Coronakrise Ökonomen im Panikmodus: „Eine einzige Woche kostet das BIP bis 1,6 Prozentpunkte“

Viele Ökonomen sagen in der Coronakrise eine tiefe Rezession voraus.
Berlin Wie schnell sich Voraussagen drehen können, zeigt sich an den Konjunkturprognosen der deutschen Wirtschaftsexperten: Vergangenen Donnerstag legten die Wirtschaftsforschungsinstitute im Angesicht der Coronakrise noch erstaunlich erträgliche Konjunkturprognosen vor.
Nicht einmal ein Prozent weniger Wirtschaftswachstum etwa prophezeiten die Frühjahrsprognosen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) für 2020. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) allerdings begannen bereits am selben Tag mit Korrekturen nach unten.
An diesem Montag gab es kein Halten mehr. Ökonomen schalten nun reihenweise um in den Panikmodus.
Das Münchener Ifo-Institut löste sich radikal von seiner Donnerstagsprognose, die ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Jahr zwischen 1,5 und sechs Prozent vorausgesagt hatte, und veröffentlichte eine Berechnung verschiedener Shutdown-Szenarien.
Die Kosten für die Wirtschaft „werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist“, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. Je nach Szenario werde die Wirtschaft 2020 bestenfalls um nur 7,2 Prozent schrumpfen; möglicherweise aber auch um 20,6 Prozent einbrechen.
Das IfW Kiel hat seine Frühjahrsprognose aktualisiert und erwartet jetzt entweder ein Schrumpfen der Wirtschaft um 4,5 Prozent – wenn der Shutdown Ende April endet und im Mai die Erholung einsetzen kann. In einem zweiten schlechteren Szenario erwarten die IfW-Ökonomen einen längeren Shutdown und eine Erholung erst ab August: Dann würde die Wirtschaft um neun Prozent einbrechen.
Es wäre damit die „Mutter aller Rezessionen“, vor der IfW-Präsident Gabriel Felbermayr bereits vergangenen Mittwoch im Handelsblatt warnte. Denn der bisher stärkste Einbruch des deutschen BIP in der Nachkriegsgeschichte war die Finanzkrisenrezession 2009 mit einem Minus von 5,7 Prozent.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat an diesem Montag erstmals die Möglichkeit eingeräumt, dass die Konjunktur aufgrund der Coronakrise deutlich einbrechen kann: Der Rückgang des BIP werde mindestens so kräftig ausfallen wie in der Finanzkrise 2009, sagte er nach der Kabinettssitzung, auf der die Bundesregierung beispiellose Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft beschlossen hatte.
Wichtig ist bei der Betrachtung all dieser Zahlen, dass es sich bisher um recht grob gestrickte Szenarien handelt. „Es gibt keine verlässlichen Prognosen, wie stark die Wirtschaft betroffen sein wird“, warnte DIW-Präsident Marcel Fratzscher vor einem Überbietungswettbewerb für das schlimmste Rezessionsszenario. „Ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Jahr 2020 um 20 Prozent ist denkbar, es könnte aber auch deutlich milder oder deutlich stärker sein“, sagte er dem Handelsblatt. Der alles entscheidende Faktor für die Wirtschaft sei: Zeit.
So wie das Coronavirus die Zahl der Infizierten exponentiell steigen lässt, steigt laut Fratzscher auch der wirtschaftliche Schaden nicht linear, sondern exponentiell an: „Je länger das wirtschaftliche Koma andauert, desto größer wird der wirtschaftliche Schaden“, sagte er. Zum Beispiel, weil Unternehmen endgültig insolvent gingen.
Fratzscher befürchtet allerdings inzwischen, dass die deutsche Wirtschaft nicht in vier Monaten wieder zu 100 Prozent ihrer ursprünglichen Kapazität wird produzieren können, sondern dass dies erst nächstes oder übernächstes Jahr der Fall sein könnte. Nach dieser Annahme wäre von den IfW-Szenarien das schlechtere mit einem BIP-Verlust von neun Prozent sogar noch ein positives.
Die Dauer ist entscheidend
Das Ifo hat sämtliche seiner Szenarien mit dem Warnhinweis versehen, dass sie alle nur „ungefähre Größenordnungen der wirtschaftlichen Konsequenzen des Shutdowns liefern“. Die Ifo-Ökonomen sind dabei so vorgegangen, dass sie aus den Daten des Statistischen Bundesamts die Bruttowertschöpfung einzelner Wirtschaftsbereiche betrachtet und geschätzt haben, wie viel davon durch den aktuellen Shutdown verloren geht.
„Wir sehen unser Maßnahmenpaket nur als ersten Schritt an“
Im Veranstaltungs- und Reisebereich etwa ist es – solange der Shutdown dauert – ein Totalverlust. Der Gesundheitsbereich einschließlich Pharma erleidet keine Verluste. Andere Sektoren wiederum, etwa Architekturbüros, müssen ihre Aktivitäten halbieren. Spielt man die Szenarien unter verschiedenen Annahmen durch, bestätigt sich auch hier: Es ist die Dauer des Shutdowns, die den großen Unterschied für die Wirtschaft machen wird.
Die Ifo-Rechnung hat diese Ergebnisse: Wenn die Wirtschaft zwei Monate teilweise stillsteht, verliert das BIP zwischen 7,2 und 11,2 Prozent. Bei drei Monaten beträgt der Verlust zwischen zehn und 20 Prozent – je nachdem, wie schnell eine umfassende Erholung einsetzen kann.
„Eine einzige Woche Verlängerung der Teilschließung der Wirtschaft verursacht einen Rückgang des BIP um 0,7 bis 1,6 Prozentpunkte“, oder 25 bis 57 Milliarden Euro, so Ifo-Präsident Fuest. Er zieht daraus den Schluss: Die Bundesregierung sollte jetzt im Gesundheitswesen klotzen und zum Beispiel die Zahl der Intensivbetten schnell erheblich erhöhen.
Sie müsse vor allem die besonders gefährdeten Menschen gezielt schützen und mithilfe umfangreicher Tests die Quarantäne besser steuern. „Es ist dringend zu empfehlen, jeden denkbaren Betrag im Bereich gesundheitliche Maßnahmen einzusetzen, der die Dauer des Shutdowns verkürzt, ohne die notwendige Bekämpfung der Epidemie zu beeinträchtigen“, sagte Fuest.
Mehr: Ökonom Felbermayr erwartet die „Mutter aller Rezessionen“.
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