Konjunktur Corona wütet – aber die Wirtschaft ist optimistisch

Lieferengpässe machten der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr schwer zu schaffen.
Berlin Deutschland geht in das dritte Jahr der Coronapandemie. Die vierte Welle wütet. Doch trotz Pandemie steht der deutschen Wirtschaft ein Superjahr bevor. Laut dem Münchener Ifo-Institut wird die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr um 3,7 Prozent wachsen – so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsinstitut IMK rechnet sogar mit einem Plus von 4,5 Prozent.
Die sehr guten Prognosen werden gedeckt durch die jüngste Verbandsumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): Von 48 befragten Wirtschaftsverbänden erwartet kein einziger einen Produktions- oder Geschäftsrückgang. Eine große Mehrheit plant hingegen mit einem florierenden Geschäft im nächsten Jahr. Die IW-Forscher sprechen von außerordentlich guten Erwartungen.
Die Stimmung ist also spitze, obwohl die vierte Welle das Land im Griff hält? Das klingt zunächst wie ein großer Widerspruch. Tatsächlich ist das Risiko, dass die Konjunktur doch schlechter laufen könnte als erwartet, beträchtlich. Doch auf der anderen Seite gibt es auch einige Mutmacher, die dafür sprechen, dass der starke Aufschwung im Jahr 2022 nun endlich kommt.
Schon für 2021 hatten Ökonomen ein kräftiges Wachstum prognostiziert. Doch die vierte Welle und das Ausbreiten von Omikron führten zu einem extrem schwachen Jahresende. Zum Abschluss dieses Jahres dürfte sich das Wachstum der deutschen Wirtschaft deutlich unter drei Prozent bewegen. Dass es nicht noch weniger ist, liegt nur daran, dass das Schlussquartal für den Jahreswert eine nicht mehr ganz so große Bedeutung hat.
Ökonomen sprechen deshalb von einem „verschobenen Aufschwung“ – der nun anstatt 2021 im Jahr 2022 kommen soll. Dafür spricht eine Reihe von Gründen: So sind die Auftragsbücher der deutschen Industrie prall gefüllt. Auch, weil die Weltkonjunktur zuletzt deutlich an Fahrt gewonnen hat. So ist das Ifo-Institut etwa für Frankreich, Italien oder die USA noch zuversichtlicher als für Deutschland. Für alle Länder rechnet das Ifo mit mehr als vier Prozent Wachstum im Jahr 2022. Davon profitiert Deutschland wiederum stark, alle drei Länder sind wichtige Handelspartner.
IMK-Chef erwartet Aufschwung nach Winterhalbjahr
IW-Chef Michael Hüther glaubt zudem, dass die Lieferengpässe, die der deutschen Industrie in diesem Jahr so schwer zu schaffen machten, im kommenden Jahr abnehmen könnten. Zwar seien nicht sofort alle Probleme beseitigt, insbesondere in der Halbleiterindustrie werde es wohl weiter Engpässe geben. Aber in einigen Märkten sei eine gewisse Entspannung erkennbar.
Zudem besteht Hoffnung, dass Corona zumindest etwas an Schrecken verliert, wenn noch mehr Menschen geimpft sind und wegen der damit einhergehenden höheren Immunität neue Wellen zumindest flacher verlaufen. Das Winterhalbjahr werde die Konjunktur noch ausbremsen, sagt IMK-Chef Sebastian Dullien. „Danach aber dürfte es kräftig aufwärtsgehen.“
Und das nicht nur, weil die Industrie wieder besser ans Laufen kommt. Auch eine höhere Nachfrage könnte den Aufschwung beflügeln. Noch immer sitzen die Bundesbürger auf bis zu 200 Milliarden Euro, die sie während der Pandemie als Ersparnisse angehäuft haben, weil sie weniger ins Kino, ins Restaurant oder shoppen gegangen sind. Wenn sie dieses Geld zumindest in Teilen ausgeben, dürfte das der Wirtschaft einen ordentlichen Schub geben.
Allerdings könnten die Menschen das Geld auch weiter auf die hohe Kante legen, wenn die Coronapandemie 2022 nicht endgültig unter Kontrolle gebracht werde, mahnt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.
Das Gleiche gelte für die globalen Lieferketten. Auch sie könnten durch die Pandemie erneut unterbrochen werden, insbesondere wenn es in Asien coronabedingt nochmals zu größeren Produktionsstörungen kommen sollte. „Wir müssen uns zumindest für die Wirtschaft auf ein weiteres Jahr Achterbahnfahrt einstellen“, so Fratzscher. Die Coronapandemie bleibe „das größte wirtschaftliche Risiko“.
Höhere Inflation könnte für Unsicherheit sorgen
Und es ist nicht das einzige. Für Unsicherheit könnte auch eine höhere Inflation sorgen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist der Auffassung, die jüngsten Preissprünge seien nur temporär; im nächsten Jahr werde der derzeit stark von Sonderfaktoren angetriebene Preisanstieg abflauen.
Es mehren sich allerdings die Stimmen derer, die mahnen, die Preise könnten durchaus für längere Zeit stärker steigen. Wäre das der Fall, befänden sich die Industriestaaten in einem völlig neuen Modus, mit dem sie erst einmal wieder zurechtkommen müssten. Die Ära niedriger Inflation und niedriger Zinsen wäre vorbei.
Daneben gibt es eine Reihe politischer Risiken. Sollte der Konflikt mit Russland und der Ukraine weiter eskalieren, könnte das auf die Stimmung drücken. Völlig unabsehbar ist, welche Folgen es hätte, wenn in Frankreich im April bei den Präsidentschaftswahlen die Rechtsextremen an die Macht kämen, was laut Umfragen zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.
Auch in Italien, vom „Economist“ dank eines robusten Wachstums und etlicher Reformen gerade zum „Land des Jahres“ gekürt, steht eine Präsidentenwahl an. Premierminister Mario Draghi könnte ins Präsidentenamt wechseln – die große Frage ist dann, wer ihn als Premierminister beerbt. Und in den USA stehen Anfang November die „Midterm Elections“ an, bei denen manche ein Comeback des Trump-Lagers befürchten.
Dass alle diese Risiken Realität werden, gilt als unwahrscheinlich. Aber eines ist sicher: Mit Corona wird die Welt erst einmal weiterleben müssen. Und die Pandemie beeinflusst maßgeblich den Takt der Wirtschaft. Zähneknirschend räumen Ökonomen ein: Die wirtschaftlichen Folgen der vierten Welle hätten sie doch ziemlich unterschätzt.
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