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Internatslehrer Wenn der Beruf zur Lebensform wird

Rund um die Uhr im Job? Für Lehrer an Internaten ist das normal. Während Pädagogen an staatlichen Schulen nachmittags nach Hause gehen, sind sie immer von ihren Schülern umgeben. Wer macht das freiwillig?
05.11.2017 - 12:53 Uhr Kommentieren
Die Anmeldezahlen für Internate steigen. Quelle: Imago/Westend61
Schule Schloss Salem

Die Anmeldezahlen für Internate steigen.

(Foto: Imago/Westend61)

Düsseldorf Halb sieben morgens am Wochenende. Eigentlich würde Hauke Nagel, Internatslehrer am Internat Louisenlund in Schleswig-Holstein, gern ausschlafen. Doch er wird geweckt von einem seiner Schüler. Ein Fünftklässler ist aus dem Bett gefallen und blutet am Kopf. Zügig handeln, heißt es nun: Betreuer informieren, internatseigene Ambulanz rufen. Die Krankenschwester stellt schnell fest: Der Junge muss nicht ins Krankenhaus. Seine Eltern holen ihn ab.

„Eigentlich war ich vollkommen gelassen“, erinnert sich der Lehrer an den Vorfall, der ein paar Jahre zurückliegt. Damals lebte er noch auf dem Campus, zusammen mit seiner Frau, seinem zweijährigen Sohn – und 15 Neuntklässlern. „Mein Beruf wäre zum Scheitern verurteilt, wenn ich versuchen würde, Arbeit und Privatleben zu trennen“, sagt er. Mittlerweile lebt er nicht mehr auf dem Gelände, aber über seine Zeit als Hausvater sagt er: „Ich war für meine Jungs Quasi-Papa.“

Lehrer, Mentor, Papa. Respektive Lehrerin, Mentorin, Mama. An einem Internat müssen Lehrer ihre pädagogischen Kompetenzen 24 Stunden am Tag unter Beweis stellen, denn in vielen Einrichtungen wohnen die Lehrer mit den Schülern unter einem Dach oder haben eine Wohnung auf dem Campus. Hinzu kommt: Internate sind von wenigen Ausnahmen abgesehen Privatschulen, die nicht verbeamten und spätestens seit den Skandalen um sexuellen Missbrauch nicht mehr den besten Ruf haben. Von außen betrachtet spricht vieles dagegen, dort Lehrer zu werden. Doch es gibt Pädagogen, die sich bewusst dafür entscheiden. Warum nur?

Programm von morgens bis abends

Für Hauke Nagel, den Deutsch-, Philosophie- und Lateinlehrer in Louisenlund, ist die Arbeit mit Verfügbarkeit rund um die Uhr ein Abenteuer, weil er mehr Gestaltungsfreiraum hat. Er war sieben Jahre lang Vollzeitbeamter an einer staatlichen Schule. Um ein „ganz anderes pädagogisches Konzept“ kennenzulernen, wechselte er an das Internat. Dann wollte er „das volle Programm“, sagt Nagel und lacht. Er wurde Hausvater, zumindest für ein paar Jahre.

Allerdings sagt er auch: „Ich hätte die Entscheidung nicht gefällt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich wieder in den staatlichen Dienst hätte zurückgehen können.“ Denn die private Krankenversicherung und die Altersvorsorge als Beamter – das sei schon attraktiv. Nagel hat sich vom Staat beurlauben lassen, er weiß noch nicht, ob er die Beurlaubung nach zehn Jahren verlängern wird. Aber eines weiß er: „Ich gewinne in Louisenlund eine menschliche Intensität, die mir eine staatliche Schule nicht bieten kann.“ Internatslehrer, das sei kein Beruf, sondern eine Lebensform.

„Ich gewinne menschliche Intensität, die mir keine staatliche Schule bieten kann.“ Quelle: Louisenlund
Hauke Nagel, Deutsch-, Philosophie- und Lateinlehrer am Internat Louisenlund

„Ich gewinne menschliche Intensität, die mir keine staatliche Schule bieten kann.“

(Foto: Louisenlund)

Den Eindruck hat auch Detlef Kulessa, der seit vielen Jahren die Internatsberatung „Töchter und Söhne“ betreibt und selbst neun Jahre lang Internatsvater war. „Die Lehrer sehen ihre Arbeit eher als Berufung und nicht als Job, weil sie ständig mit den Kindern zusammen sind“, sagt Kulessa.

Auch Julian und Kristina Priebus kennen die Alltagsherausforderungen, mit denen Internatslehrer konfrontiert sind. Das Ehepaar arbeitet an der Schule Schloss Salem in Baden-Württemberg, einem reformpädagogischen Internat. Bis vor vier paar Jahren, als sie noch keine Kinder hatten, wohnten die beiden unter einem Dach mit den Unterstufenschülern.

Die Verbeamtung ist viel wert

Kristina Priebus war ein halbes Jahr zuvor an einer Realschule in Nordrhein-Westfalen fest angestellt und verbeamtet worden. Ihr Mann Julian, der Sportwissenschaften in Köln studiert hatte, wollte die in Salem angebotene Stelle als Hockeylehrer dennoch annehmen. „Viele haben uns davon abgeraten“, sagt Julian Priebus, „wegen der Verbeamtung.“ Aber als Kristina auch eine Stelle angeboten bekam, war die Entscheidung gefallen.

Sie wechselte als Beamtin nach Baden-Württemberg und ließ sich beurlauben, um in Salem zu unterrichten. Das ist für viele Lehrer im Staatsdienst ein Weg. Rund 6500 Lehrer in Baden-Württemberg – von insgesamt rund 118.000 im öffentlichen Dienst – sind momentan in den Privatschuldienst beurlaubt, heißt es im Kultusministerium.

Die Beurlaubung ist in Baden-Württemberg grundsätzlich für 15 Jahre möglich, in begründeten Fällen kann die Zeit auch verlängert werden. Das Gehalt zahlt dann der Träger der Privatschule. „Wir bezahlen in Anlehnung an den öffentlichen Dienst“, sagt Gesa Meyer-Wiefhausen, Kommunikationsleiterin an der Schule Schloss Salem.

Ein lediger, kinderloser Gymnasiallehrer im öffentlichen Dienst würde laut Besoldungsordnung des Landes rund 4200 Euro brutto im Monat verdienen. Netto blieben einem Beamten etwa 3.200 Euro. Wer verheiratet ist und zwei Kinder hat, verdient brutto knapp 400 Euro mehr. Netto blieben dem verbeamteten, verheirateten Familienvater wegen günstigerer Lohnsteuerklasse und Kinderfreibeträgen 3.900 Euro übrig.

An einem Internat sind Lehrer näher dran an den Kindern. „Vor allem die jungen Schüler kommen auf uns zu mit alltagsbanalen Fragen wie ‚Wie soll ich für den Test lernen?‘“, sagt Julian Priebus. Mal hat er sich als Trainer gesehen, mal als Onkel und auch mal als großer Bruder. Immerhin war er Ende 20, als er in Salem angefangen hat. Kristina Priebus sagt, sie habe sich eher wie eine Mutter gefühlt.

Vormittags Lehrer, nachmittags Erzieher

Nicht überall erleben die Lehrer den Alltag ihrer Schüler von morgens bis abends mit. Zum Beispiel im baden-württembergischen Kolleg St. Blasien, einem katholischen Gymnasium mit angeschlossenem Internat, das rund 800 Schüler besuchen. 210 Schüler wohnen auch vor Ort. Kollegsdirektor und Pater Klaus Mertes sagt: „Wir unterscheiden zwischen Lehrern und Internatserziehern.“ Die Erzieher wohnen nicht auf dem Campus, sie kommen am Nachmittag und gehen um 22:30 Uhr. Danach gibt es zwei Leute, die Nachtdienst machen.

Patrick Lebrecht allerdings kennt beide Rollen: Gut zwölf Jahre lang war er vormittags Lehrer und nachmittags Erzieher. Für ihn war die parallele Arbeit aber ein „Riesengewinn“, sagt Lebrecht. „Wenn ich die Schüler auch in ihrer Freizeit sehe, kann ich Talente entdecken, die ein Lehrer gar nicht mitbekommt.“ Mittlerweile arbeitet er nur noch als Lehrer: für die Fächer Geschichte, katholische Religion und Politik.

„Internate haben eine wichtige Funktion“, sagt auch Heiner Barz, Bildungsforscher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, der sich auch mit Internaten beschäftigt, zu denen nur wenig geforscht wird. „Oft sind Internate reformpädagogisch orientiert, so können sie schulpädagogische Experimente ausprobieren und für das allgemeine Schulwesen vorexerzieren – wie zum Beispiel Ganztagsunterricht, projektbasiertes Lernen oder soziale Dienste“, sagt Barz.

Für Patrick Lebrecht ist nicht nur der intensive Kontakt zu den Schülern ein Gewinn. Er organisierte einen Austausch mit einem anderen Jesuitengymnasium – in Litauen. Partnerschaften mit den USA und mit Großbritannien seien nicht ungewöhnlich, aber Ende der 1990er-Jahre einen Austausch mit einem kleinen Land wie Litauen zu machen, sei alles andere als selbstverständlich gewesen. „Ich habe das Kolleg als einen Raum der Freiheit erlebt“, schwärmt er. „Für andere Leute gibt es sicherlich passendere Berufe, aber ich kann mir keinen schöneren vorstellen.“

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