Wechselkurs zum Euro Ein Franken gleich ein Euro? Schweizer Wirtschaft wappnet sich für Parität

Trotz des starken Schweizer Frankens zeigt sich die Exportindustrie robust.
Zürich Ein Blick auf den Franken-Wechselkurs zu Euro und Dollar müsste Fabian Chiozza eigentlich beunruhigen. Er ist Finanzvorstand beim Schweizer Unternehmen VAT, einem Hersteller von Vakuumventilen, die beispielsweise beim Bau von Chipfabriken benötigt werden.
Der Großteil der Produkte geht in die USA, nach Asien und Europa. Chiozza bestätigt: „Als stark exportorientiertes Unternehmen unterliegt die VAT einem gewissen Währungsrisiko.“
Das Risiko ist so groß wie seit Jahren nicht: Gegenüber dem Euro ist der Franken so stark wie zuletzt 2015. Auch gegenüber dem Dollar hat die eidgenössische Währung zuletzt aufgewertet. Dennoch zeigt sich Chiozza entspannt: „Durch die globale Marktführerschaft bei Vakuumventilen läuft die VAT auch bei einem starken Franken kaum Gefahr, Geschäfte an die Konkurrenz zu verlieren.“
Das Selbstbewusstsein in der schweizerischen Exportindustrie ist neu: Die Aufhebung des Wechselkurskorridors mit dem Euro Anfang 2015 durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) hatte noch Schockwellen in der eidgenössischen Wirtschaft ausgelöst. Unternehmen zitterten um Umsatz und Jobs, der Aktienmarkt brach ein. In den vergangenen fünf Jahren pendelte sich der Wechselkurs zwischen 1,20 und 1,07 Franken pro Euro ein.
Doch nun steht er erneut auf einem Niveau wie zu Zeiten der Franken-Freigabe: Derzeit ist ein Euro nur noch 1,03 Schweizer Franken wert. Im März 2021 notierte der Kurs noch bei 1,11 Franken pro Euro – das entspricht einer Aufwertung der eidgenössischen Währung um knapp sieben Prozent in nicht einmal einem Jahr.
Franken-Parität eine Frage der Zeit
Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht: Daniel Rempfler, Experte für Anleihe- und Währungsmärkte beim Vermögensverwalter Swiss Life Asset Management, sagt: „Mittelfristig rechnen wir mit einer Parität zum Euro.“
Davon geht auch Rudolf Minsch aus, Chefvolkswirt beim Wirtschaftsverband Economie Suisse. „Die Franken-Parität wird wohl früher oder später erreicht, insbesondere weil sich die Inflationsraten im Euro-Raum und der Schweiz stark unterscheiden.“ Zwar hat die Teuerungsrate in der Schweiz ebenfalls angezogen. Mit rund 1,5 Prozent liegt sie jedoch deutlich unter dem Niveau von fünf Prozent im Euro-Raum.
Aus Sicht von Ökonom Minsch ist die Franken-Parität kein Schock mehr für die Wirtschaft: „Mit einer kontinuierlichen Aufwertung können die Unternehmen leben, weil sie sich den Herausforderungen anpassen können.“
Die Einschätzung deckt sich mit den Stimmen aus der Exportwirtschaft. So heißt es bei ABB, dass der Industriekonzern seit langer Zeit ständig bestrebt sei, den Einfluss des starken Schweizer Frankens zu vermindern. Zwar sei der starke Franken in einigen Geschäftsbereichen eine Herausforderung für die Produktion in der Schweiz. Doch dank Maßnahmen wie der stetigen Steigerung der Produktivität sowie Innovationsbemühungen sei es gelungen, die Auswirkungen merklich zu begrenzen. Der ABB-Konzern hat zuletzt 40 Millionen Franken in die Produktion in der Schweiz investiert.
Ähnlich reagiert auch der Hightech-Konzern VAT auf die Währungsrisiken: „Diesem Druck begegnen wir mit Effizienzsteigerungen in unseren Geschäftsprozessen“, sagt Finanzvorstand Chiozza. Der Konzern baut zudem die Produktion in allen wichtigen Märkten auf, eine natürliche Absicherung gegen Währungsschwankungen. Darüber hinaus sichert sich VAT auch an den Finanzmärkten gegen Währungsschwankungen ab.
Lediglich in der Hotellerie blickt man mit Sorge auf den starken Franken: „Als standortgebundene Exportbranche ist die Schweizer Hotellerie besonders von der Wechselkursentwicklung betroffen“, heißt es beim Verband Hotellerie Suisse. Die Übernachtungszahlen der ausländischen Gäste hingen stark von den Wechselkursen ab. Noch sei der Effekt des starken Frankens jedoch nicht abzuschätzen.
Aus Sicht von Ökonom Minsch profitiert die schweizerische Exportwirtschaft sogar langfristig vom starken Franken. Denn dadurch müssten Strukturen kontinuierlich angepasst werden. Die Unternehmen würden also gezwungen, mit Innovationen die Kostennachteile zu überbrücken, Prozesse schlanker zu halten und Effizienzsteigerungen zu erzielen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Heilsame Wirkung
Auch der Franken-Schock von 2015 habe sich als heilsam erwiesen: „Diese Erfahrungen im Krisenmanagement halfen vielen Unternehmen auch während der Pandemie und sind ein wesentlicher Grund dafür, dass die Exportwirtschaft in den letzten zwei Jahren relativ gut über die Runden gekommen ist.“ Bereits in der Pandemie wertete der Franken stark auf, weil die Währung in Krisenzeiten traditionell als „sicherer Hafen“ bei Investoren gefragt ist.
Weil die Unternehmen mittlerweile auf den starken Franken eingestellt sind, seien auch keine Eingriffe in den Wechselkurs von der Notenbank SNB zu erwarten, sagt Anlagestratege Rempfler von Swiss Life Asset Management. „Solange Inflation ein Thema ist, dürfte die SNB mit größeren Devisenmarkt-Interventionen abwarten.“
Der starke Franken dämpft die Teuerung in der Schweiz, erläutert Minsch von Economie Suisse. „Die Importe werden günstiger, und die internationale Kaufkraft nimmt zu.“ Daher müssten die Schweizer Unternehmen relativ weniger etwa für Erdöl, Rohmaterialien und Fertigprodukte zahlen. „Dies ist derzeit ein wichtiger Grund dafür, dass die Preise in der Schweiz weniger stark ansteigen als im Euro-Raum.“
Die stabile Währung trägt damit dazu bei, dass die SNB ihr Inflationsziel von null bis zwei Prozent voraussichtlich auch in den kommenden Jahren erreichen wird. Daher ist die Franken-Aufwertung laut Rempfler auch bei der Notenbank willkommen.
Eine Devisenmarkt-Intervention der SNB erwartet der Swiss-Life-Experte nur für den Fall einer deutlichen Verschlechterung der Weltkonjunktur, die hohe internationale Zuflüsse in den sicheren Hafen Schweizer Franken auslösen könnte. Niedriges Wirtschaftswachstum und eine starke Währung sind das Krisenszenario, gegen das sich die SNB mit aller Macht stemmen würde.
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