Interview Martin Böhm ist der neue Rektor der EBS: „Nicht unwissend in die Sache hineingestolpert“

Wechsel von Madrid nach Oestrich-Winkel.
Düsseldorf Helles Sonnenlicht fällt in Martin Böhms Arbeitszimmer – viel zu hell für einen Herbsttag in Oestrich-Winkel. Kein Wunder, sagt der neue Rektor der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Er sei nämlich gar nicht an seiner neuen Hochschule in Hessen, sondern in Madrid bei seiner Familie. „So ist das, wenn die Frau ebenfalls reisen muss und kleine Kinder im Haus sind.“
Deshalb ist er nur wenige Tage nach seiner offiziellen Amtseinführung wieder nach Spanien geflogen, wo er bis vor Kurzem der renommierten IE Business School vorstand. Ende des Jahres werde ihm die Familie nach Deutschland folgen, erzählt Böhm, bis dahin werde er pendeln.
Doch was hat ihn bewogen, sein Amt als Dekan einer der angesehensten Wirtschaftshochschulen Europas gegen den Chefsessel einer Privathochschule in der hessischen Provinz einzutauschen, die in den vergangenen Jahren vor allem als Skandaluni von sich reden machte? Der Mittvierziger lächelt braun gebrannt in die Kamera seines Laptops, als wolle er eine Vorlesung über Motivation halten.
Herr Böhm, Sie waren 15 Jahre Professor an einer der besten Managementschmieden Europas, haben sie seit 2017 als Dekan sogar mitgeleitet. Was hat Sie bewogen, von dort wegzugehen?
Das hatte mehrere Gründe, auch persönliche. Ich wollte wieder näher an meine Heimat kommen. Durch die Corona-Pandemie haben sich einige Prioritäten verschoben. Es geht nicht mehr so sehr darum, in einer Stadt mit tollem Nachtleben und guten Restaurants zu leben. Uns zieht es tatsächlich eher aufs Land, wo wir mehr Platz haben, vielleicht einen Garten, und wo wir auch näher an den Großeltern sind.
Gab es da nicht attraktivere Alternativen als die EBS?
Die EBS ein superspannendes Projekt! Ich gehe eine solche Entscheidung immer von zwei Seiten an und denke vor allem über die sich bietenden Chancen nach. Bei der EBS sehe ich eine solche Gelegenheit: Die Hochschule hat viele Stärken und auch ein erhebliches Wachstumspotenzial.
In Deutschland verbinden viele mit der Hochschule den Untreue-Skandal von 2011. Ist das Image der EBS nicht ramponiert?
Diese Frage habe ich mir natürlich auch gestellt. Ich bin nicht unwissend in die Sache hineingestolpert. Und ich gebe zu: Wäre dieses Angebot vor vier oder fünf Jahren gekommen, hätte ich wohl noch nicht zugesagt. Aber die Sache ist rechtlich geklärt, die Ermittlungen wurden im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens eingestellt. Ich habe im Vorfeld mit Wettbewerbern, Recruitern und Absolventen gesprochen, und der Tenor war ganz klar: Die EBS hat noch immer eine sehr gute Reputation, vor allem bei Recruitern sind die Studierenden sehr begehrt.
Sorgen Sie sich nicht, dass die alten Geschichten auch auf Sie abfärben könnten?
Die Vorwürfe von 2011 sind Vergangenheit und haben mit der Institution von heute nichts mehr zu tun. Es sind inzwischen zehn Jahre vergangen, und so langsam kann das Thema auch mal ad acta gelegt werden. Die Neubesetzung der Führungsriege durch (den früheren EU-Kommissar, Anm. d. Red.) Günther Oettinger und mich ist hoffentlich auch ein Signal nach außen: Hier stehen zwei Leute für die Hochschule, die sich das sicher gut überlegt haben und ihr Ansehen einsetzen, weil sie Potenzial in diesem Projekt sehen.
Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe?
Ich glaube, dass meine persönlichen Erfahrungen sehr gut zu den Entwicklungszielen der EBS passen, zum Beispiel zur Internationalisierung. Die EBS ist ein nationaler Champion in den Bereichen BWL und Jura. Aber das Ziel ist, sie in einen europäischen Champion zu verwandeln.
Wir müssen mehr internationale Studierende und Professoren anziehen und dafür müssen wir in mehr Rankings präsent sein. Das bedeutet auch, dass wir auch auf der akademischen Ebene mehr tun müssen, also mehr Akkreditierungen brauchen. Das alles sind Themen, die ich gelebt habe und zu denen ich einiges beitragen kann.
Sie sind Mitglied des Boards, das über die EQUIS-Akkreditierung entscheidet, an der die EBS vor einigen Jahren gescheitert ist. Gehen Sie das Thema jetzt neu an?
Akkreditierungen sind essenziell, deshalb ist es gut, dass die EBS sich bereits im Prozess der internationalen Akkreditierung durch die AACSB befindet. Wir haben gerade den Termin erhalten, an dem das Team der AACSB unsere Hochschule besuchen wird. Die nächsten zwölf Monate werden deshalb spannend. Wir müssen den Besuch vorbereiten und vorab einen Report schicken, der unsere aktuelle Situation und die Strategie für die Zukunft beschreibt. Darauf werden wir uns zunächst konzentrieren.
Eine Akkreditierung bei EQUIS ist auch Teil der Roadmap der EBS, aber ich halte nichts davon, die Dinge zu überstürzen und das parallel laufen zu lassen. Als Mitglied des Boards dürfte ich über die EBS natürlich ohnehin nicht mit abstimmen.
Warum sind Akkreditierungen so wichtig? Ist der Aufwand gerechtfertigt, den man dafür betreiben muss?
Zum einen geht es um die Idee, sich permanent zu verbessern. Da ist es gut, Wettbewerber und Kollegen im Haus zu haben, die alles durchleuchten und eine externe Einschätzung abgeben, was wie verbessert werden könnte. Zum anderen helfen Akkreditierungen, die eigene Sichtbarkeit zu stärken – auch weil diese Evaluierungen Voraussetzung für die Aufnahme in einige der internationalen Rankings sind, etwa das der „Financial Times“.
Diese Rankings sind aber auch umstritten. Es gibt inzwischen sehr viele davon, einige sind extrem intransparent und manche mehr als fragwürdig.
Rankings sollten nicht der einzige Gradmesser sein, aber sie sind wichtig, um sich zu vergleichen. Die Studierenden orientieren sich daran, Untersuchungen zufolge nutzen 75 Prozent der Anwärter die Ranglisten für die Auswahl ihrer Hochschule. Um von den Toptalenten in Betracht gezogen zu werden, müssen wir dort dabei sein.
Manche Kriterien können aber in der Tat zu perversen Entscheidungen führen. So haben wir an der IE festgestellt, dass eine hohe Frauenquote in den Programmen zwar tendenziell eine gute Punktzahl einbringt. Weil jedoch etwa beim FT-Ranking das Merkmal Gehalt stärker gewichtet wird und es leider immer noch ein Gender-Pay-Gap gibt, führte eine hohe Frauenquote zu einer insgesamt schlechteren Bewertung. Im Grunde müsste man also die Frauenquote drücken, um besser abzuscheiden – was wir natürlich nicht gemacht haben.
Die EBS war in den vergangenen Jahren in keinem der renommierten Rankings vertreten und wirbt stattdessen mit eher dubiosen Ranglisten.
Ich kann als Rektor klar sagen: Unsere Zielsetzung ist es, an Rankings teilzunehmen. Wir wollen damit zeigen, dass wir vorne mitspielen wollen. Aber es ist sicher sinnvoll, hier selektiv vorzugehen und genau zu überlegen, an welchen Rankings wir teilnehmen.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte wollen Sie in den kommenden Jahren setzen?
Zunächst werden wir die Internationalisierung vorantreiben. Hier sehe ich eindeutig Entwicklungspotenzial – besonders wenn man bedenkt, dass die drei Buchstaben EBS für European Business School stehen. An der IE kommen etwa 70 Prozent der Studierenden in den Bachelor-Programmen aus dem Ausland, an der EBS waren es im Bachelor-Programm rund 15 Prozent.
Dasselbe gilt für die Professoren. Die Fakultät sollte immer ein Spiegelbild der Studierendenschaft sein. Wenn wir uns also globaler aufstellen, müssen wir auch bei den Professoren und Mitarbeitern verstärkt global rekrutieren sowie Kooperationen, Austauschprogramme und gemeinsame Studiengänge mit internationalen Hochschulen vorantreiben.
Klingt nicht besonders neu.
Deshalb wird der zweite Schwerpunkt pädagogische Innovation sein. Wir müssen unsere Programme stärker auf die Bedürfnisse der Unternehmen und Kanzleien ausrichten, auf die Profile junger Talente, die sie brauchen. Als private Einrichtung haben wir da einen großen Vorteil, weil wir viel schneller und agiler auf die Anforderungen der Recruiter reagieren können.
Die EBS ist schon heute viel praxisorientierter als ihre Wettbewerber, wir arbeiten seit Langem mit Fallstudien, Projekten und an der Law School mit Moot Courts, also simulierten Gerichtsverhandlungen. Dennoch werden wir unsere Bemühungen intensivieren und noch realitäts- und praxisnäher unterrichten.
Wie steht es um die Digitalisierung der Lehre?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig digitales Lernen ist. Da können wir aufseiten der Lehre sicher noch mehr tun. Vor allem die Teilzeitprogramme würden von mehr Blended Learning stark profitieren. Man darf aber auch nicht zu kategorisch vorgehen, sondern sollte immer das Studierendenprofil in Betracht ziehen.
Große Chancen sehe ich hier für die Internationalisierung: Eine Studentin, die gerade zum Praktikum in Singapur ist, könnte beispielsweise parallel an Onlinekursen teilnehmen.
Welche Rolle soll der MBA an der EBS spielen? In Deutschland hat sich dieser Abschluss nach wie vor nicht richtig durchgesetzt.
Der deutsche Markt ist interessant, weil er so ganz anders ist als im Rest der Welt. Ich versuche, ehrlich gesagt, immer noch zu ergründen, warum der MBA in Deutschland nicht als attraktiv angesehen wird. An der IE waren die Deutschen eine der stärksten Gruppen in den MBA-Programmen. Meiner Meinung nach muss der MBA an einer Business School eine Rolle spielen, aber vielleicht eher eine strategische.
An der Harvard Business School finanziert das Programm die komplette Hochschule, das wird bei uns sicher nicht so sein. Ich sehe ihn eher als Flaggschiff fürs Image.
Seit 2016 gehört die EBS zur SRH Higher Education GmbH und hat der Muttergesellschaft seither Millionenverluste beschert. Wie wollen Sie unter diesen Umständen den Neuanfang finanzieren?
Es gibt in Deutschland aktuell keine Business School, die kostendeckend agiert. Manche werden von Stiftungen unterstützt, und diese Summen dürften weit über dem liegen, was die SRH an uns bezahlt. Wir arbeiten erheblich kosteneffizienter als unsere Wettbewerber. Zudem zahlt uns die SRH keinen konstanten Zuschuss, sondern agiert eher als Anschubfinanzierer für größere Projekte. Für uns ist das ein Ansporn, entsprechende Programme zu entwickeln und nah am Markt zu sein.
Meine persönliche Ambition ist ganz klar, die EBS in den nächsten Jahren in eine profitable akademische Institution zu verwandeln.
Das klingt, als planten Sie ein langfristiges Engagement.
Ich sehe das hier nicht als Zwei- oder Dreijahresprojekt. Und genau das ist es, was mich an der EBS so gereizt hat. Ich hatte auch andere Optionen, die von der Marke oder der Größe höchst attraktiv gewesen wären. Aber hier kann ich Themen wirklich angehen, kann die Ärmel hochkrempeln, zulangen und vorantreiben.
Und ich habe gemerkt, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EBS bereit sind, diese Extrameile gemeinsam mit mir zu gehen. Das ist eine Chance, die es im akademischen Bereich, der ja oft langsam und bürokratisch ist, nicht oft gibt. Bis die Vision, die ich im Kopf habe, umgesetzt ist, dauert es bestimmt zehn bis 15 Jahre.
Professor Böhm, vielen Dank für das Gespräch.
Mehr: Warum Rankings nur bedingt bei der Wahl des MBA-Studiums helfen können
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