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Arbeitsmarktforschung Wenn natürliche Experimente Glaubenssätze erschüttern: Ökonomie-Nobelpreis für drei Wirtschaftswissenschaftler

David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens heißen die Preisträger. Sie haben die Auswertung von unbeabsichtigten Politikexperimenten revolutioniert und Sichergeglaubtes umgeworfen.
11.10.2021 Update: 11.10.2021 - 12:46 Uhr 1 Kommentar
Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften zeichnet die drei Forscher David Card, Joshua D. Angrist und Guido W. Imbens aus.
Ökonomie-Nobelpreis-Träger 2021

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften zeichnet die drei Forscher David Card, Joshua D. Angrist und Guido W. Imbens aus.

Stockholm, Berlin, Frankfurt Drei US-Ökonomen, die die Forschung mit sogenannten „natürlichen Experimenten“ entscheidend vorangebracht haben, erhalten den diesjährigen Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Ökonomie, gestiftet von der Schwedischen Reichsbank. Das gab die Schwedische Akademie der Wissenschaften am Montag bekannt.

Die Hälfte des Preisgeldes von knapp einer Million Euro erhält der 1956 in Kanada geborene David Card von der Universität Berkeley „für seine empirischen Beiträge zu Arbeitsmarktforschung“. Die andere Hälfte teilen sich der 1960 in den USA geborene Joshua Angrist vom MIT in Boston und der 1963 in den Niederlanden geborene Guido Imbens von der Stanford University. Sie erhalten den Preis für ihre methodologischen Beiträge zur Frage, welche Schlussfolgerungen über Kausalitäten man aus natürlichen Experimenten ziehen kann.

Die ausführliche Begründung der Jury finden Sie im nachfolgenden Video:

Cards bekannteste Beiträge zur Arbeitsmarktforschung interpretierten politische Maßnahmen als „natürliche Experimente“, bei denen es möglich ist, ähnlich wie in medizinischen Studien, eine behandelte Gruppe und eine ansonsten gleiche, unbehandelte Gruppe zu vergleichen.

Eine dieser Arbeiten, die Card mit dem 2019 verstorbenen Alan Krueger durchführte, revolutionierte das Verständnis der Ökonomen von der Wirkung von Mindestlöhnen.

Bis Anfang der Neunzigerjahre war einhelliger Konsens, dass höhere Mindestlöhne zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Card und Krueger erschütterten diesen Konsens, indem sie zwei Gruppen von Beschäftigten in der Niedriglohnbranche Fast-Food-Gaststätten verglichen.

Die einen waren die Beschäftigten im Bundesstaat New Jersey, wo der Mindestlohn kräftig erhöht worden war, und zwar nur die in der Nähe der Grenze zu Pennsylvania, wo der Mindestlohn unverändert bleib. Die „unbehandelte“ Vergleichsgruppe waren die Beschäftigten in Pennsylvania in Grenznähe zu New Jersey. Das Ergebnis war, dass die deutliche Mindestlohnerhöhung nicht zu einer Beschäftigungsminderung in der besonders betroffenen Branche geführt hatte.

Der Beitrag löste eine sehr hitzige Debatte zur Methodik und zum Ergebnis aus. Eine spätere, groß angelegte Studie eines größeren Ökonomenteams um Card, das grenznahe Regionen mit Mindestlohnänderungen in verschiedenen Bundesstaaten verglich, bestätigte das für Mindestlöhne vorteilhafte Ergebnis der ersten Studie. Bis heute wird die Frage, ob und ab welcher Höhe Mindestlöhne Beschäftigung kosten, unter Ökonomen intensiv diskutiert.

Einwanderung drückt nicht die Löhne

Auch einen anderen Konsens unter Ökonomen erschütterte Card einige Jahre später mit einer ähnlichen Studie, nämlich dass Einwanderung die Löhne Einheimischer drückt. Hierzu untersuchte er die Folgen einer kurzzeitigen Einwanderungswelle aus Kuba in verschiedenen Regionen Floridas.

Auch diese Studie führte zu einer bis heute andauernden hitzigen Debatte und zu Gegenstudien, die Card methodische Fehler vorwarfen, und umgekehrten Vorwürfen gegenüber der Gegenseite, insbesondere dem Harvard-Ökonomen George Borjas.

Joshua Angrist und Guido Imbens schufen Mitte der Neunzigerjahre die methodischen Grundlagen, um den durchschnittlichen Behandlungseffekt in einem natürlichen Experiment zu schätzen. Sie definierten die Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit man tatsächlich aus den Beobachtungen Kausalitäten ableiten kann, also dass die Effekte tatsächlich durch die Behandlung hervorgebracht wurden und nicht durch Zufall oder andere Einflüsse. Dazu kombinierten sie Verfahren, wie sie vorher bereits in der Ökonomik und in der Statistik in Gebrauch waren.

„Die Forschung der Nobelpreisgewinner zeigt, dass der Staat sich nicht immer auf den Markt verlassen kann und selbst in wichtige wirtschaftliche Prozesse eingreifen sollte, um ein Marktversagen zu verhindern“, kommentierte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Preisverleihung.

Nobel hatte keine gute Meinung von Ökonomen

Während der rein an den mathematisch-statistischen Grundlagen arbeitende Imbens nur Insidern bekannt war, hat Angrist neben seiner nun ausgezeichneten Grundlagenforschung auch selbst viele natürliche Experimente ausgewertet, insbesondere im Bildungsbereich, die einen größeren Bekanntheitsgrad erreichten. Ziel war oft, herauszufinden, wie hoch der monetäre Ertrag einer besseren Bildung ist oder welche bildungspolitischen Interventionen eine bessere Lehre hervorbringen können.

Erst vor zwei Jahren zeichnete die Schwedische Wissenschaftsakademie eine Ökonomin und zwei Ökonomen für Leistungen auf einem eng verwandten Forschungsgebiet aus, den „randomisierten Kontrollstudien“. Bei diesen versuchen Forscher tatsächlich wie in der Medizin, eine behandelte Gruppe und eine ansonsten vergleichbare nicht behandelte Gruppe von Menschen zu bilden und die Ergebnisse zu vergleichen. Die Preisträgerin Ester Duflo war die bisher erst zweite Frau, die den Ökonomie-Nobelpreis erhielt.

Der Ökonomie-Nobelpreis wurde nicht wie die anderen Nobelpreise von Alfred Nobel gestiftet, der keine gute Meinung von Ökonomen hatte. Er wurde vielmehr zu deren 300. Jubiläum von der Schwedischen Notenbank gestiftet und heißt offiziell Schwedische Reichsbank Preis für Wirtschaftswissenschaften in Erinnerung an Alfred Nobel. Er wird jedoch von den gleichen Institutionen verwaltet und verliehen wie die „echten“ Nobelpreise.

Mehr: Friedensnobelpreis für Journalisten Maria Ressa und Dmitri Muratow

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1 Kommentar zu "Arbeitsmarktforschung: Wenn natürliche Experimente Glaubenssätze erschüttern: Ökonomie-Nobelpreis für drei Wirtschaftswissenschaftler"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Ich bin gespannt wann die "Experten" bzw. "Ökonomen" zu der Erkenntnis kommen, dass für ein Innovationsjahrzehnt bzw. für technologische Umstellungen Inflationsraten von deutlich über 2 % und höhere Abschreibungsraten zwingend notwendig sind?

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