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Wirtschaftspolitik Japans neue Regierung geht ohne Reformschwung in die Wahlen

Gerade mit dem Versprechen auf Umverteilung eroberte Fumio Kishida seine Partei. Doch im Programm für die Unterhauswahlen findet sich das nicht wieder – genauso wenig wie Reformen.
24.10.2021 - 12:31 Uhr Kommentieren
Viele der wirtschaftspolitische Punkte des japanischen Regierungschefs werden oft als vage kritisiert werden. Quelle: Getty Images
Fumio Kishida

Viele der wirtschaftspolitische Punkte des japanischen Regierungschefs werden oft als vage kritisiert werden.

(Foto: Getty Images)

Tokio Gerade mal knapp drei Wochen ist Japans neuer Regierungschef Fumio Kishida im Amt. Doch vor den Unterhauswahlen am 31. Oktober wirkt er bereits wirtschaftspolitisch entkernt und politisch geschwächt.

Seine Versprechen auf einen „neuen Kapitalismus“ und Umverteilung sind klassischer japanischer Wachstumspolitik auf Pump gewichen, meint James Brady, Japan-Experte des Politberaters Teneo Intelligence. „Kishida scheint nicht auf harte politische Auseinandersetzungen erpicht zu sein.“

Zwei Bilder zeigen den Wandel: Als er Ende August seine Kandidatur für die Präsidentschaft der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) ankündigte und damit den Sturz von Regierungschef Yoshihide Suga einleitete, hielt er so etwas wie seine Reformbibel empor, ein blaues Heftchen mit Notizen aus Bürgergesprächen.

Er versprach eine Parteireform, um nach vielen Skandalen seiner LDP eine Vertrauenskrise abzuwenden – und vor allem einen „neuen Kapitalismus“ mit höheren Gehältern für die Mittelschichten. Doch das Wahlprogramm präsentierte lächelnd seine unterlegene Gegenkandidatin, die LDP-Politikchefin Sanae Takaichi. Mit Kishidas Slogan einer „neuen Ära für alle“ auf dem Titel – aber ohne einige seiner Kernforderungen.

Parteireform – gestrichen; Verdopplung der Einkommen – gestrichen, Erhöhung der Kapitalertragssteuer – gestrichen; neue Ämter für Kindesfürsorge und das Management von Gesundheitskrisen – gestrichen. Dafür haben Takaichi und der rechte Flügel der Partei, den sie vertritt, Kishida ihre Wirtschaftspolitik ins politische Pflichtenheft diktiert.

Bei weiteren Coronahilfsprogrammen, die sich auf mehrere Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen könnten, besteht dabei noch Konsens. Und dies, obwohl die bisherigen Gegenmaßnahmen Japans Schuldenstand nach einigen Schätzungen um 20 Prozentpunkte auf fast 270 Prozent des BIP getrieben haben. Doch auch Takaichis Ideen, Investitionen in Katastrophenvorsorge und neue Atomtechnik, namentlich erwähnt kleine, modulare Atomkraftwerke, werden prominent erwähnt.

Kishida umarmt die Abenomics – ohne Reformen

Gleichzeitig schwenkte Kishida auf die Grundidee der „Abenomics“ genannten Wirtschaftspolitik seines Vor-Vorgängers Shinzo Abe ein: Japan mit hohen Staatsausgaben, Geldschwemme der Notenbank und Wachstum aus den Schulden herauswachsen zu lassen. „Erst Wachstum, dann Steuererhöhungen“ ist Kishidas neuer Slogan – zur Freude des Marktes.

„Die Sorgen der Anleger, dass Kishidas Kabinett Umverteilung zu sehr zuungunsten von Wachstum betonen würde, sollten sich verringern“, meint Takeshi Yamaguchi, Volkswirt von Morgan Stanley MUFG Securities in Tokio. Tatsächlich: Der Nikkei-225-Index, der nach Kishidas Wahlsieg in den LDP-Präsidentschaftswahlen abgerutscht war, sprang nach seinem Rückzieher zwei Prozent in die Höhe und steigt seither wieder. Denn Umverteilung gilt vielen Ökonomen nicht als Japans vorrangiges Problem.

Japan läge im Schnitt der OECD, einer Organisation der klassischen Industrieländer, erklärt Naohiko Baba, Chefvolkswirt von Goldman Sachs Japan. „Und Japan hat das zweitkleinste Wohlstandsgefälle in der OECD.“ Die oberen zehn Prozent Japans besitzen statistisch 41 Prozent des Vermögens. In Deutschland liegt der Wert bei 55 Prozent, in den USA bei 79 Prozent.

In Umfragen geben ebenfalls deutlich mehr Japaner Wachstum den Vorzug vor Umverteilung. Nur die Rentner hoffen mehrheitlich auf mehr Geld. Dies habe möglicherweise zur Verwirrung der Bürger und Anleger über Kishidas Fokus auf Umverteilung beigetragen, vermutet Baba.

Die erste Zustimmungsrate für Kishidas Kabinett lag in Umfragen bei rund 60 Prozent, dem zweitschlechtesten Anfangswert einer Regierung seit 20 Jahren. Daher wird mit Spannung erwartet, ob Kishida in den Wahlen die Mehrheit der Regierungskoalition mit der kleinen Neuen Gerechtigkeitspartei verteidigen kann. Wie erwartet hatte Kishida am 14. Oktober das Unterhaus aufgelöst und damit den Weg für Neuwahlen freigemacht.

Reformeifer Fehlanzeige: Das alte Japan reckt sein Haupt

Wenig hilfreich für Kishidas Ansehen ist zudem, dass auch andere wirtschaftspolitische Punkte oft als vage kritisiert werden. Dabei ist der Handlungsbedarf enorm: Das Wachstumspotenzial ist sehr niedrig, die Wirtschaft wenig digitalisiert, während die Bevölkerung bereits schrumpft.

Immerhin spricht das Programm für den Volkswirt Baba viele wichtige Punkte an: die Förderung der Forschung mit hohen Hilfsgeldern, eine neue Energiestrategie, die allerdings auch auf Atomkraftwerke setzt, Digitalisierung der Städte und vor allem des ländlichen Raums, eine Strategie zur ökonomischen Sicherheit für stabilere Lieferketten und die Sicherung der Altersvorsorge.

Digitalisierung und die Förderung grüner Energien sind dabei besonders wichtig für Japans kurz- und langfristiges Wachstum, meint Baba. Doch damit kommt Kishidas Grundproblem zum Tragen: fehlender Reformeifer. In seiner ersten Pressekonferenz erwähnte Kishida das Wort Reform nicht einmal, während sein Vorgänger Suga es noch 16 Mal nutzte.

Viele Wirtschaftsbereiche müssten drastisch dereguliert werden, damit Japan seine Produktivität erhöhen könnte, meint Martin Schulz, Chefvolkswirt des Technikkonzerns Fujitsu. Und ohne höhere Produktivität würden die Unternehmen auch ihre Gehälter nicht wie von der Regierung gewünscht erhöhen können.

Doch Kishida scheint die Politikgestaltung bisher an die LDP und vor allem die Bürokratie zu delegieren, die Japan seit Jahrzehnten selbst bei schnell wechselnden Regierungschefs stabil verwaltet hat. Für den Teneo-Analysten Brady steuert Japan damit wieder auf die traditionelle LDP-Strategie des „Kauf heute, zahl morgen“ zu.

Mögliche Spannungen mit dem Finanzministerium

Dies könne zu Spannungen mit dem Finanzministerium führen, dessen Top-Beamter in einem Magazinartikel die Ausgabenwut der Politik kritisiert hatte. Makroökonomisch äußert Brady zudem die Sorge, dass Kishida der Wille oder Mut fehle, umfassende Reformen durchzuführen.

Mehr: Global Risk: Das Schuldenexperiment: Wann der japanische Mythos verblassen wird.

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