Konjunktur Die türkische Wirtschaft wächst im Frühjahr kräftig – und bereitet Erdogan dennoch Probleme

Die türkische Wirtschaft erholt sich von der Coronakrise.
Istanbul Die türkische Wirtschaft ist im Frühjahr wieder gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen April und Juni um 0,9 Prozent zum Vorquartal, wie das nationale Statistikamt am Mittwoch mitteilte. Im Vergleich zum Vorjahresquartal ging es kräftig und – wie von Ökonomen erwartet – um 21,7 Prozent nach oben, nach einem Plus von 7,2 Prozent Anfang 2021.
Damit ist die Türkei zuletzt stärker gewachsen als andere G20-Staaten. Grund zur Freude hat die Regierung in Ankara dennoch nicht: Der Druck auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist hoch – und das liegt unter anderem an der Wirtschaftspolitik seiner AKP-Regierung. Das Wachstum sei nicht das Problem, sagt Alvaro Ortiz, Leiter der Big-Data-Analyseeinheit bei der spanischen Großbank BBVA. Sondern die Inflation.
Sie liegt in der Türkei mittlerweile bei 18,5 Prozent. Die Unternehmen geben die Preissteigerungen an die Konsumenten weiter. Die Verbraucher können sich dadurch weniger leisten und reduzieren ihren Konsum. Darunter leiden mittel- bis langfristig auch wieder die Unternehmen.
Um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, hatte die türkische Regierung im vergangenen Jahr auf eine Kombination aus drastischen Zinssenkungen und staatlich geförderten Kreditanreizen gesetzt. So kurbelte sie den Konsum an, wodurch die Preise deutlich stiegen. Can Ayan, ein in Istanbul ansässiger Ökonom bei der Aktifbank, weiß: „Das Wachstum wird derzeit von der Industrieproduktion und Krediten bei starker interner und externer Nachfrage angetrieben.“
Vor allem bei den Dienstleistern und in der Industrie lief es zuletzt deutlich besser. So meldeten Firmen wie das Energieunternehmen Aksa Enerji nun Profitzuwächse von bis zu 35 Prozent zum Vorquartal und 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Und auch die Tourismusbranche hat sich von der Krise erholt: Bis einschließlich Juli kamen im Vergleich mit derselben Zeitspanne des Vor-Covid-Jahres 2019 rund zwei Drittel der Touristen ins Land.
Ökonomen erwarten kräftiges Wachstum für 2021
Von Reuters befragte Ökonomen erwarten, dass die Konjunktur in diesem Jahr knapp acht Prozent wachsen wird. Trotz eines Dämpfers im Frühjahr 2020 legte die türkische Wirtschaft bereits im Gesamtjahr 2020 um 1,8 Prozent zu und wuchs damit als eine der wenigen weltweit in der Coronakrise.
Verantwortlich dafür ist neben dem Kurs der AKP-Regierung die resiliente Unternehmenslandschaft im Land, die an Krisen, Terroranschläge und eben auch an Rückschläge durch eine Pandemie gewöhnt ist. Anstatt sich angesichts steigender Infektionszahlen zurückzuziehen, gründeten viele türkische Gewerbetreibende Exportabteilungen, weil sie Lücken in den globalen Handelsketten erkannt hatten.

Bei der türkischen Bevölkerung hat der Staatschef zuletzt an Beliebtheit eingebüßt.
Obwohl die türkische Wirtschaft wächst, kommt Erdogans Regierung in Umfragen derzeit schlecht weg. Die Zustimmungswerte des türkischen Staatschefs sind laut dem Istanbuler Meinungsforschungsinstitut Metropoll zwischen Juli und August um zehn Prozentpunkte auf inzwischen 38 Prozent gefallen.
Selbst unter AKP-Wählern liegt der Rückgang bei fünf Prozentpunkten. Bei den Unterstützern des Koalitionspartners MHP sank die Unterstützung für Erdogan sogar von 76,8 auf 54,5 Prozent. Analysten machen die inkohärente Wirtschaftspolitik verantwortlich für die schlechten Werte.
Nach Ansicht von Analyst Ortiz zeigen die Wirtschaftsdaten, vor welchen Herausforderungen Zentralbankgouverneur Sahap Kavcioglu steht. Vor allem versucht der Notenbanker nun, die Preisstabilität wiederherzustellen.
Doch Erdogan hat andere Pläne: Er will die Zinsen weiter senken – um die Konjunktur noch stärker anzukurbeln.
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