Rürups Woche Preissprünge wie lange nicht mehr
Düsseldorf Der Preisanstieg hat sich im Juni in Deutschland etwas verlangsamt. Allerdings ist klar, dass die 2,3 Prozent vom Juni nur ein Vorgeschmack auf das waren, was im zweiten Halbjahr in Deutschland zu erwarten ist.
Monatswerte von um die vier Prozent sind nämlich sehr wahrscheinlich. Die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf die alten Sätze, die neue CO2-Abgabe und rasant gestiegene Öl- und Rohstoffpreise werden mutmaßlich für kurzfristige Preissprünge sorgen, wie sie in Deutschland lange nicht registriert wurden.
Wie reagiert die EZB?
Ein Teil dieses Preisauftriebs ist auf Einmaleffekte zurückzuführen. Doch, wir erinnern uns, als ein niedriger Ölpreis die Inflation nahe an die Nulllinie drückte, läuteten in der EZB die Alarmglocken. Präsident Mario Draghi malte das Deflationsgespenst an die Wand und öffnete die Geldschleusen.

Handelsblatt: PP=Prozentpunkte *Abweichung durch Rundungsdifferenzen möglich. Quellen: Handelsblatt Research Institute, Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit
Besorgte Worte, Negativzinsen auf Bankeinlagen bei der EZB und Anleihekäufe waren seine Antworten. Mittlerweile erheben derzeit bereits nahezu 350 deutsche Banken von ihren Kunden Negativzinsen, teils schon ab recht überschaubaren Beträgen.
EZB ist dominanter Investor von Staatsanleihen
Ein ordnungspolitisches Problem dieser ultraexpansiven Geldpolitik ist, dass die EZB mittlerweile zum dominanten Investor am Markt für Staatsanleihen geworden ist. Nach Berechnungen der Commerzbank hält diese Notenbank mittlerweile mehr als die Hälfte aller Staatsanleihen der Niederlande, Deutschlands und Portugals. Für Finnland, Österreich, Frankreich, Belgien, Irland und Spanien soll der Anteil bei über 33 Prozent liegen, für Italien ist er nur geringfügig geringer.
Zweifellos erleichtert es die EZB mit dieser Geldpolitik den Euro-Staaten, ihre zum Teil sehr hohe Staatsverschuldung zu finanzieren. Doch hat die Notenbank sich selbst in eine Position gedrängt, aus der sie nur schwer entkommen kann.
Die Falle in der Zinspolitik
Steigt die EZB aus dem Krisenmodus aus und erhöht die Zinsen, drohen ihr hohe Kursverluste bei den von ihr gehaltenen Staatsanleihen, während gleichzeitig eine Reihe der Mitgliedstaaten mit massiven Finanzierungsproblemen konfrontiert würden.
Bleibt sie hingegen dauerhaft im derzeitigen Krisenmodus, obwohl Wirtschaft und Inflation anziehen, verliert die EZB ihre Glaubwürdigkeit als Hüterin eines – auch auf den internationalen Finanzmärkten - stabilen Euro.
Zwar weiß niemand, wie stark die Alterung der Gesellschaft und der damit verbundene Fachkräftemangel einerseits und die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft andererseits Wirtschaftswachstum und Preisniveau beeinflussen werden.
Klar ist jedoch, die zurückliegenden 20 Jahre der Preisniveaustabilität sind kein Garant für niedrige Inflation in der Zukunft.
Unser Angebot in dieser Woche
Der Chefökonom: Das Trilemma der Rentenpolitik
Gastkommentar: Außenwirtschaft - der blinde Fleck der Politik
Der Podcast: Professor Bert Rürup und Michael Hüther im Gespräch
Die Grafik der Woche: Deutsche Inflationsgeschichte
Wie ist Ihre Meinung zu den Themen? Schreiben Sie uns!
Abonnieren Sie unseren Newsletter: Klicken Sie hier

Der Autor ist Präsident des Handelsblatt Research Institute.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.