Rürups Woche Der Sachverständigenrat braucht einen radikalen Neuanfang
Düsseldorf Die Steuerschätzung ist für die Bundesregierung in spe sicherlich ein gutes Signal. Aufsummiert über fünf Jahre kann der Gesamtstaat mit fast 180 Milliarden Euro mehr rechnen, als vor einem halben Jahr geschätzt.
Diese beeindruckende Zahl wird jedoch dadurch relativiert, dass das Gesamtaufkommen in diesem Zeitraum 4,4 Billionen Euro betragen soll, das Plus sich also im sehr niedrigen Prozentbereich bewegt. Manch einer nennt solch eine Größenordnung ‚statistisches Rauschen‘.
Steuerschätzer überraschen
Hinzu kommt, dass die rund drei Dutzend Steuerschätzer stets auf Basis jener gesamtwirtschaftlichen Eckdaten prognostizieren, die ihnen das Bundeswirtschaftsministerium vorgegeben hat. Und da hatten die Regierungsexperten dieses Mal in den schier endlosen Excel-Tabellen eine ziemliche Überraschung versteckt.
Noch vor einem halben Jahr gingen die Volkswirte davon aus, dass die Produktionslücke, die die Corona-Rezession im Jahr 2020 aufgerissen hat, sich mittelfristig verringern und am Ende des Betrachtungszeitraum geschlossen sein wird.
Kommt eine lange Boom-Phase?
Nunmehr wird unterstellt, dass die Lücke zwar weiterhin wie üblich am Ende des Betrachtungszeitraum Null sein wird, sie aber in den Jahren 2023, 2024 und 2025 positiv sein wird, die deutsche Wirtschaft also drei Jahre lang überausgelastet sein wird. Eine so lange Phase mit Produktion unter Volldampf ist zum einen meist ein deutlicher Inflationstreiber und zum anderen recht ungewöhnlich.
Sicher, solch ein Boom in den kommenden Jahren ist möglich, doch ob er wahrscheinlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Ampelkoalitionäre sollten also das Fell des Bären besser erst dann verteilen, wenn der Bär auch erlegt ist.
Kein Konsumrausch in Sicht
Ich kann bislang nicht erkennen, warum die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr um mehr als vier Prozent zulegen soll. Die gerade explodierenden Corona-Zahlen lassen nicht darauf schließen, dass schon bald ein Konsumrausch losgetreten wird.
Und dann waren da diese Woche noch die „fünf Weisen“, die derzeit nicht nur führungslos, sondern auch nur zu viert sind. Und so legte der Sachverständigenrat am Mittwoch bei genauer Betrachtung nicht ein, sondern zwei Jahresgutachten vor, die nur von einem gemeinsamen Buchdeckel zusammengehalten wurden.
Große Uneinigkeit unter den Wirtschaftsweisen
Doch was bitte soll die Öffentlichkeit mit einem Gutachten anfangen, in dem sich das wichtigste Begutachter-Gremium in fast allen wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen nicht einigen kann?
Selbst wenn der Rat womöglich bald wieder vollzählig sein wird und die fünf einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende aus den eigenen Reihen gewählt haben, startet der neue Chef oder die neue Chefin gleich mit einer schweren Bürde: Er oder sie ist durch dieses Gutachten als Moderator bereits schwer beschädigt.
Höchste Zeit für einen radikalen Neuanfang des Sachverständigenrats!
Unser Angebot im Newsletter dieser Woche
Der Chefökonom: Veränderter Blickwinkel der EZB
Podcast Economic Challenges über das Gutachten der Wirtschaftsweisen: Professor Rürup im Gespräch mit Professor Hüther
Klimawandel: Die gefährlichen Folgen der Klimakrise
Grafik der Woche: Immobilienmarkt
Wie ist Ihre Meinung zu den Themen? Schreiben Sie uns!
Abonnieren Sie unseren Newsletter: Klicken Sie hier

Der Autor ist Präsident des Handelsblatt Research Institute.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.