Der Politikberater Alexander Rahr gilt als Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums, das Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Weißrussland und Zentralasien, als einer der wichtigsten deutschen Russlandkenner und Experten für Osteuropa. In seinem neuesten Buch widmet sich der Träger des Bundesverdienstkreuzes den deutsch-russischen Beziehungen und untersucht dabei auch Fragen nach der deutschen Abhängigkeit von russischen Rohstoffen, die lukrativen Chancen, die der russische Markt bietet, sowie die Entwicklung der Moskauer Machtverhältnisse im Hinblick auf die kommenden Präsidentschaftswahlen 2012.
Die Wirtschaft nahm in den deutsch-russischen Beziehungen von Beginn an eine führende Rolle ein. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert waren deutsche Unternehmen mit teils beträchtlichen Investitionen in Russland und Osteuropa engagiert. Nach dem Ersten Weltkrieg erkannte Deutschland 1922 als erstes Land in Europa die Sowjetunion durch den Rapallo-Vertrag an und nahm erneut umfangreiche Handelsbeziehungen mit Moskau auf, die jedoch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein jähes Ende fanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die deutsche Wirtschaft - zum Teil gegen den Widerstand des transatlantischen Bündnisses und der deutschen Politik - die Handelskooperation erneut auf und setzte sich aktiv für eine Lockerung des mit dem „Battle Act“ nach dem Korea-Krieg in den USA verabschiedeten Handelsembargos gegen den Ostblock ein.
Wer dachte, dass sich der Staat nach dem Ende des Kommunismus dauerhaft aus der Privatwirtschaft zurückzieht, der irrte: Zwar schrumpfte der Anteil bis zum Jahr 2004 auf 25 Prozent, doch inzwischen liegt er wieder bei rund 50 Prozent.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde in Russland alles aus dem Westen importiert. Und zwar nicht nur die politische Kultur, sondern auch das kapitalistische Wertesystem, die Technologie, die Luxuswaren.
Der russische Markt ist für die deutschen Autobauer sehr interessant, hat aber auch Tücken. VW ist mit einem eigenen Produktionswerk in Kaluga seit Jahren dabei. Allerdings verhindert der russische Staat, dass die Autobauer unbegrenzt Zulieferteile aus Deutschland beziehen. Also entweder kauft man sie russischen Produzenten ab, oder die deutschen Zulieferer produzieren auch in Russland.
Die Russen geben rund 60 Prozent ihres Einkommens für den Konsum aus - deutlich mehr als der Deutsche im Durchschnitt. Metro setzt daher auf den Markt. Rund 100 Einkaufshäuser hat der Düsseldorfer Dax-Konzern bereits eröffnet.
Die Metro hat vier Thesen aufgestellt für das Geschäft in Russland: Die Möglichkeiten auf dem Markt sind noch längst nicht erschöpft. Russland ist besser als sein Ruf. Russland kann viel mehr. Und: Die Tranformation wird länger dauern.
Auch Siemens ist in Russland sehr aktiv. Die gemeinsame Eisenbahnfabrik mit Simara ist dabei weit weniger ein Aufreger als die Verbindung mit Rosatom. Zwar arbeiten die beiden Unternehmen bei Chemieprodukten noch zusammen, aber das heiß diskutierte Atomgeschäft hat Siemens abgehakt.
Die Korruption bleibt in der Wirtschaftsstruktur Russlands eine feste Säule. Beamte bessern so gern ihr Gehalt auf. Das ist für ausländische Investoren, sprich auch für deutsche Firmen, ein erhebliches Problem. Ein Werk mit ehrlichen Mitteln auf der grünen Wiese zu errichten, ist ein praktisch unmögliches Unterfangen. Da braucht es russische Partner.
Natürlich geht es auch anders herum: Gazprom ist seit langem in Deutschland aktiv - und baut seine Beteiligungen weiter aus. Derzeit verhandelt der Energieriese mit RWE über eine Kooperation.
Als es Opel richtig schlecht ging, wäre der Konzern beinahe nach Russland verkauft worden. Doch GM untersagte den Deal in letzter Sekunde, nicht zuletzt weil auch die deutsche Regierung verhindern wollte, dass Spitzentechnologie Made in Germany nach Russland verkauft wurde. Auch der Einstieg von Sistema bei Infineon kam nicht zustande.
Russland bietet den Staaten in der EU vor allem das, was für das Funktionieren einer Wirtschaft am wichtigsten ist: Energie. 40 Prozent des importiertes Erdgases und 30 Prozent des europäischen Ölbedarfs stammen aus Russland.
Und in Zukunft wird Europa immer abhängiger werden vom russischen Erdgas. Bis 2030 könnten die Importe von 60 Prozent auf 80 bis 90 Prozent steigen. Deutschland braucht Russland dabei besonders. Doch das birgt natürlich Gefahren ...
2006 schockte Russland den Westen. Nach einem Streit mit der Ukraine kam plötzlich kein Gas mehr in Mitteleuropa an, das Land drehte den Hahn zu. Doch inzwischen ist die Nord-Stream-Pipeline eröffnet. Nun kann russisches Gas also nach Europa geleitet werden, ohne dass es Drittländer durchqueren muss.
Was passiert, wenn China im Falle eines Konflikt den Export von Seltenen Erden einstellt? Dann bleibt in Europa nur noch Russland als Lieferant übrig. Das versetzt das Land in eine komfortable Situation.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion verließen Hunderttausende Russen das Land. Die greifen gern auf Produkte aus ihrer Heimat zurück. Deutsche Supermarktketten haben sich daran orientiert und profitieren davon. Trotz nennenswerter Probleme mit der Integration profitiert auch der deutsche Arbeitsmarkt von den Imigranten.
Laut einer Studie von Goldman Sachs wird Russland 2030 die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt sein. Nicht zuletzt profitiert das Land auch vom Klimawandel. Doch bis dahin muss Russland die Einnahmen aus den zur neige gehenden fossilen Brennstoffen nutzen, um seine Wirtschaft zu modernisieren. 80 Milliarden US-Dollar wurden bisher allein in der ersten Phase ausgegeben, doch der Erfolg ist eher mau.
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