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Wahlen in JapanDas Phänomen Shinzo Abe
Einst als Versager aus dem Amt geflohen, zementiert Japans Regierungschef Shinzo Abe seine Macht. Bei den Oberhauswahlen könnte er die Mehrheit bekommen, um die erste Revision der Nachkriegsverfassung anzuschieben.
Japans Oberhaupt ist seit 2006 beziehungsweise seit 2012 an der Macht. Jetzt stehen erneut die Oberhauswahlen an.
(Foto: AP)
Tokio Verkehrte Welt: Früher tauschte Japan seine Regierungschefs im Jahrestakt aus. Doch während nun in Europa und den USA politische Verunsicherung herrscht, wirkt Japan vor der Oberhauswahl am Sonntag wie der letzte Hort politischer Stabilität. Und verantwortlich dafür ist ausgerechnet Regierungschef Shinzo Abe, der 2007 in seiner ersten Amtszeit nach nur 366 Tagen aus dem Amt floh.
Nichts scheint ihm Schaden zu können. Nach seinem Wahlsieg im Dezember 2012 hatte Abe öffentlichkeitswirksam die Abenomics versprochen. Mit drei Pfeilen - Konjunkturprogrammen, einer Geldschwemme der Notenbank und Reformen- wollte er Inflation und Wachstum erzwingen, den Yen-Kurs nach unten und die Firmengewinne wie Aktienkurse nach oben treiben. Doch der dreijährige Boom ist inzwischen verpufft.
Der Yen ist wieder so hart wie bei Abes Amtsantritt und die Aktienkurse sinken, weil alle Welt in Japans vermeintlich sichere Währung Yen flieht. Derzeit liegt der Nikkei-Index gerade einmal bei 15276 Yen. Das ist zwar noch mehr als bei seinem Amtsantritt Ende 2012, aber bereits ein Viertel weniger als vor einem Jahr.
Zudem steigt die Staatsverschuldung weiter auf bald 250 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dennoch fliegen ihm die Stimmen der Unternehmer zu und er dürfte mit den Oberhauswahlen vom Wochenende seine Stellung noch weiter stärken. Bei einer Probeabstimmung während eines Unternehmertreffens im altehrwürdigen Industrieclub hätten vier Fünftel der Anwesenden für Abe gestimmt, erzählt Jin Shiomura, Gründer des Biopharma-Ventures Nobelpharma. „Auch ich habe für ihn die Hand gehoben.“
So sehr immer mehr Volkswirte, die Opposition und Medien die Abenomics für gescheitert erklären, so dankbar sind die Firmen für die Rekordgewinne der vergangenen Jahre. Die Arbeitslosigkeit läge bei 3,2 Prozent, einem Rekordtief, so Shiomura. Und dass der Yen steige, sei doch nicht Abes Schuld. Die Abenomics seien noch nicht vorbei. Dann nennt er den vielleicht stärksten Faktor des Phänomens: „Abe und seine Partei sind besser als alle anderen Parteien.“
Der Chef der Demokratischen Partei, DPJ, Katsuya Okada bemüht sich zwar redlich, die wichtigste Oppositionspartei wieder zu einer wählbaren Alternativen zu machen. Doch selbst ehemalige Stammwähler tragen ihr bis heute nach, während ihrer Regierungsjahre 2009 bis 2012 die Reformenhoffnungen enttäuscht zu haben. Zudem wird der Partei vorgeworfen, kein klares Gegenprogramm zu Abes Politik zu haben.
Nicht nur in der Wirtschaft scheint Abe daher als alternativlos zu gelten in dieser Wahl des Oberhauses, dessen 242 Sitze alle drei Jahre zur Hälfe neu vergeben werden. Alles andere als eine absolute Mehrheit in der Teilwahl – oder mehr als 61 der 121 am Sonntag zu vergebenden Sitze - für Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) und den kleinen Koalitionspartner, die Neue Gerechtigkeitspartei, wäre für die Meinungsforscher eine Sensation.
Die offene Frage scheint nur noch zu sein, ob die Partner allein oder mit zwei konservativen Splitterparteien 78 Mandate in der Teilwahl und damit eine Zweidrittelmehrheit von 162 Sitzen im Oberhaus erobern werden. Derzeit hat allein die Koalition 135 Sitze, von denen am Sonntag 59 auslaufen.
Obwohl das Oberhaus weniger zu sagen hat als das politisch entscheidende Unterhaus, wäre dieser Machtausbau für Abe ein Meilenstein. Denn dann könnte er den Traum seines Großvaters, des ehemaligen Regierungschefs Nobusuke Kishi, wahrmachen: eine erste Revision der von den US-Besatzern geschriebenen Nachkriegsverfassung.
Besonders den in Japan extrem beliebten Artikel 9 will Abe ändern, der Japans Militär nahezu auf die reine Landesverteidigung einschränkt. Stattdessen möchte Abe Japan ähnlich wie Deutschland das Recht auf kollektive Verteidigung, Friedensmissionen und Kampfeinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen oder internationaler Bündnisse einräumen. Dies würde die US-japanische Allianz in Ostasien massiv stärken. Der Gegner ist klar: China, das seine Gebietsansprüche in Asien mit immer mehr Säbelrasseln unterstreicht.
Verfassungsänderungen müssen allerdings sowohl von der unteren wie auch der oberen Kammer des Parlaments mit zwei Dritteln der Stimmen verabschiedet werden, bevor ein entscheidendes Referendum folgen kann. Doch bisher verfügt Abe nur im Unterhaus über das notwendige Quorum.
Obwohl seine Koalition wahrscheinlich am Sonntag weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten wird, hat er wegen des komplexen Wahlrechts die Chance, die hohe Hürde zu meistern. Denn in 78 Direktwahlkreisen reicht eine relative Mehrheit. Nur 43 Sitze werden nach Stimmanteilen vergeben.
Um Abes Durchmarsch zu vereiteln, haben sich Oppositionsparteien von den Kommunisten bis hin zu den Demokraten in den 32 Wahlkreisen, in denen nur ein Abgeordneter gewählt wird, erstmals auf gemeinsame Gegenkandidaten zur Regierungspartei LDP geeinigt. Dennoch sehen Meinungsumfragen die Koalition in den meisten Bezirken vorn.
Ein Grund dafür ist Abe selbst. „Er hat aus seinem Scheitern enorm gelernt“, sagt der politische Kommentar Takao Toshikawa. 2006 wurde Abe vom legendären Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi als Nachfolger auserkoren. Abe war der Star: Teil einer der wichtigsten politischen Dynastien des Landes, beliebt – und mit 52 Jahren der jüngste Regierungschef aller Zeiten. Doch vier Ministerrücktritte und einen Selbstmord später war seine Popularität zerstört. Eine schwere Darmerkrankung zerrüttete seine Gesundheit und Abe dankte ab.
Alle dachten, er wäre nach dieser Blamage erledigt. Doch er gab nicht auf. „Nach meinem Rücktritt bin ich sechs Jahre durchs Land gereist und habe zugehört“, erinnerte er sich einst. Und mehr als das: Er verschlang Bücher, studierte Wirtschaft und wie Politik in den USA betrieben wird und fand eine Medizin, die seine Darmerkrankung wenigstens kontrolliert. Und überraschend für alle Beobachter tauchte er 2012 aus der Versenkung auf, sichtbar gereift und einem klaren Programm.
Seine Lehre: Das erste Mal habe versucht, alle Ziele auf einmal zu erreichen, „und meine Regierung endete als Fehlschlag.“ Dieses Mal konzentrierte er sich zuerst auf die Wirtschaft. Der geistige Vater seiner aggressiven Geld- und Fiskalpolitik ist der US-Ökonom Paul Krugman, mit dem sich Abe hin und wieder zum Meinungsaustausch trifft.
Darüber hinaus hat sich Abe die Förderung von Startups und Frauen im Erwerbsleben auf die Fahnen geschrieben. Zudem hat er Medienexperten und Redenschreiber engagiert, die jeden Auftritt durchchoreografieren, um sich als starken Führer darzustellen.
Und das politische Kapital, das er durch den folgenden Börsenboom gewann, setzte er nun mehr gezielt für sein großes Ziel ein: den konservativen Umbau des Landes zu einer „schönen Nation“ ein, in der Staat und Volk eher eins sind – und die Medien die Mächtigen nicht zu harsch kritisieren. Im Pressefreiheitsranking der Reporter ohne Grenzen ist Japan unter Abe vom elften auf den 72 Platz abgerutscht.
Ihm schadet nicht einmal, dass er als ein extrem rechter Politiker mit revisionistischer Agenda gilt. Denn er gibt sich pragmatisch und gesellschaftspolitisch mitunter geradezu liberal, auch wenn es manchmal seine Fanbasis stört. Selbst Schwulen- und Lesbenrechte haben es ins Wahlprogramm geschafft.
Japan
Tokio
Parlamentarische Erbmonarchie
Parlamentarische Demokratie
Staatsoberhaupt: Kaiser Akihito
Regierungschef: Shinzo Abe
127,3 Millionen Einwohner (Stand 2013)
BIP: 4.901.532 Millionen US-Dollar
BIP pro Kopf: 38.492,09 US-Dollar (Stand 2013) Quelle: Weltbank
Außerdem hört er auf Umfragedaten. Wenn ihm etwas bei den Wählern schadet, spricht er halt nicht mehr darüber – wie jetzt im Wahlkampf über sein Ziel einer Verfassungsänderung. Stattdessen ruft er bei Wahlkampfauftritten den Wählern zu: „Der wichtigste Punkt der Wahlen ist die Wirtschaftspolitik“. Diese Wahl werde entscheiden, ob sein Wirtschaftsplan vorangetrieben werden solle oder Japan zurück in dunkle Depression falle.
Als einen weiteren Anreiz hat er eine für April 2017 geplante Mehrwertsteuererhöhung verschoben und ein Konjunkturprogramm angekündigt. Nebenbei übernimmt er teilweise wirtschafts-und sozialpolitische Schlüsselforderungen der Opposition. „Es gab keinen besseren Führer in den letzten 20 Jahren“, so Toshikawas Fazit.
Das Resultat: Abe wird zwar nicht geliebt, aber respektiert. Die Zustimmungsrate zu seiner Regierung liegt meist über 40 Prozent, was in Japan ein phänomenaler Wert ist. Viele Menschen hätten den Eindruck, dass Abe Dinge bewegen könne, erklärt Toshikawa das Phänomen. Seine letzten Erfolge von Ende Mai sind noch in guter Erinnerung: der G7-Gipfel in Japan und der erste Besuch eines US-Präsidenten in Hiroshima, der ersten von einer Atombombe zerstörten Stadt.
Selbst die Baisse der Börse könnte an Abe abperlen. Tatsuhiko Yoshizaki, Chefvolkswirt des Sojitz Research Institute, meint: „Die wirtschaftliche Lage ist nicht wirklich gut, aber auch nicht so schlecht, sondern wächst moderat.“ Er glaubt daher, dass die Japaner trotz Bedenken in einer chaotischen Welt anders als die Briten lieber für Stabilität stimmen werden als für politische Experimente. Sonntag wird sich zeigen, ob er recht behält und Abe weiter durchregieren kann.
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