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Zeitzeugenbericht einer Handelsblatt-Korrespondentin 20 Jahre nach dem 11. September: „New York lässt sich nicht unterkriegen“

Biden gedenkt zum 11. September am Ground Zero den Opfern. Er besucht eine Stadt, die wieder einmal in einer Krise steckt. Beobachtungen einer Zeitzeugin zwei großer Krisen.
11.09.2021 - 12:00 Uhr Kommentieren
Gemeinsam mit Michelle und Barack Obama sowie dem früheren New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg besuchten US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden Ground Zero. Quelle: Reuters
Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001

Gemeinsam mit Michelle und Barack Obama sowie dem früheren New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg besuchten US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden Ground Zero.

(Foto: Reuters)

New York In dem „J“ von „Juan Armando Ceballos“ steckt ein puerto-ricanisches Fähnchen. Der damals 47-Jährige hatte im World Trade Center Post ausgetragen, als das zweite Flugzeug in die obersten Stockwerke des südlichen Turms raste. Heute ist sein Name in das Denkmal am Ground Zero eingraviert. 

Dort, wo einst der Turm stand, rauscht heute Wasser in einen tiefen, eckigen Schlund in der Mitte des quadratischen Mahnmals. Die zwei Brunnen auf den Grundrissen der Türme sind eingerahmt von schwarzem Marmor, in dem die Namen von fast 3000 Menschen verewigt sind, die hier vor zwei Jahrzehnten ihren Tod fanden.

Mir fällt es bis heute schwer, Ground Zero zu betreten und Touristen beim Selfie machen vor einem Massengrab zu sehen. Ich selbst war damals auf dem Weg zur Arbeit nur wenige Meter neben dem südlichen Turm, wo heute der Name von Juan Armando Ceballos steht, als ich das zweite Flugzeug links von mir kommen sah, bevor es weit über mir in das Gebäude schellte.

Damals lag das Handelsblatt-Büro im One World Financial Center – auf der anderen Seite der Straße. Der erste Turm war gerade erst getroffen worden, als ich aus der U-Bahn-Station Fulton Street stieg. Die Menschen riefen verwirrt durcheinander „A plane! A plane! “, während die Research-Papiere der Finanzhäuser gegen den strahlend blauen Himmel aus der Höhe auf den Boden rieselten. Polizisten sperrten den Zugang ab, sodass ich nicht den üblichen Weg zwischen den beiden Türmen nehmen konnte, sondern außen um den damals noch intakten südlichen Turm gehen musste.

Als das Flugzeug neben mir einschlug, rannte ich so schnell ich konnte in die entgegengesetzte Richtung, um nicht von den fallenden Gebäude- und Flugzeugteilen getroffen zu werden. Aus Angst vor weiteren Luftangriffen – wir konnten damals nicht wissen, dass nur zwei geplant waren - habe ich in der U-Bahn-Station von Bowling Green am äußersten Ende Manhattans Schutz gesucht und wohl einen der letzten Züge raus Richtung Brooklyn bekommen. Dort saßen bereits Verletzte drin.

Joe Biden besucht eine Stadt, die schon viele Krisen gemeistert hat

Ich weiß bis heute nicht, wo die U-Bahn angehalten und uns rausgeworfen hat und wie ich – nach einem langen Fußmarsch - nach Hause gekommen bin. Noch Monate danach hat der 11. September mein Leben und mein Arbeiten dominiert. Den süßlichen Geruch von verbranntem Menschenfleisch, der tagelang über der Stadt hing, werde ich nie vergessen.

Zwei Jahrzehnte später bauen Arbeiter an einem ebenso klaren Spätsommertag wie damals eine kleine Bühne zwischen den einstigen Türmen auf. Am Samstagmorgen besuchte US-Präsident Joe Biden den Ort, an dem heute ein großes Loch im Boden als Denkmal den Ort des Attentats in Erinnerung hält. Zusammen mit den Ex-Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton nahm Biden an der Zeremonie am Ground Zero Teil. Er selbst ergriff dabei nicht das Wort. In einem zuvor veröffentlichten Video hatte Biden angesichts des Jahrestags die Einheit der US-Amerikaner beschworen.

Lichter erstrahlen über Manhattan in Gedenken an die Anschläge vom 11. September 2001. Quelle: Reuters
Ground Zero

Lichter erstrahlen über Manhattan in Gedenken an die Anschläge vom 11. September 2001.

(Foto: Reuters)

Biden kommt in ein New York, das wieder einmal mit einer Krise zu kämpfen hat. 20 Jahre nach dem Attentat und mehr als ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise ist die Stadt heute damit beschäftigt, die Auswirkungen der Coronakrise zu meistern. 18 Monate nachdem New York zum Epizentrum der Covid-Pandemie geworden war, kämpft die Finanz- und Amüsierhauptstadt der USA immer noch mit Büros, die sich nicht füllen wollen, mit steigender Kriminalität und mit leeren Staatskassen. Doch New York gibt nicht auf.

„New York lässt sich nicht unterkriegen“, ist Klaus-Peter Statz überzeugt. Der Deutsche hat lange die Niederlassung der Deutschen Telekom in New York geleitet hat und war auch am 11. September vor Ort. Er hat aber auch gesehen, wie die Stadt nach den Terroranschlägen wieder auferstanden ist und selbst die Finanzkrise im Nachhinein nur als kleine Delle gemeistert hat. 

Ersten Live-Events, während die Banker zuhause bleiben

„Diese Stadt wird auch diesmal zurückkommen“, sagt der Wahl-New Yorker, während er an einem Spätsommerabend auf der Terrasse des „Tribeca Rooftop“ auf die zwei starken Lichtstrahlen blickt, die hinter dem neuen „One World Trade Center“ den dunklen Himmel erklimmen. Ein abendliches Lichtspektakel im Gedenken an den 11. September.

Statz ist zum Empfang der deutsch-amerikanischen Handelskammer (GACC) gekommen, die ihre Mitglieder zum ersten Empfang seit Beginn der Pandemie geladen hat. Auch das ist ein Versuch, ein Stück Normalität nach New York zurückzubringen – und ein Versuch, persönliche Veranstaltungen mit dem Virus zu vereinbaren: Alle Gäste mussten beim Eingang ihre Covid-Impfung nachweisen.

„Wir freuen uns, dass wir uns endlich wieder persönlich sehen können“, sagt auch der Vorsitzende der Kammer Dietmar Rieg. Der Empfang ist ein Test, dem mehr als 120 Menschen dankbar gefolgt sind. Aber es gab auch viele Mitglieder, die sich noch nicht trauen, zu kommen. Da geht es der Handelskammer wie so vielen Unternehmen in der Stadt.

Das die Twin-Türme des World Trade Centers am 11. September 2001. Quelle: AP
Terroranschläge am 11. September

Das die Twin-Türme des World Trade Centers am 11. September 2001.

(Foto: AP)

Auch viele Banker wollen noch nicht zurück in ihre Büros – entweder weil sie Angst vor der Ansteckung haben oder weil sie schlicht das Home Office vorziehen. „Wir haben auf unserer Etage Platz für 70 Leute und waren heute gerade einmal sieben“, berichtet ein Banker nach seiner Arbeit beim Drink im Bryant Park gleich neben der berühmten Public Library. Hier in Midtown, wo Unternehmen wie die Bank of America, Salesforce und Schroeders ihre Bürotürme haben, ist es zwar nicht mehr so gespenstisch leer wie noch vor ein paar Monaten. Aber von dem einstigen Treiben ist die Gegend immer noch weit entfernt. Leer stehende Ladenlokale und Restaurants sind die Folge.

Michael Bloomberg vergleicht die Lage heute mit der Zeit nach dem 11. September

Damit gleicht die Lage heute der Situation nach dem 11. September, findet der Finanzmedien-Milliardär Michael Bloomberg, der zwischen 2002 und 2013 als Bürgermeister von New York am Wiederaufbau beteiligt war. „Die Zukunft von New York wird in Frage gestellt, Stadtviertel haben Einwohner an die Suburbs verloren. Geschäfte mussten schließen. Die Menschen sorgen sich um die öffentliche Sicherheit. Und Familien trauern um ihre Lieben“, beschreibt er in einem Kommentar für die New York Times die Parallelen der Lage damals und heute. 

Die Arbeitslosigkeit liege im zweistelligen Bereich, Büros stehen leer und die Tourismusindustrie leidet massiv und die wirtschaftlichen Schmerzen bekommen vor allem die ärmeren Familien zu spüren. „Dennoch haben wir guten Grund hoffnungsvoll zu sein, weil wir, was damals getan wurde, wieder tun können“, schreibt er.

Unter anderem wurde die Stadt unter Bloombergs Führung weniger abhängig von der Finanzindustrie, indem sie stärker auf Tech-Unternehmen setzte und auch das Film- und Fernsehgeschäft massiv ausbaute. Das hat New York langfristig verändert und in der Finanzkrise geholfen. Noch vor der Pandemie hatte die Zahl der Tech-Jobs in der Stadt die der Finanzjobs überholt. Auch mitten in der Pandemie bauen Streaming-Dienste wie Netflix ihre Studios in Manhattan und Brooklyn massiv aus. Immer wieder sind in New York auch in diesen Tagen Straßen gesperrt, weil Film-Crews gerade wieder irgendeine Serie drehen.

Auch der Immobilienmarkt deutet auf eine Erholung hin. Nachdem in den Hoch-Zeiten der Pandemie mehr als 400.000 New Yorker zumindest vorübergehend die Stadt verlassen hatten, boten die Hausbesitzer zum Teil zwei Monate gratis Miete an, um Mieter zu locken. Die Verkaufspreise fielen in Manhattan um bis zu einem Viertel. Doch davon ist nicht mehr viel zu sehen. Gerade junge Menschen strömen zurück in die Stadt und treiben die Preise wieder nach oben.

New York habe es in seinen 400 Jahren immer wieder geschafft, sich selbst neu zu erfinden, meint auch der renommierte Stadtplaner Mitchell Moss von der NYU: nach der Cholera-Epidemie im 19. Jahrhundert, nach der Spanischen Grippe, nach dem 11. September und nach der Finanzkrise. „New York hat eine außergewöhnliche Fähigkeit, auf Katastrophen zu reagieren", sagt Moss, der schon mehrere Bürgermeister und Gouverneure beraten hat. Aber auch er mahnt: „Es wird eine langsame, zähe Erholung sein. Wir kontrollieren das Virus nicht, das Virus kontrolliert uns“.

Delta-Variante verbreitet sich nur langsam

Doch auch bei Covid gibt es Grund zur Hoffnung: Da zwei Drittel aller New Yorker und 80 Prozent der Erwachsenen bereits geimpft sind, viele ihre Masken freiwillig weiter tragen und viele das Virus schlicht bereits gehabt haben, verbreitet sich die Delta-Variante im Vergleich zu anderen Orten in den USA eher langsam in der Metropole.

20. Jahrestag der 9/11-Anschläge: Biden ruft zu Einheit auf

Und während viele Banker in den Vororten noch Angst vor der Rückkehr haben, ist das Nachtleben in New York schon wieder im vollen Gange. Die Broadway-Theater sind für Geimpfte bereits wieder geöffnet. Und wer abends in den Ausgehvierteln im West oder East Village oder auch an der Upper West Side oder in Brooklyn unterwegs ist, bekommt von der Krise wenig mit. Die Restaurants sind ausgebucht, die Lokale mit ihren Tischen auf der Straße gut gefüllt. Nur die Masken am Ellenbogen für den Gang auf die Toilette erinnern daran, dass es die Pandemie noch gibt.

New York wird auch diese Krise nie vergessen, ebenso wenig wie die vom 11. September. Die Feuerwehr am Ground Zero „Engine 10 Ladder“, deren Feuerwehrleute nach dem Anschlag als erste vor Ort waren und viele verloren hat, verkauft Jubiläums-T-Shirts mit der Aufschrift „Never-forget“.

Vergessen werde ich den 11. September niemals. Vergessen werde ich aber auch nicht, wie die New Yorker in der Zeit nach den Anschlägen näher zusammenrückten und mit einem Mix aus Trotz und Stolz ihre Stadt wieder zum Leben erweckten. New York ist schon oft totgesagt worden. Diesmal dauert es vielleicht etwas länger. Aber New Yorker sind nicht unterzukriegen und die Stadt wird wohl auch diesmal ihr Comeback feiern. Anders, neu erfunden, wie jedes Mal.

Mehr: New York erwacht aus dem Koma – nur die Unternehmen sind noch zaghaft.

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