Wahlkampf am Mount Rushmore Trump feiert Unabhängigkeitstag mit 7500 Anhängern – und ignoriert neuen Infektionsrekord

„Diese Helden werden niemals entstellt werden, ihr Erbe wird niemals zerstört!“, versprach der US-Präsident seinen Anhängern.
Washington Die Gegenwart in den USA – das sind über 50.000 Corona-Infizierte pro Tag, leere Fußgängerzonen, Krankenhausmitarbeiter im Dauereinsatz. Doch als Donald Trump anlässlich des Unabhängigkeitstags am Freitagabend (Ortszeit) in South Dakota vor seine Anhänger trat, setzte er auf die Vergangenheit.
Vor der imposanten Kulisse des Mount Rushmore mit seinen in Granit gesprengten, beleuchteten Gesichtern der ehemaligen US-Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln verkündete Trump unter Jubel: „Dieses Denkmal wird niemals entweiht werden! Diese Helden werden niemals entstellt werden, ihr Erbe wird niemals zerstört!“
In Bezug auf „Linke und Radikale“ sagte der US-Präsident: „Wir werden es nicht zulassen, dass sie unsere Geschichte und unsere Werte rauben.“ Er sprach von einem „wütenden Mob“, der eine „gnadenlose Kampagne“ fahre, „um unsere Geschichte und unsere Kultur auszulöschen“.
Trump spielte damit auf die zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen im Juni an. Die überwiegend friedlichen Proteste gegen Rassismus sowie die alltäglich sichtbaren Spuren von Unterdrückung und Sklaverei waren zum Teil in Krawalle umgeschlagen. Dabei wurden einige Denkmäler mit Akteuren der Bürgerkriegsära zerstört oder beschädigt.
Trump machte am Mount Rushmore erneut klar, dass er nicht dazu da sei, das Land zu einen. Im Gegenteil: Trump, der sich auf Kundgebungen stolz Nationalist nennt, attackierte „einen neuen Linksaußen-Faschismus“, der Meinungszensur betreibe und die Freiheit der USA torpediere. Die Pandemie, die womöglich größte Krise seiner Amtszeit, sprach Trump nur kurz im Zusammenhang mit den aktuellen Jobzahlen an.
Neuer Rekord an Infizierten
Für den Präsidenten war die Rede ein Heimspiel, denn der Bundesstaat wählt verlässlich republikanisch. Nur ein Teil der 7500 Gäste trug Masken, die Sitzreihen waren dicht an dicht angeordnet. Widerstand gab es am Rande von amerikanischen Ureinwohnern, die heiliges Land verletzt sahen, und von Umweltschützern, die auf die Waldbrandgefahr in der Region aufmerksam machten und das Feuerwerk rund um den Trump-Besuch kritisierten.
Die Feier stand in einem scharfen Kontrast zu weiten Teilen der Nation, in denen Menschenansammlungen wegen der rasanten Ausbreitung des Coronavirus selten geworden sind. Nur Stunden vor Trumps Auftritt hatten die USA einen neuen Rekord an Infizierten gemeldet: 56.566 neue Fälle wurden allein am Freitag gemeldet. Ein Viertel der international gezählten Todesfälle stammt aus den USA. „Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir nicht in die richtige Richtung gehen“, sagte Anthony Fauci, Chef der US-Infektionsbehörde.
Die Lage scheint zunehmend außer Kontrolle. Er hoffe, das Virus werde irgendwann „von selbst verschwinden“, sagte Trump kürzlich. Ein Bundesstaat nach dem nächsten musste zuletzt das öffentliche Leben herunterfahren, Gouverneure und Bürgermeister riefen die Bürger zu Achtsamkeit auf. Selbst der sehr konservative Staat Texas erließ eine Maskenpflicht.
Nach wie vor sind die Corona-Vorschriften in den USA ein Flickenteppich, teilweise mit bizarren Folgen: Während die Hauptstadt Washington erst vorsichtig wieder Teile des Alltags öffnet, geht der Regierungssitz Washington aufs Ganze und veranstaltet dort am Wochenende weitere Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Immerhin werden Handwasch-Stationen und Masken bereitgestellt.
Im vergangenen Jahr hatte Trump eine Militärparade vor dem Lincoln Memorial in Washington abgehalten. Damals zeigte er sich präsidial, von Redenschreibern und Beratern gezähmt. Er verzichtete auf Attacken gegen Migranten und politische Gegner. In diesem Jahr ist das anders: Es ist Wahlkampf, Trump läuft die Zeit davon. Am Mount Rushmore ließ er sich für den begonnenen Bau einer Mauer zu Mexiko feiern, er setzte auf Polarisierung pur, schwärmte vom US-Militär. „Bald wird unsere Nation noch großartiger, so großartig wie nie zuvor“, rief er.
Republikaner in Angst
Eines Wahlsiegs zeigte er sich gewiss. Doch diese Selbstsicherheit ist womöglich bloß ein Bluff. US-Medien berichten seit einigen Wochen darüber, dass die Republikaner Panik vor einer Wahlschlappe haben und nicht nur das Weiße Haus, sondern auch den mächtigen Senat verloren geben. Vermeintliche Wendepunkte in Trumps Amtszeit gab es viele, doch erst die Coronakrise entblößte viele Probleme seiner Präsidentschaft auf einen Schlag.
Eine starke Wirtschaft war immer sein Vorzeigeprojekt. Jetzt machen große Konzerne wie Apple und McDonalds ihre Filialen dicht, kleine Unternehmer leiden im ganzen Land, trotz Soforthilfen und Konjunkturpaketen. Die Misere des amerikanischen Gesundheitssystems tritt offen zutage, und die Pandemie hat eine Massenarbeitslosigkeit ausgelöst, von der sich das Land nur langsam erholt.
Das Außenhandelsdefizit steigt und steigt – was das Gegenteil dessen ist, was Trump 2016 versprochen hat. Sein erster Wahlkampfauftritt seit Ausbruch der Coronakrise in Oklahoma geriet zum Flop, weil statt der angekündigten Zehntausenden Besucher nur wenige Tausend auftauchten.
Trumps Konkurrent Biden hält laut Umfragen in einigen Swing-Staaten, die mal demokratisch und mal republikanisch wählen, einen zweistelligen Vorsprung in Umfragen. Das muss natürlich noch nichts heißen: 2016 wurde Trump nur von wenigen Beobachtern ein Sieg zugetraut. Doch der Trend sollte ihn beunruhigen: Seine Zustimmungswerte sinken bundesweit, laut Gallup-Institut verlor er zehn Prozentpunkte allein im Juni.
Trump will kämpfen, das machte er klar, und er will noch mehr auf Symbolik und Patriotismus setzen. Er versprach den Bau eines riesigen Outdoor-Parks, der „die größten Helden der amerikanischen Geschichte“ zeigen solle. Dabei mangelt es den USA eigentlich nicht an historischem Skulpturen-Stolz.
So unterschiedlich die beiden Reden zum Unabhängigkeitstag im vergangenen und in diesem Jahr gewesen sein mögen – eine Parallele gab es doch. Trump, der Anti-Politiker, sprach 2019 vor der in Marmor gehauenen Silhouette eines der bedeutendsten Präsidenten der US-Geschichte. Dieses Jahr sprach er vor gleich vier Präsidenten, vor einem der bekanntesten Wahrzeichen der Nation. Die Bilder führen vor Augen, dass Donald Trump in den Geschichtsbüchern stehen will, in einer Reihe mit seinen Vorgängern. Ganz egal, ob er die US-Wahl erneut gewinnt – oder verliert.
Mehr: Donald Trump hilft sich selbst – und schadet damit Amerika, kommentiert Jens Münchrath.
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