Wirtschaftskurs der US-Regierung Wie Amerika mit seinem Protektionismus Deutschland schadet – und sich selbst

Mit hohen Schutzzöllen will Präsident Biden Arbeitsplätze im eigenen Land sichern. Dabei geht es vor allem um Wählerstimmen.
Washington, Düsseldorf Turbinen rotieren in einer Hightech-Fabrik, ein moderner Zug zischt kraftvoll davon, eine Brücke aus Stahl glänzt in der Sonne. Das sind Szenen aus einer neuen Werbekampagne der US-Regierung. Amerika baut sich wieder auf, Amerika bewegt sich noch schneller, besser, weiter – das ist die Botschaft dieses Videos. Präsident Joe Biden verspricht darin, dass „amerikanische Steuergelder wieder amerikanischen Arbeitern und Unternehmen zugutekommen werden“.
Der Zeitpunkt der Kampagne ist kein Zufall. Vergangene Woche holte Washington zu einem politischen Doppelschlag aus, der den Protektionismus der USA auf Jahrzehnte zementieren könnte. So einigte sich der US-Kongress auf ein rund eine Billion Dollar schweres Infrastrukturprogramm, das nicht nur das Wachstumspotenzial erhöhen, sondern vor allem die heimische Industrie zu alter Stärke zurückführen soll.
Gleichzeitig kündigte Biden schärfere Regeln für ausländische Firmen an, die sich in den USA auf öffentliche Ausschreibungen bewerben. Die Maßnahmen sollen „nur der Anfang“ sein, um Lieferketten, Produktion und Innovationen unabhängiger vom Rest der Welt zu machen, so der Präsident.
Sechs Monate ist Biden jetzt im Amt. Er war als Anti-Trump angetreten, wollte Amerika wieder zum verlässlichen Partner machen. Und, ja, der Ton hat sich verändert, der Kooperationswille ist da.
Doch spätestens mit dem neuen Infrastrukturpaket dürfte auch dem letzten Transatlantiker klar sein: „Bidenomics“ bedeuten nicht weniger „America first“. Im Gegenteil, Protektionismus ist eine Konstante der Präsidentschaft Bidens – in mancher Hinsicht ist er hier sogar konsequenter als Trump.
Blockade der Welthandelsorganisation
Beispiel Einreisebeschränkungen: Merkel hatte das Thema bei ihrer Washington-Visite zur Chefsache erklärt. Bidens Reaktion war, dass er die Regelung auf unbestimmte Zeit verlängerte. Beispiel Freihandel: Weder die Blockade der Welthandelsorganisation durch die unbesetzten US-Richterstellen ist aufgehoben, noch hat Biden eine ernsthafte Initiative gestartet, um die von Trump erhobenen Strafzölle aufzuheben.
Beispiel Corona-Krisenmanagement: Lange weigerte sich der Präsident, Vakzine von Astra-Zeneca zu exportieren, obwohl sie in den USA gar nicht verimpft wurden.
Weder der Verzicht auf Sanktionen bei Nord Stream 2 noch die Annäherung im Boeing-Airbus-Streit können darüber hinwegtäuschen, dass etwa ein transatlantisches Freihandelsabkommen ins Reich der Fantasie gehört. Der protektionistische Kurs der USA trifft bei Weitem nicht nur den Systemrivalen China, er belastet auch die europäischen Partner, allen voran Deutschland, den wichtigsten Handelspartner der USA in der EU. Im vergangenen Jahr exportierte die Bundesrepublik Waren im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro in die USA.
Die Ernüchterung diesseits des Atlantiks ist groß. „Wer gehofft hatte, mit Biden würde alles gut, sodass die deutsche Wirtschaft wieder unbehindert in den USA agieren könne, ist jetzt eines Besseren belehrt“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).
Denn Protektionismus sei „keine Trump‘sche Erfindung, sondern eine fast überparteiliche Antwort auf die innenpolitischen Probleme und Spaltungen der USA“. Der stellvertretende Vorsitzende der Atlantik-Brücke beklagt auch die „zunehmenden wirtschaftlichen Schäden“ des Reisebanns. „Die Steuerung internationaler Wertschöpfungsketten, gemeinsame Entwicklungen und der geschäftliche Austausch leiden sehr“, so Hüther.
Auch BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang kritisiert den Präsidenten offen: „Die US-Regierung schadet sich selbst und anderen.“ Verzögerungen in der Produktion, Lieferung und Durchführung strategischer Projekte behinderten die beherzte Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivität.

Der US-Präsident knüpft nahtlos an die protektionistische Politik seines Vorgängers an.
„Unter den Beschränkungen leiden nicht nur die vielen in den USA aktiven deutschen Unternehmen, sondern auch alle beteiligten Akteure, wie Lieferanten, Partner und Kunden vor Ort“, beklagt Lang. Deutsche Unternehmen stellen mit rund 860.000 Jobs den drittgrößten ausländischen Arbeitgeber in den USA.
Die nächsten Hürden drohen noch in diesem Jahr – in Gestalt des Infrastrukturpakets. Eigentlich tun sich bei Investitionen in Straßen, Stromnetze, Breitband, Ladestationen und Wasserleitungen jede Menge Gelegenheiten auf, um vom Bauboom in den USA zu profitieren. Doch auf dem Capitol Hill gilt als wahrscheinlich, dass das Paket US-Firmen bevorzugen wird.
Rein rechtlich wäre das wohl kein Problem: Die meisten Aufträge werden von US-Bundesstaaten und Gemeinden verteilt, die nicht den Wettbewerbsregeln der WTO unterliegen. Der Handelsexperte Dan Ikenson sieht darin selbstschädigendes Verhalten. Unternehmen, „die besonders gut sind bei grünen Projekten, Verkehr, Breitband und Smart-City-Design, sitzen in Europa und Asien“, schrieb er im „Forbes“-Magazin. Die USA könnten viel von Firmen wie Siemens lernen, „den besten ihrer Klasse“.
Biden bedient sich alter Kriegsgesetze
Tatsächlich werden internationale Wettbewerber gezielt vom US-Markt ferngehalten. So verpflichtet das neue „Buy American“-Dekret Vertragspartner der US-Regierung, die Komponenten von gelieferten Waren zu 75 Prozent aus den USA zu beschaffen. Zuvor waren es 55 Prozent.
Öffentliche Aufträge sind lukrativ, die US-Regierung kauft für 600 Milliarden Dollar jährlich Waren ein. Doch potenzielle Interessenten haben es jetzt schwerer, den Zuschlag zu bekommen. Künftig sollen sie schriftliche Beweise vorlegen, dass sie die neuen Anforderungen erfüllen.
Bislang sei es leicht gewesen, die Vorschriften zu umgehen, sagte Anwalt Dismas Locaria dem Fachmagazin „Federal News Network“. „Damit ist es jetzt vorbei.“ Während Teile der Industrie jubelten, kritisierte die US-Handelskammer das Dekret als „ineffizient und kontraproduktiv“.
Ähnlich wie Trump, der für seine Strafzölle uralte Gesetze aus Kriegszeiten aktivieren ließ, bedient sich Biden einer Vorschrift, die fast ein Jahrhundert alt ist: Der „Buy American Act“ stammt aus dem Jahr 1933. Er wurde im Laufe der Zeit immer wieder angepasst – aber kein moderner Präsident wollte ihn so konsequent anwenden wie Biden. Kürzlich berief er sogar eine „Made in America“-Direktorin.
Die Handelsexpertin und Lobbyistin der Fertigungsindustrie, Celeste Drake, hat seit April eine einzige Aufgabe im Weißen Haus: Tausende Bundesbehörden im ganzen Land zu motivieren, heimische Produkte zu erwerben, koste es, was es wolle. Zuletzt gab die US-Regierung 22 Millionen Dollar für Schutzmasken aus den USA aus, obwohl diese etwa ein Drittel mehr kosten als die aus Asien importierten.
Auch umgekehrt funktioniert die Blockade von Warenströmen. Seit Ausbruch der Covidkrise haben die USA die Exporte wichtiger medizinischer Produkte für die Pandemiebekämpfung streng reguliert. Zwar will Washington rund 80 Millionen Impfdosen an Schwellen- und Entwicklungsländer verteilen. Doch die Ausfuhr von Impfstoff-Komponenten sowie von Fläschchen und Spritzen ist weiterhin begrenzt – zum Verdruss der europäischen Partner. Grundlage dafür ist der sogenannte Defence Production Act (DPA), der noch aus der Zeit des Koreakriegs stammt.
Seine Klimapolitik hat der Präsident ebenfalls entlang des Buy-American-Prinzips ausgerichtet. „Es gibt keinen Grund, warum Rotorblätter für Windkraftanlagen nicht in Pittsburgh statt in Peking gebaut werden können“, sagte er in seiner Rede an die Nation. In der Praxis allerdings scheint Bidens Protektionismus kaum vereinbar mit seiner Vision eines grünen, nachhaltigen Amerika.
So hatte seine Regierung voller Stolz angekündigt, 180.000 neue Fahrzeuge für den staatlichen Postdienst im Inland zu bestellen. Der Milliardenauftrag ging an Oshkosh, ein Unternehmen aus Wisconsin. Doch die Produktion steht still, weil die Firma nur zehn Prozent der Flotte als E-Modelle garantieren kann.
IfW-Chef: „Preise steigen deutlich an“
Biden weiß, dass seine Partei langfristig nur dann stark bleibt, wenn sie die überwiegend weißen Fabrikarbeiter des Mittleren Westens für sich gewinnt. Das ist auch der Grund dafür, warum er sich weigert, die Strafzölle auf Stahl und Aluminium aufzuheben.
Die Gewerkschaft United Steelworkers (USW), die Hunderttausende Arbeiter in der Fertigung vertritt, drängt darauf, die Strafzölle beizubehalten. Was der Stahlindustrie nützt, schadet allerdings dem Rest der Wirtschaft. Die Stahlpreise in den USA explodieren, überall herrscht Stahlmangel.
„Ganz zweifellos hat dieser Protektionismus volkswirtschaftliche Kosten, denn die Preise, die US-Konsumenten und öffentliche Nachfrager für Güter und Dienstleistungen bezahlen müssen, steigen deutlich an“, warnt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft.
Die Wiederbelebung der amerikanischen Industrie ist Bidens größte Mission. „Ich habe zwei Wörter für euch: Buy American“, rief Biden vergangene Woche Facharbeitern in Pennsylvania entgegen, vor glänzenden Lkws und riesigen US-Flaggen.
Das verarbeitende Gewerbe schrumpft seit Jahrzehnten, von 20 Millionen Jobs in den 70er-Jahren sind rund zwölf Millionen übrig. Ob es gelingen kann, die Arbeitsplätze mit protektionistischen Maßnahmen zurückzuholen, darf bezweifelt werden. Auch das gigantische US-Handelsbilanzdefizit wird Biden mit seiner Politik kaum abbauen. 2020 markierte es trotz aller Strafzölle, die Trump einführte, einen neuen Rekord von 905 Milliarden Dollar.
Die Handelspartner der USA dürften sich gegen „America first“ zur Wehr setzen. Sogar der sonst eher vorsichtige Internationale Währungsfonds (IWF) nannte Bidens Protektionismus „sehr besorgniserregend“ und rief die US-Regierung auf, „Handelsbeschränkungen und Zollerhöhungen rückgängig zu machen“.
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- Nachtrag -
Welche Staaten können es sich überhaupt leisten, Protektionismus zu betreiben?
Eigentlich nur Großstaaten, wobei hier nicht die Fläche ausschlaggebend ist, sondern die Größe des Binnenmarktes und insbesondere auch die vorhandenen Rohstoffe.
Kleinstaaten dagegen sind fast immer dazu gezwungen, Freihandel zu betreiben und können überhaupt nicht protektionistisch sein! Dazu Hans-Hermann Hoppe:
"Kleinstaaten müssen eine Niedrig-Steuer und -Regulierungspolitik durchführen, ansonsten hauen insbesondere die produktivsten Bürger einfach ab. Ein Weltstaat - mit ein- und derselben weltweiten Steuer- und Regulierungspolitik unterliegt diesem Zwang nicht. (...) Darüber hinaus muss ein Kleinstaat fast notwendigerweise eine Freihandelspolitik betreiben, denn Protektionismus würde entweder Hunger oder gar Tod für seine Bürger bedeuten. (...) Je kleiner ein Gebiet und sein Binnenmarkt, umso wahrscheinlicher ist es darum, dass es für Freihandel optiert. Für einen Großstaat wie die USA dagegen - mit einem riesigen Binnenmarkt - würde Protektionismus zwar eine deutliche Wohlfahrtsverringerung bedeuten, aber deswegen müsste dort noch niemand auf der Straße verhungern." (Der Wettbewerb der Gauner, Berlin 2012, S. 45f.)
Deshalb ist "Kleinstaaterei" per se eben ganz und gar nichts Schlechtes, wie nahezu immer geurteilt wird! Und das bedeutet eben auch, dass - je mehr gerade auch die EU expandiert - umso mehr Protektionismus und umso weniger Freihandel kann auch sie sich leisten!!
Spätestens jetzt muss Europa klar sein, dass es sich emanzipieren muss - und seine Nachbarn freundschaftlich einbindet.
Unsere Zukunft liegt in Europa und da gehört m.W. auch Russland dazu und nicht in den Armen der Amerikaner. Die Amerikaner haben schon immer ihre eigenen Interessen vertreten was man ja auch durchaus akzeptieren kann bzw. muss. Wir müssen aber daraus endlich die richtigen Schlüsse ziehen.
O-Ton nahezu aller deutscher LeiDmedien vor einem Jahr: mit Trump war alles schlecht und mit Biden wird alles besser! ;-)
Und was tat Biden bis jetzt?? Nur innenpolitisch gab es ein paar "Wahlgeschenke" an die "linke" Wählerschaft (die US-Demokraten sind ungefähr die deutschen Sozialdemokraten), aber außenpolitisch setzte er de facto Trumps Kurs fort.
Nur Trump war kein Berufspolitiker wie Biden, sondern "gelernter" ImmobilienBAUER. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes aufgebaut. Deshalb habe ich auch bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft geschrieben, dass Trump keinen Krieg führen wird, weil Krieg das genaue Gegenteil von Aufbau ist!!
Die Biden-Administration dagegen eskaliert immer mehr gegen China und Russland - und das ist brandgefährlich!! Wenn Deutschland außenpolitisch nicht weiter nur kleiner US-Vasall bleiben will (was jedoch absolut zu befürchten ist), dann muss es hier konsequent die US-Regierung zur Mäßigung und Deeskalation aufrufen!