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Zweifel am Rechtsstaat Polnisches Verfassungsgericht: EU-Gesetze kollidieren mit Verfassung

Die Richter des polnischen Verfassungsgerichts werfen Brüssel vor, die Kompetenzen zu überschreiten. Der Konflikt mit der EU wird sich nun zuspitzen.
07.10.2021 Update: 07.10.2021 - 19:23 Uhr 4 Kommentare
Die Richter haben entschieden, dass EU-Recht nicht prinzipiell über dem Landesrecht steht. Quelle: AP
Verfassungsgerichtssitz in Polen

Die Richter haben entschieden, dass EU-Recht nicht prinzipiell über dem Landesrecht steht.

(Foto: AP)

Wien Polens Verfassungsgericht hat am Donnerstagabend den Konflikt mit der Europäischen Union eskaliert. Zehn der zwölf anwesenden Magistratinnen und Magistraten entschieden, dass die Verfassung ihres Landes in wesentlichen Belangen Vorrang habe vor europäischem Recht.

Die EU und spezifisch der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe mit dem Anspruch, die Entscheidungen des „souveränen und demokratischen Staates“ Polen zu bewerten, ihre Kompetenzen überschritten. „Die EU-Organe handeln außerhalb der ihnen in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten“, erklärte die Vorsitzende Richterin Julia Przylebska. Dies widerspreche der Verfassung.

Das Tribunal, das seine Grundsatzentscheidung auf Antrag der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fällte, erklärte konkret Artikel 1, 4 und 19 des Vertrags über die Europäische Union für verfassungswidrig. Diese setzen einige der Grundregeln des europäischen Rechtsraums, wie den Transfer nationaler Kompetenzen nach Brüssel, den Geltungsbereich europäischer Gesetze und die Funktion des EuGH als oberstes Justizorgan.

Das Verfassungsgericht, das die Regierungspartei nach ihrer Machtübernahme auf illegitime Weise mit ihr gegenüber loyalen Mitgliedern besetzt hat, fällte das Urteil nach monatelangen Verhandlungen und nicht weniger als sieben Verschiebungen. Zahlreiche Beobachter sahen hinter den Verzögerungen die Unschlüssigkeit der PiS.

Vordergründig geht es bei dem Urteil tatsächlich um ein heikles Thema. Die Frage des Vorrangs nationalen oder europäischen Rechts ist nicht unumstritten – besonders in Polen, wo die Verfassung einen hohen Stellenwert hat. So hält Artikel 8 fest, diese sei „das oberste Recht der Republik“, und die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs sind laut Artikel 190 „bindend und endgültig“.

Dagegen steht in Artikel 90 und 91, ein ratifizierter völkerrechtlicher Vertrag stehe über polnischen Gesetzen, wenn sie diesem widersprechen. Auch könne Warschau internationalen Organisationen Kompetenzen abgeben. Die meisten Experten und die Vorgängerregierungen der PiS argumentierten, dass das Land mit dem Beitritt zur EU im Grundsatz auch den im Vertrag über die EU festgehaltenen „Anwendungsvorrang“ des europäischen Rechts akzeptiert hat.

Umstrittene Richter

Die Mitgliedstaaten sind damit grundsätzlich verpflichtet, Urteile des EuGH umzusetzen. Unter dem Eindruck des Konflikts mit Polen geht die EU-Kommission auch gegen andere Staaten härter vor, die dies infrage stellen: So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht letztes Jahr den Kauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank für illegitim erklärt und damit dem EuGH widersprochen. Als Reaktion lancierte Brüssel im Juni ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Berlin.

Warschau geht es gleichzeitig um mehr und um weniger. „Es besteht kein Zweifel am Vorrang der polnischen Verfassungsnormen vor anderen Rechtsnormen“, sagte jüngst Regierungssprecher Piotr Müller. Zu Recht wies er darauf hin, dies hätten polnische Verfassungsgerichte in verschiedener Zusammensetzung anerkannt. Damit versuchte er offenkundig auch, die weitverbreitete Meinung zu entkräften, wonach das heutige Tribunal eine Marionette der Regierung sei und seine Entscheidung damit illegitim.

Er verschwieg, dass die Richter in der Vergangenheit pragmatische Lösungen gefunden hatten. So wurde die Verfassung 2006 ergänzt, um den europäischen Haftbefehl gesetzlich zu verankern. Doch die Hardliner in der Regierung, die sich nicht nur im Umfeld von Justizminister Zbigniew Ziobro finden, lassen den Konflikt eskalieren, da sie sich durch den EuGH in ihren Gerichtsreformen ausgebremst sehen. Die Richter in Luxemburg hatten wiederholt geurteilt – zuletzt am Mittwoch –, dass deren Kernelemente die Unabhängigkeit der polnischen Justiz verletzten.

Der EuGH hält nicht nur die Mechanismen zur Bestellung polnischer Richter für politisiert. Er kritisiert vor allem die neuen Disziplinierungsmechanismen, die sich Ziobro etwa über eine Kammer am Obersten Gericht geschaffen hat. Diese kann Richter etwa für kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit sanktionieren. Dass sie von ihren Kompetenzen rege Gebrauch macht, zeigen Verfahren in den letzten Monaten. Warschau hat als Reaktion auf die Urteile zwar an verschiedenen Punkten Anpassungen vorgenommen, die Grundmechanismen aber intakt gelassen.

Zurückgehaltenes Geld

Gleichzeitig hat Brüssel seine Gangart noch einmal verschärft. Neben mehreren Vertragsverletzungsverfahren läuft auch ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen der Justizreformen. Wegen der unvollständigen Umsetzungen des EuGH-Urteils über die Disziplinarkammer hat die EU-Kommission Anfang September die Verhängung eines täglichen Bußgeldes beantragt. Zudem hält sie 23,9 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds zurück, wobei ein direkter Zusammenhang – nicht sehr glaubwürdig – bestritten wird.

Das Urteil wird Versuche, zwischen Warschau und Brüssel Kompromisse zu finden, deutlich erschweren, auch wenn sich PiS-Politiker beeilten festzuhalten, es richte sich nicht gegen europäisches Recht ganz allgemein, sondern lediglich gegen dessen übertriebene Anwendung. Eine Rechtsgemeinschaft à la carte wird die EU aber weniger denn je akzeptieren. Ausschließen kann sie Polen allerdings nicht: Ein „Polexit“ wäre eine alleinige Entscheidung Warschaus.

Mehr: EuGH urteilt erneut gegen Polens Justiz

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4 Kommentare zu "Zweifel am Rechtsstaat: Polnisches Verfassungsgericht: EU-Gesetze kollidieren mit Verfassung"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Endlich mal ein vernünftiges Urteil. Die EU hat meiner Ansicht nach nicht das Recht irgendeinem Land vorzuschreiben ob es Kohle abbauen darf oder sonst was macht. Es sollte jedem Land frei stehen was es macht.
    Jedes Land der EU ist anders und hat andere Vorraussetzungen die nicht über eine zentrale voller Dilletanten aus Brüssel gesteuert werden sollten. Alle Staaten wollen ihre Identität haben. Wenn die EU so weiter macht und alles Standardisiert und reguliert wird die EU keine Chance haben.
    Gleiches Thema wird mit Frankreich anstehen, wo kein Mensch versteht wieso die Energiepreise steigen sollen, nur weil in Deutschland ein Klimazirkus von Kindern aufgeführt wird. Wenn man hier nicht Einhalt gebietet wird Frankreich als nächstes die EU Regierung in Frage stellen.
    Wenn in Brüssel irgendwer Verstand hätte würden sie sich etwas zurückhalten. Aber so wie ich die Politiker dort, allen an die bekannten Deutschen einschätze sind dort nur B-Prominente und Abgestürzte die sich rein um ihr Eigeninteresse sorgen bzw. sich von der Lobby stopfen lassen.
    Hoffentlich hört der Irrsinn bald auf.

  • Endlich mal ein vernünftiges Urteil. Die EU hat meiner Ansicht nach nicht das Recht irgendeinem Land vorzuschreiben ob es Kohle abbauen darf oder sonst was macht. Es sollte jedem Land frei stehen was es macht.
    Jedes Land der EU ist anders und hat andere Vorraussetzungen die nicht über eine zentrale voller Dilletanten aus Brüssel gesteuert werden sollten. Alle Staaten wollen ihre Identität haben. Wenn die EU so weiter macht und alles Standardisiert und reguliert wird die EU keine Chance haben.
    Gleiches Thema wird mit Frankreich anstehen, wo kein Mensch versteht wieso die Energiepreise steigen sollen, nur weil in Deutschland ein Klimazirkus von Kindern aufgeführt wird. Wenn man hier nicht Einhalt gebietet wird Frankreich als nächstes die EU Regierung in Frage stellen.
    Wenn in Brüssel irgendwer Verstand hätte würden sie sich etwas zurückhalten. Aber so wie ich die Politiker dort, allen an die bekannten Deutschen einschätze sind dort nur B-Prominente und Abgestürzte die sich rein um ihr Eigeninteresse sorgen bzw. sich von der Lobby stopfen lassen.
    Hoffentlich hört der Irrsinn bald auf.

  • HerrKoch: so sieht das aus! S0 ganz verstehe ich nicht, was in Polen abgeht! Ich bin mehrfach in Polen unterwegs gewesen; Breslau, Masuren; dort habe ich immer nur positiv eingestellte Polen kennen gelernt. Ist das polnische Verfassungsgericht nach gestern ausgerichtet? Ich würde mich freuen, wenn mir dies jemand erklären kann. Auf jeden Fall kann man jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

  • Das kann ja nur bedeuten, dass Polen die EU verlassen müsste!
    Wenn Polen das EU-Recht auch nun teilweise nicht anerkennt, können rechtliche Schritte z.B. gegen missbräuchliche Verwendungen der EU-Gelder unterlaufen werden.
    Dies ist nicht vergleichbar mit dem Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes gegen die exzessiven Kreditaufkäufe der EZB. Hier unterläuft die EZB als europäische Behörde die eigene Rechtgrundlage der EU-Verträge.

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