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„Zukunftslabor USA“ Joe Biden versucht den Umbau des Sozialstaates

Der Newsletter „Zukunftslabor USA“ greift Trends, Ideen und Experimente aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf. Er zeigt auch, was diese für Deutschland und Europa bedeuten.
24.02.2021 - 12:39 Uhr Kommentieren
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Biden ein Umbau des Sozial- und Arbeitsmarkts gelingen kann. Quelle: AP
Joe Biden

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Biden ein Umbau des Sozial- und Arbeitsmarkts gelingen kann.

(Foto: AP)

New York Die Politik scheint die Fragen der Zukunft oft zu vernachlässigen und konzentriert sich meist eher auf die Gegenwart. Die Realität ist schlichtweg schneller als die zähen Entscheidungen im Machtzentrum der USA. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die USA seit Jahrzehnten keine umfassenden Reformen in der Einwanderung oder gegen die marode Infrastruktur auf den Weg gebracht haben – obwohl beides dringend notwendig wäre.

Die Pandemie könnte die US-Politik jetzt dazu zwingen, das chronische Hinterherlaufen zu beenden. US-Präsident Joe Biden weiß, dass das Zeitfenster für echte Veränderungen kurz ist. Er will den Schwung des demokratischen Regierungswechsels mitnehmen und zumindest versuchen, Herausforderungen wie den Klimawandel und die wachsende Ungleichheit anzupacken.

Schließlich hat die Coronakrise ein zentrales Problem des reichsten Industrielandes der Welt entblößt: Millionen Menschen leben in schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen, seit Ausbruch der Pandemie sind es noch mehr geworden.

Die Coronakrise hat ein zentrales Problem des reichsten Industrielandes der Welt entblößt: Millionen Menschen leben in schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen. Quelle: dpa
Coronakrise

Die Coronakrise hat ein zentrales Problem des reichsten Industrielandes der Welt entblößt: Millionen Menschen leben in schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen.

(Foto: dpa)

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Biden ein Umbau des Sozial- und Arbeitsmarkts gelingen kann. Denn die Folgen der Pandemie sind gravierend, auch wenn führende Institute ein Wirtschaftswachstum zwischen 6,5 und 7 Prozent in diesem Jahr erwarten.

Das Gesamtbild ist kompliziert: So sinkt die Arbeitslosenquote zwar Monat um Monat, doch 40 Prozent der Jobsuchenden gelten als langzeitarbeitslos. Insgesamt meldeten sich im vergangenen Jahr fast 5 Millionen Menschen komplett von der Jobsuche ab. Sie fallen dauerhaft aus der Statistik.

Hilfen für Schulen, Gastronomie und Fluggesellschaften

Welche Lehren ziehen die USA daraus? Und wie will das Land dafür sorgen, dass künftige Krisen nicht erneut vor allem die Armen mit voller Wucht treffen? Auf der Suche nach Antworten stößt man auf Veränderungen im Sozialsystem der USA, die einem Paradigmenwechsel gleichkommen. Um die Entwicklungen zu verstehen, lohnt ein Blick auf das geplante Covid-Hilfspaket.

Noch in dieser Woche soll die Gesetzesvorlage der Demokraten im Repräsentantenhaus verabschiedet werden, bis Mitte März soll der Senat abstimmen. Der Entwurf basiert auf Bidens Vorschlägen aus dem Wahlkampf und ist 591 Seiten dick. Das Konzept enthält allerlei kurzfristige Hilfen für Schulen, Gastronomie, strauchelnde Fluggesellschaften oder die Logistik des Impfprogramms. Interessant sind aber vor allem jene Posten, die längerfristig angelegt sind – und die das soziale Netz der USA auf Jahre prägen könnten.

  • Arbeitslosenhilfe: Schon im vergangenen Jahr wurde das wöchentliche Arbeitslosengeld um 300 US-Dollar aufgestockt, im neuen Paket sollen zusätzliche 100 Dollar draufgelegt werden. Werden die Hilfen wie geplant bis September verlängert, kann man nicht mehr von einem Notfall-Programm sprechen. Dann ist das höhere Arbeitslosengeld eine langfristige Angelegenheit, die schwer wieder zurückgenommen werden kann.
  • Kindergeld: Im Konjunkturpaket ist eine Ausweitung der Steuergutschriften für Kinder verankert. Jährliche Gutschriften sollen in neue monatliche Barzahlungen umgewandelt werden. Die USA stehen damit vor der Einführung eines Kindergeldes, von dem besonders Niedrigverdiener profitieren.
  • Direktzahlungen: Die Pandemie hat direkte Finanzspritzen konsensfähig gemacht. So sieht das Konjunkturpaket Schecks in Höhe von 1400 US-Dollar pro Person für bestimmte Einkommensklassen vor. Im vergangenen Jahr wurden zunächst 1200-Dollar-Schecks und später 600-Dollar-Schecks verschickt. „In der amerikanischen Geschichte ist das beispiellos”, kommentierte die linke Plattform Vox. „Die Serie an Zahlungen kommt einem Grundeinkommen nahe”.

Dass die USA tatsächlich auf ein Grundeinkommen umschwenken, wie der New Yorker Bürgermeisterkandidat Andrew Yang fordert, ist eher unwahrscheinlich. Realistischer ist, dass es bald flächendeckend eine bessere Bezahlung von Arbeit gibt. Denn Teil des Hilfspakets ist eine Verdoppelung des Mindestlohns auf 15 Dollar. In den USA wurde der Mindestlohn seit 2009 nicht mehr auf Bundesebene erhöht, Biden hatte im Wahlkampf eine „signifikante Anpassung” versprochen.

Teil des Corona-Hilfspakets ist eine Verdoppelung des Mindestlohns auf 15 Dollar. Quelle: AP
Proteste für mehr Lohn

Teil des Corona-Hilfspakets ist eine Verdoppelung des Mindestlohns auf 15 Dollar.

(Foto: AP)

Allerdings gibt es selbst im demokratischen Lager Widerstände gegen den 15-Dollar-Plan. Der Vorstoß dürfte deshalb im Senat scheitern, könnte aber jederzeit wieder aufgelegt werden. Laut US-Medien will Biden das Thema in seiner Amtszeit weiter vorantreiben und mit Unternehmen über höhere Löhne verhandeln.

CEOs von Tech-Firmen erschüttert über Cyber-Attacken

Parallel zur Coronakrise kämpft der US-Präsident mit einer anderen Gefahr, die die Verwundbarkeit des Westens sichtbar gemacht hat. Die Cyber-Attacken auf mindestens 9 US-Ministerien und mehr als 100 privaten Unternehmen sollen auf russische Hacker zurückgehen. Bei seinem ersten virtuellen Auftritt in Europa am Freitag adressierte Biden die Risiken.

Der Cyber-Experte Scott Jasper glaubt, dass die US-Regierung nicht mit Vergeltung reagieren kann. „Völkerrechtlich existiert kein ausdrückliches Verbot von Cyberspionage. Alle Nationen, einschließlich der USA, tun es”, schrieb er in einer Analyse für die Denkfabrik Council on Foreign Relations. Das Ausmaß der Attacken wird noch untersucht, doch die CEOs der involvierten Tech-Firmen sind erschüttert. „Das ist eine harte Lektion für uns alle”, sagte Microsoft-Chef Brad Smith gestern bei einer Anhörung im Kongress.

„Das ist eine harte Lektion für uns alle.“ Quelle: Reuters
Microsoft-Chef Brad Smith

„Das ist eine harte Lektion für uns alle.“

(Foto: Reuters)

Sanktionen sind nicht vom Tisch, aber für den Moment scheint Biden eher auf Prävention zu setzen: Zehn Milliarden US-Dollar will er in die IT-Infrastruktur des Landes pumpen. Auch soll das Weiße Haus erstmals eine Direktorin für die Abwehr von Cyberterrorismus bekommen. Laut Nachrichtenagentur Reuters ist dafür die Morgan-Stanley-Managerin Jen Easterly im Gespräch.

Biden will Öko-Kehrtwende

Welche Maßnahmen Washington im Cyber-Krieg sonst ergreifen will, darüber hält sich die US-Regierung bedeckt. Konkreter ist Biden in der Kommunikation seiner Klimaziele. Biden will die USA in eine Öko-Kehrtwende lenken und hat den Klimawandel zur Priorität für die nationale Sicherheit erklärt.

Ein Aspekt, der bislang wenig beleuchtet wird, ist die Rolle der Atomkraft. Denn um eine CO2-neutrale Bilanz bis 2050 zu erreichen, will Biden auch nukleare Energie fördern. Gerade im Vergleich zu Deutschland zeigt sich wieder einmal: Die politischen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft können sehr unterschiedlich aussehen.

Frage der Woche

Geht es nicht ohne Atomkraft, Frau Hill?

Quelle: CFR
Alice Hill

Es antwortet Alice Hill. Von 2013 bis 2015 war sie Klima-Beraterin für Barack Obama im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses.

„In den USA wird Atomkraft viel positiver betrachtet als in Deutschland. Aktuell setzen sich die Republikaner für den Erhalt von Nuklearanlagen ein, aber auch auf Seite der Demokraten gibt es wachsende Unterstützung. Ich kann mir vorstellen, dass Biden in den Verhandlungen um ein grünes Infrastrukturpaket eine Art Deal eingeht: Er sichert den Republikanern die Förderung von Atomkraft zu, dafür stützen die Republikaner einige umstrittene Klimaziele, um den CO2-Ausstoß zu senken.

Allerdings wurden viele Anlagen in den Siebziger Jahren gebaut, viele Werke sind zu alt. Beim Wintereinbruch in Texas mussten manche Anlagen wegen extremer Kälte abgeschaltet werden, im Sommer hält das Kühlwasser hohen Temperaturen nicht stand. Die Atomkraftwerke laufen unter klimatischen Bedingungen, für die sie nie gebaut wurden. Sie müssen dringend modernisiert werden.”

Kurz & Bündig

Beta-Ebene

Die Zukunft ist „touchless”

Selbst nach der Coronakrise könnten Millionen Jobs für Kellnerinnen und Kellner nicht mehr existieren. Quelle: AP
Restaurant in Chicago

Selbst nach der Coronakrise könnten Millionen Jobs für Kellnerinnen und Kellner nicht mehr existieren.

(Foto: AP)

Besonders die Gastronomie-Branche leidet unter der Corona-Krise. Doch selbst, wenn die Pandemie überwunden sein wird, dürften Millionen Jobs für Kellnerinnen und Kellner nicht mehr existieren. Viele Restaurants haben in Rekordzeit auf digitale Prozesse umgestellt, in den USA bieten sie flächendeckend Bestellungen per Mobiltelefon oder QR-Codes für ihre Kundschaft an.

In einem Biergarten in Washington habe ich am Montagabend nur für wenige Sekunden einen Kellner gesehen. Die komplette Bestellung und Bezahlung lief automatisch per Handy, nur zubereitet und rausgetragen wurden Essen und Getränke noch mit menschlicher Hilfe. Eine Umfrage von Juniper Research prognostiziert, dass sich kontaktlose Transaktionen bis 2024 auf einen Wert von fast 6 Billionen US-Dollar verdreifachen.

Mehr: Cyberkriminalität: Die US-Politik rätselt, wie sie den nächsten Mega-Hack verhindern kann.

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