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Wirtschaft in der Krise Erster EU-Konsens über Corona-Hilfen – Euro-Bonds zunächst ausgeschlossen

ESM, EIB-Kredit und EU-Mittel für die Arbeitslosenversicherung sollen für schnelle Wirtschaftshilfe in Europa sorgen. Frankreich will jedoch weiter an Gemeinschaftsfonds festhalten.
02.04.2020 - 17:39 Uhr Kommentieren
Das Europäische Parlament in Brüssel fast ohne Menschen. Quelle: ddp/ZUMA
Brüssel

Das Europäische Parlament in Brüssel fast ohne Menschen.

(Foto: ddp/ZUMA)

Brüssel, Paris Schneller als erwartet zeichnet sich ein erster Konsens über eine europäische Antwort auf die Corona- und Wirtschaftskrise ab. „Wir schlagen gemeinsam eine Hilfsaktion mit drei Pfeilern vor und haben mit Deutschland ein klares gemeinsames Verständnis davon“, sagte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstagvormittag während einer Pressekonferenz in Paris. Er hoffe, dass die EU-Finanzminister schon kommende Woche einen Beschluss darüber fassen könnten.

Die drei Pfeiler sind Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) und EU-Mittel für die Sicherung der Arbeitslosenversicherung der Mitgliedstaaten. Wie vom Handelsblatt berichtet, hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz praktisch identische Vorschläge erarbeitet. Entscheidend dabei ist, dass die ESM-Kredite ohne Auflagen für Strukturreformen vergeben werden. Die Mittel müssen allein für die Bewältigung der Coronakrise eingesetzt werden.

Frankreich will allerdings mehr: „Wir müssen weitergehen, unterschätzen wir nicht die gewaltigen Folgen der Krise“, sagte Le Maire. „Deshalb schlagen wir einen gemeinsamen Fonds vor.“ Der solle nach der akuten Krise den wirtschaftlichen Wiederaufbau „kickstarten“, erläuterte der Franzose auf Englisch.

Der auf fünf bis zehn Jahre befristete Fonds solle außerhalb des mehrjährigen EU-Finanzrahmens bestehen und sich mit der Garantie aller EU-Mitgliedstaaten verschulden. Die Tilgung könne durch nationale Beiträge oder durch eine „Solidaritätssteuer“ erfolgen.

Das Wort Corona- oder Euro-Bonds nahm Le Maire nicht mehr in den Mund, die Ausstattung des Fonds würde aber über solche gemeinsamen Anleihen erfolgen. Positiv bewertete der Minister den Vorschlag des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, ebenfalls außerhalb des EU-Budgets Zuschüsse mit einem Gesamtvolumen von zehn oder 20 Milliarden Euro an die am stärksten von der Krise betroffenen Länder zu zahlen.

Der niederländische Vorstoß und die deutsch-französische Übereinstimmung zeigen, dass der anfängliche Grundsatzstreit für oder gegen Euro-Bonds nun einer pragmatischen Suche nach möglichst schnellen Antworten auf eine Krise weicht, die das Potenzial hat, die EU und die Euro-Zone zu zerreißen.

Und so sollen die einzelnen Elemente im Detail funktionieren

Die Europäische Investitionsbank schlägt einen pan-europäischen Garantiefonds für Unternehmenskredite vor. Der soll „bis zu 200 Milliarden Euro zusätzliche gezielte Liquidität und kurzfristige Kapitalhilfen mobilisieren“, heißt es in dem EIB-Vorschlag. Die EU-Mitgliedstaaten bürgen für den neuen EIB-Fonds und zahlen 25 Milliarden Euro cash ein. Der Fonds wird befristet auf die Dauer der Coronakrise. Der EIB-Vorschlag findet in der EU viel Unterstützung.

Der Euro-Rettungsfonds ESM will eine vorsorgliche Kreditlinie für besonders schwer betroffene Euro-Staaten einrichten. Die sogenannte Enhanced Conditions Credit Line (ECCL) kann auf Antrag Darlehen vergeben. Die Höhe des Darlehens ist auf zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des jeweiligen Landes begrenzt. Empfängerstaaten müssten sich verpflichten, „die fiskalpolitischen Regeln der EU zu respektieren“, heißt es in einem vom ESM verfassten Papier.

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Die EU-Finanzminister haben den Stabilitätspakt wegen der Krise vorübergehend ausgesetzt. Sobald der Pakt wieder gilt, müssen Empfänger von ESM-Krediten ihren Haushalt entsprechend den Vorschriften sanieren. Das sollen sie in einem Memorandum of Understanding zusichern.

Die vorsorgliche Kreditlinie soll zunächst für zwölf Monate eingerichtet werden. Bei Bedarf kann die Frist zweimal um je sechs Monate verlängert werden. EU-Kreise sprechen von einer möglichen Summe von 200 Milliarden Euro, Scholz eher von 100 Milliarden Euro. Zwei Prozent der Wirtschaftsleistung entsprächen in Italien knapp 40 Milliarden Euro. Insgesamt kann der ESM derzeit bis zu 410 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufnehmen und an bedürftige Staaten weiterreichen.

Die ESM-Kreditlinie stößt im Prinzip bei allen Euro-Staaten auf Zustimmung. Einen Dissens gibt es aber über die Konditionen. Deutschland wie Frankreich bieten an, die Bedingungen zu lockern. So soll der ESM den Empfängern von Krediten nicht die sonst üblichen Strukturreformen vorschreiben. Die EU-Fiskalregeln sollen die Empfänger aber respektieren, wenn sie wieder in Kraft treten. Ob Italien sich darauf einlässt, ist unklar.

Zusätzlich könnte der ESM eine Notfallhilfe mobilisieren, die speziell den Gesundheitssystemen zugutekommt. Das Gesamtvolumen wären rund 80 Milliarden Euro. Die Kredite hätten eine kürzere Laufzeit von drei bis fünf Jahren statt zehn Jahren bei der ECCL.

Kredite für Kurzarbeitsfinanzierung

Außerdem hat die EU-Kommission ein befristetes Kreditprogramm für den Arbeitsmarkt vorgeschlagen. Mit den Darlehen will die Kommission den besonders schwer getroffenen Staaten helfen, das Kurzarbeitergeld zu finanzieren. Die Kommission will dafür bis zu 100 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufnehmen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen dafür Bürgschaften im Umfang von 25 Milliarden Euro abgeben. Das neue EU-Programm zur Finanzierung der Kurzarbeit – abgekürzt Sure genannt – stößt in der EU auf breite Zustimmung.

Der französische Vorschlag eines Fonds mit gemeinsamen Anleihen würde den bisherigen EU-Grundsatz, dass jeder Mitgliedstaat für seine eigenen Schulden geradestehen muss, durchbrechen. Deshalb lehnen Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland die französische Idee ab. Zehn EU-Staaten, vor allem die südeuropäischen, sind dafür. Für Le Maire ist der Fonds aber keine Voraussetzung dafür, dass Frankreich den anderen Säulen zustimmt.

Handelsblatt Morning Briefing - Corona Spezial

Die EU-Kommission ist gespalten: Präsidentin Ursula von der Leyen und ihr Vize Dombrovskis sind gegen den von Frankreich vorgeschlagenen Fonds. Der französische Kommissar Thierry Breton und sein italienischer Amtskollege Paolo Gentiloni sind dafür. Der Europa-Abgeordnete Markus Ferber (CSU) empfiehlt: „Anstatt immer neue kreative Wege der Vergemeinschaftung von Schulden und Transferzahlungen zu diskutieren, sollten wir auf vorhandene Strukturen aufsetzen.“

Notwendig sei „die schnelle Bereitstellung von Notfallkrediten, Garantien und Liquiditätshilfen.“ Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), dagegen sagte dem Handelsblatt: „Wenn sich ein Land besonders stark für eine gemeinsame Krisenbewältigung einsetzen sollte, dann ist das Deutschland, im wohlverstandenen Eigeninteresse.“ Italiens Wirtschaft sei teilweise wichtiger für Deutschland als die chinesische, da sei es gerechtfertigt, sich ausnahmsweise und befristet gemeinsam zu verschulden, ohne Altschulden zu vergemeinschaften.

Zuschüsse für das Gesundheitswesen

Die Idee der Niederlande sieht einen auf drei Jahre befristeten Gesundheitsfonds gegen die Coronakrise vor. Die Mitgliedstaaten sollen die Fazilität mit Beiträgen finanzieren. Die Mittel würden in das Gesundheitswesen der besonders hart von der Epidemie betroffenen Staaten fließen – nicht als Kredite, sondern als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Olaf Scholz unterstützt wie Le Maire die drei Elemente ESM, EIB und eine EU-Arbeitslosenrückversicherung. Der große Unterschied aber ist: Für die Bundesregierung soll dieses Modell auch dazu dienen, weitere Forderungen wie die nach Corona-Bonds abzuwehren.

„Wir brauchen europäische Solidarität“, sagte Scholz am Dienstag nach einem Besuch beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Dazu müsse man schauen, ob sich im EU-Haushalt Mittel mobilisieren ließen. Das kann in Form der EU-Arbeitslosenrückversicherung, die Kurzarbeit finanzieren soll, geschehen. „Wir brauchen Möglichkeiten, die mit der EIB verbunden sind“, fügte Scholz das weitere Element an.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ist anders als Scholz für Corona-Bonds. Die Union stellt sich strikt gegen gemeinsame Schulden. „Corona-Bonds im Sinne einer europäischen Schuldenvergemeinschaftung kann es nicht geben“, sagte CSU-Chef Markus Söder im Handelsblatt-Interview. Seine Formel, die auch für die Bundesregierung gilt, lautet: „Corona-Bonds nein, ESM und EIB ja.“

In der Euro-Gruppe und der EU verliert dieser Streit mittlerweile an Bedeutung. Der deutsch-französische Konsens bringt den Geleitzug in Bewegung, die Niederländer beginnen, aus der Front der nördlichen Hardliner auszuscheren: Die Chancen für eine Einigung auf das Drei-Säulen-Modell kommende Woche stehen nicht schlecht.

Was die in Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland in Kooperation um jedes Leben kämpfenden Ärzte vorführen, scheint auch bei den Finanzministern anzukommen: europäische Solidarität.

Mehr: Ausgerechnet in einer internationalen Notlage verliert die Europäische Union ihren Zusammenhalt – obwohl die Krise alle Mitgliedstaaten schwer trifft.

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