Welthandel Die EU schlägt zurück: Wie sich die Staatengemeinschaft gegen Sanktionen wehren will

Mit der Option, Gegensanktionen zu erlassen, würden die Europäer nun eine Eskalationsbereitschaft signalisieren, vor der sie bisher zurückgeschreckt sind.
Berlin US-Senatoren drohen mit der „finanziellen Zerstörung“ eines Fährhafens auf Rügen, Chinas Botschafter in Berlin denkt in der Huawei-Kontroverse laut über Vergeltungsschläge gegen deutsche Autohersteller nach. Solche Geschehnisse sind keine Ausnahmen mehr, sie beschreiben einen Trend: Internationale Konflikte werden zunehmend mit wirtschaftlichen Mitteln ausgetragen.
Doch der EU fehlen bisher die Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Das soll sich jetzt ändern. Unterstützt von der deutschen und französischen Regierung hat die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) Vorschläge zum „Schutz Europas gegen Zwangsmaßnahmen“ erstellt, Spitzenbeamte, Parlamentarier und Wirtschaftsvertreter haben daran mitgewirkt.
Die Vorschläge, die dem Handelsblatt vorliegen, reichen vom Aufbau einer EU-Exportbank bis zur Schaffung eines digitalen Euros, um unabhängiger vom US-Finanzsystem zu werden. Sie sehen vor, die Kompetenzen der EU-Kommission zu stärken und technologische Abhängigkeiten durch Industriepolitik zu verringern.
Ein Vorschlag aber sticht heraus, weil er enorme politische Sprengkraft birgt. Ein „gemeinsames europäisches Verteidigungsinstrument“ soll der EU die Möglichkeit geben, Sanktionen mit Gegensanktionen zu beantworten. Das ist eine Kampfansage.
„In einer Welt zunehmender Großmächtekonkurrenz muss Europa seine Interessen und Werte auch nach außen souveräner und selbstbewusster vertreten”, sagt Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Dafür sei es notwendig, die Widerstandskraft gegenüber extraterritorialen Sanktionen zu erhöhen. „Damit wir in Europa unsere eigene Politik gestalten können, müssen wir europäische Unternehmen besser vor Druck von außen schützen.”
Hilfloses Europa
Die Zeiten, in denen der Wirtschaftsliberalismus das Leitmotiv der Globalisierung war, sind vorbei. Heute prägt der Hegemonialkonflikt zwischen China und den USA die internationale Politik, Handelsbeziehungen werden von beiden Seiten zur Erpressung eingesetzt.
Europa steht dieser Entwicklung bisher weitgehend hilflos gegenüber, in der neuen Ära der Machtkonkurrenz fehlen dem Kontinent die Mittel zur Selbstbehauptung. Sanktionsdrohungen der USA haben europäische Unternehmen aus dem Iran vertrieben, die Verlegung der Ostseepipeline Nord Stream 2 lahmgelegt, als Nächstes könnten sie das Chinageschäft treffen.

Sanktionsdrohungen seitens der USA haben das Projekt vorerst lahmgelegt.
Appelle zur Einhaltung internationaler Normen haben die US-Senatoren nicht dazu bewogen, im Streit um Nord Stream 2 von ihren Drohungen gegen den Hafen und den Bürgermeister von Sassnitz abzurücken. Sie haben Washington auch nicht davon abgehalten, europäischen Banken Dienstleistungen für die Chefanklägerin des internationalen Strafgerichtshofs, Fatou Bensouda, zu untersagen. Aufrufe an China, unfaire Handelspraktiken zu beenden und Einschüchterungsversuche gegen wirtschaftlich schwächere Länder zu unterlassen, verhallen im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei ohnehin.
Was tun? Über diese Frage berieten in den vergangenen Monaten Mitglieder einer „Sanktions-Taskforce“ – Spitzenbeamte, Fachleute der Wirtschaftsverbände und ausgewählte Parlamentarier – in vertraulichen Sitzungen. Das Ergebnis der Gespräche: Die EU muss wirtschaftspolitisch aufrüsten, um Sanktionen ins Leere laufen zu lassen und Wirtschaftsaggressoren abzuschrecken.
Gegensanktionen erwägen
„Die bevorzugte Option der EU wird angesichts einer externen Bedrohung immer ein multilaterales Engagement sein“, erläutert Jonathan Hackenbroich, Außenhandelsexperte des ECFR und Hauptautor des Taskforce-Berichts. „Dies ist jedoch nicht immer praktikabel.“ Wenn China und die USA ihren Markt als Waffe einsetzten, so die Überlegung, müsse die EU in der Lage sein, dagegenzuhalten.
Als Ultima Ratio spricht sich der Bericht dafür aus, die Verhängung von Gegensanktionen zu erwägen. Mitarbeiter von US-Senatoren, die Sanktionsgesetze gegen EU-Firmen schreiben, könnten dann ihrerseits zum Ziel von Sanktionen werden. Gleiches gilt für chinesische Funktionäre, die deutsche Autokonzerne drangsalieren.

Im Handelsstreit zwischen den USA und China gerät die EU zwischen die Fronten.
Auch Importbeschränkungen für Handys made in China könnten die Europäer erlassen oder US-Softwarekonzerne vorübergehend daran hindern, ihre Gewinne aus dem Europageschäft in die USA zu transferieren. „Das Instrument dient der Abschreckung“, stellt der Bericht klar: „Seine bloße Existenz könnte die Wahrscheinlichkeit verringern, dass andere wirtschaftlichen Zwang gegen Europa ausüben und dass die EU es jemals einsetzen muss.“
Zustimmung kommt aus der Großen Koalition: „Wir müssen alle Folterwerkzeuge auf den Tisch legen, nicht nur das kleine Holzhämmerchen“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Mitglied der Taskforce. Es gehe darum, „Waffengleichheit“ herzustellen. Die Botschaft sei: „Wir Europäer sind für Freihandel, aber wir sind nicht blöd.“
Eigentlich wurde die Welthandelsorganisation WTO gegründet, um Wirtschaftskonflikten die politische Schärfe zu nehmen und objektive Urteile zu finden. Aber die WTO ist kaum noch handlungsfähig, weil die USA nicht mehr bereit sind, sich an ihre Regeln zu halten, und Chinas Präsident Xi Jinping zwar vom Multilateralismus redet, aber selten danach handelt. Das ist nicht die Welt, die Europa anstrebt. Aber es ist die Welt, in der sich Europa zurechtfinden muss.
Mit dem Aufbau der Handelsplattform Instex haben mehrere EU-Staaten 2019 einen ersten Versuch unternommen, unilaterale US-Sanktionen zu umgehen und das Atomabkommen mit dem Iran zu retten. Das „Instrument in Support of Trade Exchanges“ sollte als eine Art Tauschbörse fungieren, um Wirtschaftskontakte am Dollar-Raum vorbei aufrechtzuerhalten und den USA keine Sanktionsmöglichkeiten zu geben.
Doch das Vorhaben ist weitgehend gescheitert. Fast alle EU-Firmen haben ihr Irangeschäft beendet, das Risiko, sich Ärger mit Washington einzuhandeln, war ihnen zu groß.
Berlin tut sich schwer mit klarer Linie
Mit der Option, Gegensanktionen zu erlassen, würden die Europäer nun eine Eskalationsbereitschaft signalisieren, vor der sie bisher zurückgeschreckt sind. Sie würden allerdings auch die Prinzipien brechen, die sie eigentlich bewahren wollen. Die EU würde selbst zum Normenverletzer – wenn auch nur, um die Normenverletzungen anderer Mächte zu ahnden. Das wäre gerade für die Bundesrepublik, die sich als Verfechter der multilateralen, normenbasierten Weltordnung versteht und als Exportnation von freien Märkten so stark profitiert wie kaum ein anderes Land, ein gewaltiger Schritt.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich Berlin schwer damit tut, eine klare Linie zu finden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier will Wirtschaftsbeziehungen nicht politisieren, er hält am alten Dogma des Wandels durch Handel fest; geoökonomisches Denken ist seinem Haus eher fremd.
Ganz anders das Auswärtige Amt. Das Ressort von Maas will eine Beteiligung des umstrittenen chinesischen Technologiekonzerns Huawei am deutschen 5G-Netz verhindern, um Peking nicht noch mehr Erpressungspotenzial zu geben.
Die kürzlich vorgestellten Indo-Pazifik-Leitlinien zielen in eine ähnliche Richtung: Die Abhängigkeit von China soll durch den Ausbau von Handelskontakten mit anderen asiatischen Ländern verringert werden. Auch in die Erarbeitung der Sanktionsstudie war das Außenministerium stark involviert. Außenstaatssekretär Miguel Berger leitete die Auftaktsitzung der Taskforce.
Im nächsten Schritt soll der Sanktionsbericht in den nationalen Parlamenten und in Brüssel diskutiert werden. Die Autoren erwarten erhebliche Kontroversen. Doch Nichtstun, glauben sie, sei die schlechtere Option. Eine Analogie aus dem Kalten Krieg hilft dabei, ihr Denken zu veranschaulichen. Damals galt eine wechselseitige Vernichtungsdrohung durch Atomwaffen, bekannt als MAD-Doktrin: Mutual Assured Destruction.
Wirtschaftliches Schreckensgleichgewicht
Das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den USA und der Sowjetunion schuf Stabilität, da keine Seite damit rechnen konnte, durch nukleare Eskalation einen Vorteil zu erlangen. Dieses Prinzip soll nun auf die Wirtschaftspolitik übertragen werden. Das Kalkül: Wenn Amerikaner und Chinesen erkennen, dass die EU über Gegenschlagskapazitäten verfügt, werden sie gar nicht erst versuchen, Europa mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen zu erpressen. Gewissermaßen geht es also darum, ein wirtschaftliches Schreckensgleichgewicht zu schaffen.
Auch Politiker der traditionell ordnungspolitischen Grundsätzen verpflichteten Union leuchtet diese Logik ein. „Wir leben in einer Zeit, in der die regelbasierte Handelsordnung immer weiter zurückgedrängt wird“, sagt CDU-Wirtschaftspolitiker Stefan Rouenhoff, auch er hat in der Taskforce mitgearbeitet. „Dieser neuen Realität müssen wir uns stellen.“
Die Weltwirtschaft habe durch den Machtkampf zwischen China und den USA einen Punkt erreicht, an dem „das Zähnezeigen eine deutlich größere Bedeutung hat.“ Es gehe nicht darum, dass die Europäische Union den multilateralen Ansatz aufgibt, betont Rouenhoff, dieser bleibe die beste Lösung.
Aber: „Wenn es hart auf hart kommt, müssen wir die Frage beantworten, welche Instrumente wir haben, um uns zu schützen.“
„Strategischen Autonomie“
Ganz ähnlich argumentiert CDU-Außenpolitiker Andreas Nick: „Wir sind auf die Rückkehr der Großmachtkonkurrenz unzureichend vorbereitet. Die EU ist keine große Militärmacht, gerade deshalb sollte sie ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen.“
Bei klassischen Handelsstreitigkeiten tut sie das seit Langem. Wenn etwa ein Handelspartner Waren zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt wirft oder Importe aus Europa beschränkt, schlägt die EU zurück – mit einer Entschlossenheit und Effizienz, die sogar die USA beeindruckt.
Es ist kein Zufall, dass Präsident Donald Trump klagt, niemand behandele die USA so schlecht wie die EU. So betrachtet, geht es bei den Versuchen, eine Antwort auf Sanktionsdrohungen zu finden, weniger um einen Paradigmenwechsel als darum, das bestehende Instrumentarium den veränderten globalen Bedingungen anzupassen.

„Wir arbeiten derzeit an der Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und prüfen verschiedene Optionen.“
In Brüssel dürfte die Initiative der Taskforce auf Zustimmung treffen. Die EU hat sich dem Ziel der „strategischen Autonomie“ verschrieben. „Wir arbeiten derzeit an der Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit und prüfen verschiedene Optionen“, sagt Valdis Dombrovskis, der Superkommissar für Handel und Wirtschaft.
Wie die Autoren der Studie will auch die EU ihr Streben nach „Widerstandsfähigkeit“ nicht als eine Abkehr vom Freihandel verstanden wissen. Sondern als Versuch, den Freihandel so weit wie möglich zu erhalten und europäischen Firmen faire Wettbewerbsbedingungen zu garantieren.
Mehr: Wer Peking misstraut, darf auch Huawei nicht vertrauen.
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Seit es den Euro gibt, haette man energisch seine Stellung im Welthandel gegen den
Dollar ausbauen muessen. Immer noch werden Energie und Rohstoffe insbesondere
die von der EU gekauft werden zum groessten Teil in USD verrechnet. Und ich sehe keine
ernsthaften Bemuenhungen das zu aendern.
@Martin Koch:
"chinesische Funktionäre, die deutsche Autokonzerne drangsalieren." Diesen Satz kann ich nicht nachvollziehen - bitte um Erläuterung und Beispiele.
"Wenn etwa ein Handelspartner Waren zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt wirft oder Importe aus Europa beschränkt, schlägt die EU zurück – mit einer Entschlossenheit und Effizienz, die sogar die USA beeindruckt." Kann ich ebenso nicht nachvollziehen - bitte auch hier um Erläuterung und Beispiele.
Ich habe ja den Eindruck dass die EU ehrlich gesagt viel zu fragil ist um glaubhaft zu drohen. Die traditionelle Scheu der Bundesregierung Kante zu zeigen ist auch nicht unbedingt hilfreich..