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Wirtschaftsforum Im Schatten von Nord Stream 2 ergeben sich enorme Chancen in der Ukraine

Bundeskanzlerin Merkel will deutsche Investitionen in der Ukraine stärken. Dabei spielen Wasserstoff und die russische Gaspipeline eine zentrale Rolle.
18.03.2021 - 16:31 Uhr 2 Kommentare
Die ukrainische Wirtschaft ist relativ gut durch das Corona-Krisenjahr 2020 gekommen. Quelle: Reuters
Der Hafen von Odessa

Die ukrainische Wirtschaft ist relativ gut durch das Corona-Krisenjahr 2020 gekommen.

(Foto: Reuters)

Berlin Warum ausgerechnet jetzt die Ukraine? Die dritte Coronawelle rollt an, die Beziehungen zu Russland verschlechtern sich rasant – und Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt sich am Freitag die Zeit, um auf einem Wirtschaftsforum in Berlin bei deutschen Unternehmen für ein stärkeres Engagement in der Ukraine zu werben. Mit dabei: der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal und weitere Regierungsmitglieder aus Kiew.

Die Ukraine steht aus drei strategischen Gründen im Fokus:

  • Erstens gilt der wirtschaftliche Erfolg des Landes im Kanzleramt als extrem wichtig, um in der Konfrontation mit Russland bestehen zu können. Russland hat 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim annektiert und unterstützt seither militärisch Separatisten im ostukrainischen Donbass. Russische Staatsmedien stellen das Nachbarland als politisch und ökonomisch gescheiterten Staat dar.
  • Zweitens soll die Ukraine der Europäischen Union helfen, das ambitionierte Ziel zu erfüllen, bis 2050 klimaneutral zu sein. Der größte Flächenstaat Europas soll beim „Green Deal“ der EU eine zentrale Rolle spielen und mittelfristig 7,5 Gigawatt grünen Wasserstoff in die EU liefern. Das ist fast ein Fünftel dessen, was in der gesamten EU selbst bis 2030 an Wasserstoff produziert werden soll (40 Gigawatt).
    „Wenn es gelingt, wird das der Gamechanger in den Beziehungen der EU und Deutschlands zur Ukraine“, sagt der Chef der deutsch-ukrainischen Handelskammer in Kiew, Alexander Markus. Dafür würden aber gewaltige Investitionen nötig, um die bisherige Gastransitpipeline aus Russland für den Wasserstofftransport umzurüsten. Außerdem böten sich die riesigen Gasspeicher in der Ukraine für die Lagerung von Wasserstoff für Europa an.
  • Drittens ist das wirtschaftliche Schicksal der Ukraine eng verbunden mit dem der umstrittenen russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2: Um das Projekt fertigstellen zu können ohne weitere US-Sanktionen dagegen, bietet die Bundesregierung der neuen US-Regierung unter Joe Biden eine stärkere Unterstützung der Ukraine an. Das verlautete aus Berliner Regierungskreisen. Denn Russland könnte den Gastransit statt wie bisher durch die Ukraine durch die Ostsee lenken, auch wenn Moskau bisher versichert, dies nicht tun zu wollen.

Ein erstes Wasserstoff-Pilotprojekt wird bereits am Rande des Wirtschaftsforums vereinbart: Dabei geht es um einen 25 Millionen Euro teuren Elektrolyseur, der mit einer Kapazität von 8,5 Megawatt Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufspaltet. Beteiligt sind neben den beiden Regierungen Siemens Energy sowie der größte ukrainische Energiekonzern Dtek. Das erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Offiziell wollte dies am Donnerstag zunächst niemand bestätigen.

Die Anlage soll am Stahlwerk in Mariupol am Schwarzen Meer entstehen, wo der Wasserstoff  zur emissionsreduzierten Stahlproduktion eingesetzt werden soll. Das Metinvest-Stahlwerk gehört wie Dtek zur SCM Holding des bekannten ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow, der den Champions-League-Klub Schachtar Donezk besitzt.

Ohne politische Unterstützung und Subventionen könnten große Wasserstoffprojekte nicht starten, sagte der CEO von Dtek, Maxim Timtschenko, dem Handelsblatt. Zu dieser Unterstützung zählt er den erhofften Anschluss des ukrainischen Stromnetzes an das Europas bis 2023: „Das gibt einen großen Schub. Sowohl für die Integration unseres Landes in die EU wie auch für den massiven Ausbau erneuerbarer Energien in der Ukraine.“

Ukraine will erneuerbare Energie massiv ausbauen

Sein Unternehmen, das bisher der größte Kohleförderer und -verstromer des Landes ist, setze auf große Investitionen in erneuerbare Energien. Bis 2050 will die Ukraine aus der Kohleförderung aussteigen. Bisher dominiert im ukrainischen Strommix Atomkraft mit über 51 Prozent, gefolgt von Kohle mit gut 35, Wasserkraft mit etwa fünf sowie Wind- und Solaranlagen mit zusammen gut sieben Prozent. Timtschenko sieht „gewaltiges Potenzial“ in der Ukraine: Allein die Windkraft könne von heute 1,1 auf 60 Gigawatt ausgebaut werden, Solaranlagen von 5,4 auf 116 Megawatt.

Neben der 2020 beschlossenen deutsch-ukrainischen Energiepartnerschaft mit Deutschland vereinbarte Premier Schmyhal am Donnerstag in Düsseldorf eine deutsch-ukrainische Digital-Partnerschaft. Die Ukraine hat zahlreiche IT-Unternehmen, die inzwischen bereits für Weltkonzerne digital zuarbeiten und IT-Lösungen programmieren.

Enormes Potenzial sehen auch deutsche Experten: „Ich bin guter Dinge, dass die Ukraine gut aus dieser Krise herauskommt“, ist Philip Sweens, Sprecher des Ukraine-Arbeitskreises des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, überzeugt. Sweens ist Geschäftsführer von HHLA International. Seit 20 Jahren betreibt die Tochter der Hamburger Hafen und Logistik AG ein Containerterminal im Hafen von Odessa und habe dort „massive Steigerungen mit mehr als zehn Prozent jährlich erreicht in den letzten Jahren, von denen man in Hamburg nur träumen kann“.

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Die Ukraine sei „erstaunlich gut“ durch die Krise gekommen, sagt auch Alexander Markus, der Chef der deutsch-ukrainischen Handelskammer in Kiew. So gibt das German Economic Team, eine Beratungsfirma in Kiew den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im vergangenen Jahr mit 4,6 Prozent an und rechnet 2021 bereits wieder mit einem Wachstum von 4,3 Prozent.

Deutsche Kfz-Zulieferer expandieren in der Ukraine

Chancen sehen die beiden deutschen Wirtschaftsvertreter in der Ansiedlung europäischer Tochterunternehmen, die bisher in Asien ansässig waren und deren Lieferketten sich in der Pandemie als zu lang und brüchig erwiesen hätten. „China ist für viele Unternehmen inzwischen zu weit weg, und die Ukraine ist nah an der EU und hat auf absehbare Zeit keine exorbitanten Arbeitskosten“, sagt Markus. Vor allem deutsche Kfz-Zulieferer produzierten schon in der Westukraine und expandierten dort gerade.

Sweens sieht durch „sehr gute IT-Fachleute, die junge Bevölkerung, die große Fläche und industrielles Know-how eine gute Chance, dass die Ukraine einspringen kann“, wo Lieferketten abgerissen waren.

Für diese Relokalisierung wirbt auch die staatliche Investmentförderungsbehörde: Es gebe jetzt Staatshilfen von 30 Prozent für fünf Jahre, wenn Investoren mindestens 20 Millionen Euro in den Aufbau oder die Modernisierung eines Betriebes steckten, sagt Serhij Ziwkatsch, der Chef von Ukraine-Invest, und ergänzt: „Diese wirkliche Unterstützung für Investoren hat bisher in der Ukraine immer gefehlt.“

Doch im gut 41 Millionen Einwohner zählenden Land fehlt es auch an wichtigen Reformen: Die Ukraine habe seit der Maidan-Revolution 2014 „trotz außerordentlicher sicherheitspolitischer, innenpolitischer und wirtschaftlicher Umstände“ schon weitreichende Änderungen umgesetzt, lobt Beata Javorcik, die Chefökonomin der Osteuropaförderbank EBRD. Doch blieben „Fortschritte nötig in zentralen Fragen wie dem Kampf gegen die Korruption, der Justizreform, der Privatisierung von Staatsbetrieben, der Reform der Staatsverwaltung und der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes“. Ohne diese Schritte sei das enorme Wachstumspotenzial der ukrainischen Wirtschaft nicht zu realisieren.

Präsident Selenski kämpft gegen Oligarchen

Investitionswerber Ziwkatsch räumt diese Versäumnisse ein. Doch seien die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU im Gegenzug für ihre Milliardenhilfen eingeforderten Antikorruptionsbehörden mittlerweile aufgebaut worden: „Die Infrastruktur steht, sie muss jetzt noch ans Laufen gebracht werden.“

Immerhin hat der 2019 mit überwältigender Mehrheit gewählte junge Präsident Wolodimir Selenski inzwischen den Oligarchen entschlossen den Kampf angesagt. Als Lackmustest gilt dabei der Fall von Ihor Kolomojski, dem früheren Besitzer der Privatbank, dem größten Geldhaus des Landes.

5,5 Milliarden Dollar waren über Insiderdeals aus dem Institut verschwunden, die Bank wurde 2016 verstaatlicht. Auf Kolomojskis TV-Kanal war Selenski als Comedian zum Fernsehstar reüssiert. Die USA haben ihn gerade auf ihre Sanktionsliste gesetzt. Kolomojski kämpft um die Rückgabe der Bank. Diese Frage wird über die Glaubwürdigkeit der Korruptionsbekämpfung mit entscheiden.

Bekämpft der Präsident die Korruption konsequent? Quelle: dpa
Wolodimir Selenski

Bekämpft der Präsident die Korruption konsequent?

(Foto: dpa)

Korruptionsbekämpfung, aber auch die geplante Reform, damit Agrarland gekauft werden kann, sind nötig, damit der IWF die bisher blockierten 3,6 Milliarden Dollar an weiteren Hilfsgeldern zum Aufstocken der ukrainischen Staatsreserven freigibt. Ohne diesen Schritt wäre es laut Analysten schwer, die elf Milliarden Dollar Staatsschulden bis Jahresende durch neue Anleihen zu ersetzen – obwohl die Ukraine zuletzt erfolgreich am Anleihemarkt war.

Von 3600 Staatsbetrieben sollen 300 übrig bleiben

Auch die geforderten Privatisierungen sollen nun weitergehen. Die Ukraine hat noch 3600 Staatsbetriebe – diese sollen auf 300 reduziert werden. Nachbar Polen hat noch 50 Staatsbetriebe von einst 8000. Der Verkauf solle „jetzt endlich transparent sein, wo früher vieles an Oligarchen ging“, sagt der Chef des Fonds für Staatseigentum, Dmytro Sennytschenko.

Auktionen liefen jetzt online, damit jeder die Gebote verfolgen könne. Mit den anstehenden Privatisierungen großer Firmen wie einer Titanmine, eines berühmten Hotels oder einer alten Fabrik mit einer Fläche von 35 Hektar in der Hauptstadt Kiew würden jetzt internationale Unternehmensberatungen wie KPMG oder BDO und westliche Kanzleien beauftragt. Auch regionale Stromversorger sollen in Kürze verkauft werden, um effizienter zu werden und um Geld in die Staatskasse zu spülen.

Dort wird es dringend gebraucht: Denn um das gewaltige Produktions- und Exportpotenzial zu nutzen, müssten Straßen und Eisenbahn erneuert werden, befindet HHLA-Manager Sweens.

Mehr: Die Wasserstoff-Kooperation mit Saudi-Arabien ist gut für Deutschland

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2 Kommentare zu "Wirtschaftsforum: Im Schatten von Nord Stream 2 ergeben sich enorme Chancen in der Ukraine"

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  • Der Autor, also ich, war 1983 das erste Mal in der Ukraine und bereist regelmäßig seither das Land, teilweise wochenland! Er war auch von 1993-97 und von 1999-2007 Korrespondent in Moskau, ist seither regelmäßig dort und in Kiew. Er kennt auch die russische Überheblichkeit, die sich in Sprichwörtern ausdrückt. Aber es ist wie die russische Küche: Die besten Sachen komen in Wirklichkeit aus dem Kaukasus, aus Zentralasien oder der Ukraine (Borschtsch).

  • Die Dame will uns bis auf den letzten Drücker verkaufen. Alle drei hier angeführten Gründe sind Nonsens. Deutschland wird ausgelacht wenn es glaubt in der Besetzung der Krim irgend etwas bewegen zu können. Nordstream 2 wird fertig gebaut oder nicht- das ist Russland ausser beim Imageverlust piepegal., wenn Putin Gas abstellen will tut er es, umgekehrt wer zwingt Deustchland Gas über die Nordstream Pipeline abzunehmen. Ich weiß nicht ob der Author schon einmal in der Ukraine war, wahrscheinlich nicht, sonst hätte er seinen Artikel anders verfasst. Die Ukrainer sind in Russland als große Spitzbuben beleumundet. Dazu gibt es sogar Sprichwörter. Die großen Pläne der Oberphysikerin sind vor dem Hintergrund der Realität in der Ukraine nichts als heiße Luft mindestens noch für die nächsten 20Jahre. Wunder gibt es immer wieder - aber solche selten. Die Dame sollte doch einmal versuchen ihre eigentliche Arbeit zu tun statt deutsche Steuergelder zu verteilen ohne Sinn und Verstand.

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