Weltgeschichte Von Gurken und Tulpen – Warum die Londoner Skyline die Gemüter erhitzt

Neben dem „The Gherkin“ (Gurke) genannten 180 Meter hoher Wolkenkratzer im Finanzbezirk von London soll ein neue Aussichtsplattform entstehen.
London Im Mittelalter war das Bishopsgate eins von acht Stadttoren. Heute erhebt sich hier der „Eastern Cluster“, eine Gruppe von Wolkenkratzern, die die Skyline der Londoner City dominieren. Unten auf den schattigen Bürgersteigen drängeln sich die Banker und Versicherungsexperten, oben toben sich die Architekten aus.
An der Hausnummer 22 wächst der neueste Turm in die Höhe. Im Unterschied zu seinen Nachbarn, dem „Gherkin“, dem „Cheesegrater“ und dem „Walkie Talkie“, hat er keinen ausgefallenen Spitznamen. In einem früheren, kühneren Entwurf hieß er mal „Pinnacle“, doch der aktuelle Entwickler nennt ihn nüchtern 22 Bishopsgate.
Mit 278 Metern wird der Turm das zweithöchste Gebäude der Stadt sein. Von der Aussichtsplattform können Touristen hinüber winken zum „Shard“ am anderen Themse-Ufer, der mit 306 Metern noch ein bisschen höher ist. Die Eröffnung ist für Anfang 2020 geplant.
Brexit stoppt das Wachstum der Skyline nicht
Der seit drei Jahren bevorstehende Brexit scheint das Wachstum der Londoner Skyline nicht zu stoppen. Überall ragen Kräne in die Höhe. Schon bald könnte der Eastern Cluster einen weiteren Hingucker erhalten. Im April gab die Bezirksverwaltung grünes Licht für die „Tulpe“ des britischen Star-Architekten Norman Foster. Der stählerne Stengel mit der gläsernen Blüte soll direkt neben dem „Gherkin“ („Gürkchen“), einem weiteren Foster-Entwurf, stehen.
Die „Tulpe“ unterscheidet sich nicht nur äußerlich von herkömmlichen Türmen. Sie soll auch keine Büros enthalten, sondern eine reine Aussichtsplattform sein. Mit 305 Metern Höhe würde sie äußerst prominent aus der Skyline herausragen, weshalb der Plan hoch umstritten ist.
Denkmalschützer und Stadtplaner warnen vor der Verschandelung der Stadtsilhouette. Sie fürchten um den Postkartenblick auf den mittelalterlichen Tower of London. Die „Tulpe“ sei nichts als ein „Fahrstuhlschaft mit einem Wulst obendrauf“, ätzte der Chef der Denkmalschutzorganisation Historic England.
Auch ist fraglich, warum die City eine weitere Aussichtsplattform braucht: Es gibt bereits zahlreiche Restaurants, Bars und Dachterrassen, die jede erdenkliche Perspektive auf die Metropole bieten.
Die Bezirksverwaltung hingegen schwärmt, dass der Foster-Bau eine „Architektur-Ikone“ werden könne – ähnlich wie es der „Gherkin“ bereits ist. In dem Gebäude befindet sich die Zentrale des Rückversicherers Swiss Re.
Hinter dem neuen Wolkenkratzer steckt ein Milliardär
Das letzte Wort über die „Tulpe“ hat der Bürgermeister Sadiq Khan. Was bisher aus dem Rathaus dringt, klingt eher skeptisch. Doch die Entwickler sind zuversichtlich. Hinter dem Projekt steht der Besitzer des „Gherkin“, der brasilianische Milliardär Joseph Safra. Der Eigentümer der Banco Safra gilt als der reichste Banker der Welt.
Die Bezirksverwaltung hofft, dass ein neues Wahrzeichen mehr Leben in die City bringt. Denn jeden Tag pendeln zwar Hunderttausende zum Arbeiten in das älteste Londoner Viertel. Aber nur rund 8.000 Menschen wohnen hier.
Abends und am Wochenende sind die Straßen häufig leergefegt. Das Gastronomieangebot und Nachtleben bessern sich allerdings allmählich. So hat sich direkt neben der Bank of England „The Ned“ etabliert, ein Hotelkomplex mit 26 Bars und Restaurants in einem herrschaftlichen alten Bankgebäude. Seit der Eröffnung 2017 haben sich die hohen Räume zum Treffpunkt für Kaffee oder Feierabendbier entwickelt. Selbst am Wochenende ist es voll, das Konzept „bezahlbarer Luxus“ scheint anzukommen.
Der neue Wolkenkratzer 22 Bishopsgate soll ebenfalls zum Stadtgefühl beitragen. Im zweiten Stock ist ein öffentlich zugänglicher Marktplatz geplant – mit Terrasse, Weinbar und Street-Food-Buden. Die neuen Gebäude dürften deutlich mehr Besucher in das Viertel locken.
Um die zusätzlichen Menschenmassen zu bewältigen – allein die „Tulpe“ soll 1,2 Millionen Besucher im Jahr anziehen –, überlegt die Bezirksverwaltung, den Platz für Autos einzuschränken. So könnten Bürgersteige verbreitert werden – und Teile der City sollen zur Fußgängerzone werden.
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