Verdi und Beamtenbund Länder-Tarifrunde: Arbeitgeber stellen selbst Forderungen – und provozieren so einen Arbeitskampf

Die Entgelte im Gesundheitswesen der Länder sollen nach den Vorstellungen der Gewerkschaften um 300 Euro steigen.
Berlin Coronaschulden, anziehende Inflation und Streit über die Eingruppierung der Beschäftigten – die anstehende Länder-Tarifrunde verspricht konfliktreich zu werden. Würden die Gewerkschaftsforderungen erfüllt, kämen auf die Länderhaushalte jährliche Mehrbelastungen von 7,5 Milliarden Euro zu, sagte der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), dem Handelsblatt. Dies sei „illusorisch“.
Die Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion fordern fünf Prozent mehr Geld für die Beschäftigten, mindestens aber 150 Euro, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Entgelte der Arbeitnehmer im Gesundheitswesen, die beispielsweise in den Uni-Kliniken bei der Bekämpfung der Coronapandemie geholfen haben, sollen um 300 Euro monatlich erhöht werden.
Durch die aufgerufenen Mindestbeträge liege die höchste Steigerung in Wahrheit bei 7,2 Prozent, im Pflegebereich sogar bei 12,8 Prozent – und damit noch deutlich über den geforderten fünf Prozent, betonte Hilbers.
Unmittelbar betreffen die Verhandlungen, die am Freitag in Berlin beginnen, 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte der Länder. Hessen ist 2004 aus der TdL ausgetreten und verhandelt seitdem in Eigenregie. Sollte der Abschluss, wie von den Gewerkschaften erwartet, auch auf die Beamten und Versorgungsempfänger in den Ländern und Kommunen übertragen werden, wären insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen betroffen.
Arbeitgeber: „Begrenzter Verteilungsspielraum“
Die Arbeitgeber verweisen darauf, dass die Steuereinnahmen der Länder immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau liegen und der Verteilungsspielraum deshalb begrenzt sei. Im vergangenen Jahr waren die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden gegenüber dem Vorjahr um rund 7,5 Prozent auf 740 Milliarden Euro gesunken. Beim Bund fiel das Minus mit 14 Prozent aber deutlich kräftiger aus als bei den Ländern mit 2,5 Prozent.
Außerdem müssen die in der Coronakrise aufgenommenen Kredite zurückgezahlt werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren die Länder zum Ende des ersten Halbjahrs insgesamt mit 639,9 Milliarden Euro verschuldet, ein Zuwachs von 0,6 Prozent gegenüber dem Jahresende 2020.
Die Tilgungspläne der Länder sehen für die in der Schuldenbremse vorgeschriebene Rückzahlung der Coronaschulden aber sehr unterschiedliche Zeiträume vor, die von drei Jahren in Sachsen-Anhalt bis zu 50 Jahren in Nordrhein-Westfalen reichen. Verdi-Chef Frank Werneke hat deshalb bereits deutlich gemacht, dass er finanzielle Belastungen durch kurzfristige Rückzahlungsfristen in den Verhandlungen nicht als Argument akzeptieren werde.
Hilbers warnt vor Lohn-Preis-Spirale
Die zurückgekehrte Inflation – im September waren die Verbraucherpreise erstmals seit knapp 28 Jahren um mehr als vier Prozent gestiegen – wollen weder Arbeitgeber noch Gewerkschaft momentan überbewerten. Die aktuellen Werte seien stark von temporären Effekten wie der zeitweise gesenkten Mehrwertsteuer getrieben, sagte Hilbers. Man müsse aber aufpassen, jetzt keine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen.
Verdi schätzt fürs laufende Jahr eine Inflationsrate zwischen drei und 3,5 Prozent und für 2022 eher 2,5 als zwei Prozent. Noch sehe man aber „keine davonlaufende Inflation“, sagte Werneke.
Ein großer Streitpunkt in den Gesprächen dürfte die Länder-Forderung sein, den Arbeitsvorgang zum Thema zu machen. Im Kern geht es um die Frage, wie bestimmte Tätigkeiten bewertet werden und wie sich das in der Eingruppierung der Beschäftigten niederschlägt. Je größer der Anteil komplexerer Tätigkeiten in einem Arbeitsvorgang ist, desto höher die Eingruppierung.
Arbeitnehmer fürchten Herabgruppierung
Allerdings hatte das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Berliner Justizfachangestellten den Arbeitsvorgang neu bewertet, was zu einer Höherstufung der Klägerin führte. Seither sehen sich die Länder mit Tausenden Eingruppierungsklagen konfrontiert. Die TdL hat nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zwar Verfassungsbeschwerde eingelegt, will aber auch auf dem Verhandlungsweg eine Neubewertung des Arbeitsvorgangs erreichen.
Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst sind gestartet
Die Gewerkschaften wollen über das Thema allerdings nicht reden, weil sie fürchten, andernfalls die Büchse der Pandora zu öffnen. „Wenn wir einknicken, hat das Folgen für die Eingruppierung der gesamten Beschäftigten“, warnte das für den öffentlichen Dienst zuständige Verdi-Vorstandsmitglied Christine Behle kürzlich vor Journalisten in Berlin. Die Arbeitnehmervertreter fürchten eine Herabgruppierung auf breiter Front.
TdL-Chef Hilbers will aber über Forderungen der Gewerkschaft wie Sonderleistungen für das Gesundheitspersonal nur reden, wenn auch der Arbeitsvorgang behandelt wird – selbst auf die Gefahr hin, damit einen Arbeitskampf zu provozieren. Es könne nicht sein, „dass nur über Gewerkschaftsforderungen verhandelt wird und unsere eigenen außen vor bleiben“, sagte der niedersächsische Finanzminister.
Nach dem Auftakt in Berlin am 8. Oktober sind bisher zwei weitere Verhandlungstermine für den 1./2. November und den 27./28. November in Potsdam angesetzt. Vor zwei Jahren hatten sich beide Seiten auf eine dreistufige Anhebung der Entgelte um insgesamt acht Prozent bei einer Laufzeit von 33 Monaten geeinigt. Damals waren die Gewerkschaften mit der Forderung nach sechs Prozent mehr Geld für ein Jahr angetreten, mindestens aber 200 Euro.
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