Israel Ein Warnsignal auch für andere Länder: Impfweltmeister stößt an Grenzen

Eine Frau erhält ihre dritte Impfung gegen Covid-19.
Tel Aviv Es ist nicht lange her, da blickte die Welt erstaunt auf Israel. Das kleine Land hatte nicht nur weitsichtig ausreichende Mengen an Impfstoff bestellt. Es gelang der Regierung in einem logistischen Kraftakt, die Bevölkerung schneller zu impfen als alle anderen Länder.
Bereits im April hatte Israel als erstes Land die Wirtschaft wieder vollständig geöffnet. Die Maskenpflicht wurde abgeschafft, Theater und Kino, Schwimmbäder und Fitnesscenter öffneten wieder. Der schnelle Sieg über das Virus, wenn er überhaupt irgendwo möglich schien – dann in Israel.
Jetzt, gut ein halbes Jahr später, macht sich Ernüchterung breit. Seit einigen Wochen steigen die Infektionszahlen rasant an. Die Regierung publiziert düstere Szenarien. Die Zahl der mit dem Coronavirus ins Krankenhaus eingelieferten Patienten werde sich alle zehn Tage verdoppeln, warnt sie. Innerhalb von vier Wochen könnten es 4800 Menschen sein, wovon bei der Hälfte mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen sei.
Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, hat die Regierung Beschränkungen eingeführt. Außerdem hat sie in einer groß angelegten PR-Kampagne alle doppelt geimpften über 60-Jährigen aufgefordert, sich eine dritte Dosis geben zu lassen.
Die Regierung hat die Anwendung des sogenannten „grünen Passes“ auf fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt. Um zu öffentlichen Plätzen Zutritt zu erhalten, müssen Personen ab drei Jahren ein Zertifikat vorweisen, mit dem sie nachweisen können, dass sie entweder geimpft, negativ getestet oder genesen sind.
Impfkritiker sehen sich bestätigt
Für private und öffentliche Veranstaltungen gelten wieder Personenhöchstzahlen. Als letzte Option zur Eindämmung der Epidemie spricht die Regierung von einem weiteren vollständigen Lockdown. Damit will die Regierung diejenigen überzeugen, die sich bisher geweigert haben, sich impfen zu lassen.
Sollte es zum Lockdown kommen, steht das mögliche Datum bereits fest: Anfang September, dem Beginn der jüdischen Feiertage Neujahr und Jom Kippur (Versöhnungsfest). Dann treffen sich traditionellerweise Familien und Großeltern. Ein Lockdown während der Feiertage könnte nicht nur die Ansteckungskette unterbrechen. Er hätte den Vorteil, dass sich negative Auswirkungen auf die Wirtschaft in Grenzen hielten, heißt es im Finanzministerium.
Weil mehr als 58 Prozent der 9,4 Millionen Bürger bisher vollständig geimpft sind, sehen sich Impfverweigerer durch die steigende Zahl der Neuinfektionen sogar bestätigt. Der Schutz sei weniger effizient als ursprünglich behauptet, sagen sie. In der Tat: Am gestrigen Donnerstag wurden knapp 6000 neue Fälle registriert – Mitte Mai hatte die Inzidenz noch bei praktisch null gelegen. Rund fünf Prozent der Corona-Tests sind wieder positiv.
Eine israelische Studie bestätigt, dass die Immunität nach den Impfungen nur während ein paar Monate gewährleistet ist. Nutzlos sei die Impfung hingegen nicht, beteuern Experten.
Die Wirksamkeit des Impfstoffs bei der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten und schweren Symptomen liege trotz der aggressiven Delta-Variante immer noch bei 88 beziehungsweise 91 Prozent, heißt es in einer Mitteilung des Gesundheitsministeriums von Ende Juli über die Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech/Pfizer. Bei der Verhinderung von Infektionen und leichten Symptomen sei der Schutz aber auf 40 Prozent gesunken.
Und dennoch: Die Geimpften seien „fünf- bis zehnmal besser geschützt“ als die Ungeimpften, sagt Nadav Davidovitch, der das Institut für Präventivmedizin an der Ben-Gurion-Universität leitet. Bei denjenigen, die beide Dosen gegen Covid-19 erhalten haben, sei das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs deutlich geringer als bei den Ungeimpften. Bei den über 60-Jährigen, die nicht geimpft waren, registrierte das Gesundheitsministerium pro 100.000 Patienten bei rund 85 Patienten einen schweren Verlauf. In derselben Altersgruppe meldeten die Ärzte bei den vollständig Geimpften lediglich 16 schwere Fälle.
Zweifel an der Wirksamkeit der Auffrischungsimpfung
Nach 578.000 Auffrischungsdosen des Corona-Impfstoffs, die bisher nur Israelis über 60 Jahren verabreicht wurden, sollen in der nächsten Woche auch die über 50-Jährigen und kurz darauf ebenfalls die über 40-Jährigen den Booster erhalten. „Wir wissen, dass Infektionen bei Menschen über 40 Jahren zu schweren Erkrankungen und sogar zum Tod führen können. Deshalb ziehen wir diese Maßnahme sehr ernsthaft in Erwägung“, sagte Gesundheitsminister Nachman Ash.
Bereits seit dem 12. Juli wurde in Israel eine Auffrischungsimpfung für Menschen mit einem stark geschwächten Immunsystem angeboten. Vorläufige Forschungsergebnisse des Rabin Medical Center Beilinson Campus in Petah Tikva und der Clalit Health Services haben zwar gezeigt, dass die Verabreichung einer dritten Impfung gegen das Coronavirus bei immungeschwächten Patienten die Fähigkeit zur Bildung von Antikörpern deutlich erhöht.
Interne Daten des Gesundheitsministeriums zeigen laut Medienberichten aber, dass sich 14 Israelis eine Woche nach einer Auffrischungsimpfung mit Covid-19 infiziert haben. Sollten sich die Zahlen in größeren Stichproben bestätigen, könnten sie Zweifel an der Wirksamkeit der Auffrischungsimpfung verstärken. Israel hat als erstes Land damit begonnen, den Booster zu verabreichen.
Die steigenden Corona-Neuinfektionen wirken sich inzwischen auch auf den internationalen Reiseverkehr aus. Wer in Israel einreist, muss ab nächster Woche während sieben Tagen in Quarantäne, auch wenn er geimpft ist. Das gilt auch für Israeli, die aus Deutschland zurückreisen. Individualtouristen ist die Einreise nach Israel seit Monaten nicht gestattet.
Mehr: So will Israels Staatspräsident die Bevölkerung von der dritten Impfung überzeugen
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Israel war mal Impfweltmeister. Die Quote von 58% der Gesamtbevölkerung wird doch heute von etlichen Staaten übertroffen.