikobasierte“ Regulierung von KI

Wie stark die Beratungen europäischen Vorstellungen entsprechen, verdeutlichen die Passagen der Abschlusserklärung, die sich mit KI befassen. Gemeinsam sprechen sich die EU und die USA für eine „risikobasierte“ Regulierung von KI aus – damit schließen sich die Amerikaner dem europäischen Ansatz an. Dieser sieht strenge Auflagen für oder gar ein Verbot von KI-Anwendungen vor, die mit der Menschenwürde unvereinbar sind.

In der Erklärung heißt es: „KI-Technologien können dazu beitragen, viele wichtige Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir stehen, und unsere Lebensqualität verbessern.“ Und weiter: „Die EU und die USA erkennen an, dass KI-Technologien auch mit Risiken verbunden sind, wenn sie nicht auf verantwortungsvolle Weise im Einklang mit den Menschenrechten und unseren gemeinsamen Werten entwickelt, eingesetzt und genutzt werden.“ Die EU und die USA bekräftigen daher ihre „Bereitschaft und Absicht, vertrauenswürdige und verantwortungsvolle KI zu entwickeln und einzusetzen“. 

Bei der Frage nach der Regulierung von Plattformen wie Google und Facebook können sich die ersten Verhandlungsergebnisse aus europäischer Sicht ebenfalls sehen lassen. Geplant ist, eine „Diskussion über wirksame Regulierungsmaßnahmen zu führen, um die wirtschaftliche Macht der größten Onlineplattformen zu bekämpfen“ und einen „wirksamen Wettbewerb“ zu gewährleisten. Auch die Gefahr von Desinformationen und Onlinehass, die von den Algorithmen der Konzerne verstärkt wird, hebt die Erklärung hervor.

Corona zeigt fragile Lieferketten auf

Konkret wollen die EU und die USA zehn Arbeitsgruppen einzusetzen. Besonders wichtig ist für beide Seiten, die Abhängigkeit von asiatischen Chipherstellern zu verringern. Die modernsten Chips werden zwar in den USA und teils auch in Europa entwickelt, aber produziert werden sie in Asien. Die Pandemie hat sowohl Washington als auch Brüssel gezeigt, wie fragil die Lieferketten aus Übersee sind.

Obwohl die Erklärung China nicht erwähnt, wird deutlich, dass sich der transatlantische Rat gegen die Volksrepublik richtet. China ist eine High-Tech-Diktatur und strebt die globale Führerschaft in Schlüsseltechnologien. Eine Arbeitsgruppe soll sich damit beschäftigen, den „Missbrauch von Technologie zur Bedrohung von Sicherheit und Menschenrechten zu verhindern“. 

Zugleich wendet sich die Erklärung gegen „besorgniserregende marktfremde Praktiken“. Gemeint sind der erzwungene Transfer von Technologie, „der staatlich geförderte Diebstahl geistigen Eigentums“ und „marktverzerrende Industriesubventionen, einschließlich der Unterstützung von Staatskonzernen“.

Diese Formulierungen zielen eindeutig auf das staatskapitalistische China. Eine besonders konfrontative Wortwahl vermeidet das Papier jedoch – und liegt damit auf der Linie der EU, die unfaire Handelspraktiken der Chinesen anprangern will, ohne in die Rhetorik eines kalten Kriegs zu verfallen.

USA und EU wollen Technologiestandards prägen

In den vergangenen Jahren fühlten sich die Europäer von den Amerikanern immer wieder überrumpelt. Das wurde etwa in der Debatte über den Echtzeitmobilfunk 5G deutlich, als Washington barsch den Ausschluss des chinesischen Netzausrüsters Huawei verlangte. Künftig wollen sich beide Seiten besser abstimmen und die „Zusammenarbeit bei Forschung und Innovation“ bei 5G und 6G verstärken. 

Bei Zukunftstechnologien geloben Amerikaner und Europäer mit vereinten Kräften, Technologiestandards zu prägen – und damit die Ambition der Chinesen zu durchkreuzen, autoritäre Wertvorstellungen zu verbreiten: Man wolle „gemeinsame Interessen und demokratische Werte bei internationalen Normungsaktivitäten für kritische und neu entstehende Technologien verteidigen“. Dafür sind gegenseitige Konsultationen vorgesehen. 

Ein Weckruf für beide Seiten war zuletzt der Versuch Chinas, bei der Internationalen Fernmeldeunion ein neues Internetprotokoll durchzusetzen, das staatliche Kontroll- und Zensurmöglichkeiten stark ausgeweitet hätte. Das Vorhaben scheiterte, zeigte aber, wie strategisch die Chinesen vorgehen.

Tyson Barker, Technologieexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bilanziert: „Die Europäer haben bekommen, was sie wollten.“ 

Mehr: Wirtschaftskrieg des 21. Jahrhunderts: Wie China den deutschen DIN-Standard verdrängt

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