Konjunkturprognose Wirtschaftsinstitute: Mehr Wachstum und Jobs im kommenden Jahr

Beteiligt an der Prognose sind das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das ifo Institut, das Institut für Weltwirtschaft Kiel und das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Berlin Kräftiges Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit, geringeres Staatsdefizit: Die künftige Bundesregierung kann den führenden Wirtschaftsinstituten zufolge in ihrem ersten Jahr mit konjunkturellem Rückenwind loslegen. Das Bruttoinlandsprodukt soll 2022 mit 4,8 Prozent doppelt so schnell wachsen wie in diesem Jahr mit 2,4 Prozent, wie die Forscher am Donnerstag zu ihrer Herbstprognose mitteilten.
Im Frühjahr hatten die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung lediglich ein Wachstum von 3,9 Prozent für das kommende Jahr vorhergesagt. Wegen der akuten Materialengpässe in der Industrie fällt der Aufschwung dafür im zu Ende gehenden Jahr eine Nummer kleiner aus: Hier war bisher ein Plus von 3,7 Prozent erwartet worden. 2023 soll Europas größte Volkswirtschaft um 1,9 Prozent zulegen. 2020 war sie wegen der Corona-Krise um 4,6 Prozent geschrumpft.
„Das Vorkrisenniveau sehen wir im ersten Quartal 2022 wieder erreicht“, sagte der Konjunkturchef des Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, bei der Vorstellung der Prognosen in Berlin. Aktuell sei die wirtschaftliche Lage in Deutschland nach wie vor von der Corona-Pandemie gekennzeichnet, ergänzte der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller.
„Eine vollständige Normalisierung kontaktintensiver Aktivitäten ist kurzfristig nicht zu erwarten.“ Außerdem behinderten Lieferengpässe - etwa bei den für die Autobranche unentbehrlichen Halbleitern - die Industrie. „Etwa im Sommer des nächsten Jahres dürfte die deutsche Wirtschaft wieder die Normalauslastung erreichen“, sagte Holtemöller.
Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erarbeitet wird das Gutachten federführend vom RWI in Essen, vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel und vom IWH in Halle.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hält den Aufschwung für intakt. „Das Tempo des Wachstums hat sich aber verlangsamt“, sagte der CDU-Politiker, der am 27. Oktober die Prognosen der Bundesregierung vorstellen wird, die auf denen der Institute basieren. „Während die Dienstleistungsbranche sich weiter positiv entwickelt, ist das Wachstum in der Industrie und Produktion insbesondere durch globale Lieferengpässe zurückgegangen.“
Die Lage am Arbeitsmarkt dürfte sich schrittweise bessern. So soll die Zahl der Erwerbstätigen im kommenden Jahr mit knapp 45,4 Millionen wieder über dem Vorkrisenniveau liegen und 2023 nochmals um fast 400.000 steigen. Die Arbeitslosenzahl soll bis dahin auf 2,356 Millionen sinken, was aber immer noch rund 89.000 mehr wären als 2019.
Inflation soll wieder fallen
Der Aufschwung füllt auch die Staatskassen. Das Defizit soll in diesem Jahr wegen der Corona-Kosten noch 173,7 Milliarden Euro oder 4,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen, 2022 aber auf 80,5 oder 2,1 Prozent fallen. 2023 könnte die schwarze Null näher rücken: Der Fehlbetrag soll dann auf 35,1 Milliarden oder 0,9 Prozent sinken.
Entspannung erwarten die Ökonomen bei der Inflation. Die Teuerungsrate dürfte wegen höherer Energiepreise in diesem Jahr mit durchschnittlich 3,0 Prozent wohl so hoch ausfallen wie seit 27 Jahren nicht mehr. Im kommenden Jahr soll sie aber auf 2,5 Prozent und 2023 auf 1,7 Prozent fallen. Im September sind die Verbraucherpreise mit 4,1 Prozent so stark gestiegen wie seit 1993 nicht mehr.
Dafür sorgten auch eine Reihe von Sondereffekten, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollsmershäuser. Dazu zählten etwa das extrem niedrige Ausgangsniveau bei den Rohstoffpreisen, Pandemie- und Lockdown-bedingte Nachholeffekte oder die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung im Kampf gegen die Corona-Krise in der zweiten Jahreshälfte 2020.
Werde das herausgerechnet, sähe die Preisentwicklung weit weniger dramatisch aus. Die Inflationsrate wäre dann um gut anderthalb Prozentpunkte niedriger, sagte Wollmershäuser.
Der SPD-Arbeitnehmerflügel fordert angesichts stark gestiegener Energiepreise einen raschen Schutz für Menschen mit geringeren Einkommen. Aus den klimarelevanten Energiepreisen, die beispielsweise durch die CO2-Besteuerung steigen würden, ergebe sich „eine zusätzliche soziale Schieflage, weil einkommensschwächere Haushalte einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie aufwenden müssen“, sagte der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA), Klaus Barthel, dem Handelsblatt. Sie hätten oft keine Möglichkeit, Energie zu sparen oder entsprechende Investitionen zu tätigen.
„Hier muss es einen Ausgleich geben, und zwar nicht nur für ärmere Haushalte, sondern bis in die Mitte der Einkommen“, sagte Barthel. Er plädiert für „direkte Einkommenshilfen“, etwa bei Hartz IV oder der Rente. Entlastungen regte er zudem bei der Einkommenssteuer im unteren und mittleren Bereich an, außerdem eine Stärkung der Lohneinkommen, „also Mindestlohn perspektivisch über 12 Euro hinaus, mehr Tarifbindung und ordentliche Tarifabschlüsse“.
Eine generelle Senkung der Strompreise oder der Stromsteuer hält der SPD-Politiker für den falschen Weg, weil dies „reichen Großverbrauchern überproportional“ zugutekäme. „Wir wollen nicht Swimmingpools und SUVs subventionieren“, sagte Barthel.
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