
Viele Investoren hoffen auf einen Regierungswechsel in Athen.
Athen Nach dem Debakel bei der Europawahl sucht Premierminister Alexis Tsipras die Flucht nach vorn. Den Urnengang will er um vier Monate vorziehen. Schon in fünf Wochen wählen die Griechen ein neues Parlament. Das seit Anfang 2015 regierende Bündnis der radikalen Linken (Syriza) um Tsipras kämpft um den Machterhalt. Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), die mit fast zehn Prozentpunkten Vorsprung als klarer Sieger aus der Europawahl hervorging, spürt indes kräftigen Rückenwind.
Viele Investoren hoffen auf einen Regierungswechsel – und eine wirtschaftsfreundlichere Politik. Egal wer die Abstimmung am 7. Juli gewinnt: Die nächste Regierung steht in der Wirtschaftspolitik vor großen Herausforderungen. Mit hohen Steuern, verschleppten Reformen und einem investitionsfeindlichen Klima hat sich das Land in den vergangenen Jahren ausgebremst.
Tsipras versichert seinen Landsleuten bei jeder Gelegenheit, man habe die Krise hinter sich gelassen und ein neues Kapitel aufgeschlagen. Tatsächlich wächst die Wirtschaft nach acht Jahren Rezession seit 2017 wieder, allerdings schwächer als erwartet. Im vergangenen Jahr legte die Wirtschaftsleistung um 1,9 Prozent zu, prognostiziert waren 2,5 Prozent. Und in einigen Bereichen macht Griechenland Rückschritte statt Verbesserungen. Das gilt vor allem für die Wettbewerbsfähigkeit.
Nach anfänglichen Erfolgen in den Krisenjahren, fällt das Land im internationalen Vergleich wieder zurück. Das zeigt die jüngste Statistik der Schweizer Wirtschaftshochschule International Institute for Management Development (IMD). Von 2011 bis 2014 hatte sich Griechenland dank der Strukturreformen, die Athen unter dem Druck der öffentlichen Geldgeber umsetzen musste, vom 58. auf den 50. Rang unter 63 bewerteten Ländern vorgearbeitet.
Doch gleich nach Tsipras‘ Amtsantritt im Jahr 2015 ging es wieder bergab auf den 56. Platz. In der jüngsten Rangliste vom IMD für das Jahr 2018 fiel das Land weiter auf Rang 58 und damit wieder aufs Niveau von 2011 zurück. In der Europäischen Union steht nur Kroatien noch schlechter da.
Griechenland steht vor fünf großen Herausforderungen
Das IMD misst die Wettbewerbsfähigkeit anhand von 235 Indikatoren, von makroökonomischen Parametern bis zu „Soft-Data“ wie Umfragen über Themen wie soziale Kohäsion, Globalisierung und Korruption. Den Spitzenplatz nimmt in der jüngsten Rangliste Singapur ein, vor Hong Kong und den USA. Deutschland liegt auf Platz 17.
In seiner Studie nennt das IMD fünf große Herausforderungen, vor denen Griechenland steht, wenn es seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern will: Eine Steuerpolitik, die Investitionen fördert, einen Abbau der bürokratischen Investitionshürden, eine Verbesserung der Liquidität des Privatsektors, eine Industriepolitik, die neue Arbeitsplätze schafft, sowie eine Reform der Sozialversicherung, um die Nachhaltigkeit des Rentensystems zu sichern.
Auch im jüngsten Wettbewerbs-Ranking des World Economic Forums, dem Global Competitiveness Index, fällt Griechenland zurück, nämlich vom 53. Platz unter 140 beobachteten Ländern im Jahr 2017 auf den 57. Rang im vergangenen Jahr. Es lag damit noch hinter Bulgarien und Rumänien. Besonders schwach schneidet das Land in den Kategorien Innovation, Finanzsystem, Institutionen, Arbeitsmarkt und Geschäftsdynamik ab.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mahnte ebenfalls in ihrem jüngsten Bericht zur Wirtschaftsentwicklung, Athen müsse den Weg der Reformen weitergehen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Privatisierungen, die frisches Kapital anziehen könnten, kämen langsamer als erwartet voran, kritisiert die OECD. Das Land müsse außerdem mehr in die Infrastruktur sowie das Bildungswesen investieren. Athen sollte auch für mehr Effizienz und Kontrolle bei den öffentlichen Ausgaben sorgen, empfiehlt die Organisation.
Ein besonders akutes Problem ist die Steuerpolitik. Die Regierung Tsipras hat im Rahmen ihres Umverteilungsprogramms in den vergangenen vier Jahren die Besteuerung der Unternehmen, der Mittelständler und der Freiberufler massiv erhöht und einen Großteil der so eingenommen Gelder in Form von Bonuszahlungen an Rentner und Geringverdiener verteilt.
Mittelschicht besonders belastet
Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Grand Thornton mussten die griechischen Unternehmen im Jahr 2016 rund 58 Prozent ihrer Gewinne für Steuern aufwenden. 2017 waren es bereits 60 Prozent.
Vor allem die griechische Mittelschicht leidet in den vergangenen Jahren unter den hohen Abgaben. Die Steuerpolitik sei eine der Hauptursachen für die schweren Verluste der Regierung bei der Europawahl, sagen Wahlforscher. Die Meinungsumfragen lassen erwarten, dass die Konservativen auch die bevorstehende Parlamentswahl gewinnen.
Offen ist, ob es für eine absolute Mehrheit der Mandate im nächsten Parlament reicht. „Gefragt sind jetzt politische und wirtschaftliche Stabilität“, sagt Michaela Balis, Griechenland-Expertin von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest in Athen. „In diesem Sinne sind die vorgezogenen Wahlen positiver als eine lange Vorwahlzeit“, so Balis.
Die meisten Wirtschaftsführer setzen auf einen Regierungswechsel. ND-Chef Kyriakos Mitsotakis verspricht eine Steuerreform, die Investitionen begünstigen, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und neue Arbeitsplätze schaffen soll. Davon dürfte auch Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit profitieren.
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