Energie von gestern? Atomkraft kämpft um ihre Zukunft

Fukushima bedeutete weltweit eine Zäsur für die Atomenergie. Eine Untersuchung von sieben international tätigen Analysten versucht nun zu klären, welche Auswirkungen genau das Unglück für die Branche hat. Das Fazit ist eindeutig.
29.08.2014 - 09:51 Uhr 7 Kommentare
Skepsis nach Fukushima: Während der Anteil Erneuerbarer Energie wächst, geht der von Atomenergie zurück. Quelle: dpa

Skepsis nach Fukushima: Während der Anteil Erneuerbarer Energie wächst, geht der von Atomenergie zurück.

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Der 11. März 2011 war für die internationale Energiewirtschaft ungefähr das, was der 11. September 2001 für die Politik war: Ein einschneidendes Datum, das als Zäsur in die Geschichte der Branche eingehen könnte. Vor mehr als drei Jahren brachte ein Erdbeben und ein Tsunami an Japans Küste das Atomkraftwerk in Fukushima an den Rand einer Superkatastrophe. In drei Blöcken kam es zu einer Kernschmelze, die umliegende Gegend wurde radiokativ belastet. Bis heute hat das Betreiberunternehmen Tepco die Situation nicht im Griff. Die Kosten für die Schadensbeseitigung gehen in die Milliarden Euro, rund 160.000 Menschen mussten die Sperrzone um die Meiler verlassen.

In Deutschland besiegelte dieses Ereignis den schon lange geplanten Atomausstieg endgültig und zog ihn sogar einige Jahre vor. Seitdem kämpfen die großen deutschen Energieversorger um das Überleben. In Japan wurden die Atommeiler aus Sicherheitsgründen vom Netz genommen. Bis jetzt streitet das Land, ob alle wieder ans Netz gehen sollen.

  • Wie stark die Auswirkungen von Fukushima auf die Atomindustrie weltweit waren und ob die Branche eine Zukunft hat, versucht nun eine Untersuchung von sieben international tätigen Analysten zu klären. Ihr World Nuclear Industry Status Report wurde unter anderem mit Unterstützung der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung angefertigt und erscheint seit 2007 jährlich.
  • Die Analysten zeigen deutlich, dass die Atomkraft weltweit an Bedeutung verliert. Ob sie noch einmal an ihre Hochzeit Mitte der 90er-Jahre anknüpfen kann, erscheint fraglich, wenn man auf die wichtigsten Ergebnisse des 159 Seiten langen Reports blickt:
  • Der Anteil der Kernenergie an der globalen Stromerzeugung ist demnach von rund 17 Prozent im Jahr 1996 auf etwas mehr als zehn Prozent im Jahr 2013 gesunken. Das liegt aber unter anderem auch daran, dass in der Folge von Fukushima viele Meiler zur Überprüfung vom Netz genommen wurden. Allerdings: Während aktuell viele neue Kohle-, Gas- und Erneuerbare-Energien-Kraftwerke ans Netz gehen, tut sich bei der Kernkraft kaum etwas. Sie verliert im Vergleich mit anderen Stromerzeugern an Bedeutung.
  • Stand Juli 2014 befinden sich weltweit 67 Reaktoren mit einer Leistung von 64 Gigawatt im Bau, 43 davon allein in China, Indien und Russland. Allerdings sind acht von ihnen seit 20 Jahren als im Bau gelistet, bei 49 gibt es teils erhebliche Verzögerung bei der Fertigstellung. Wann und ob sie überhaupt je ans Netz gehen, ist ungewiss.
  • 2013 begannen nur die USA, Weißrussland und Argentinien mit dem Bau neuer Reaktoren, sechs neue Reaktoren gingen seitdem ans Netz.
  • 31 Länder betreiben derzeit Kernkraftwerke mit insgesamt 388 Reaktoren und einer Leistung von 333 Gigawatt. In Japan produzierten nur zwei Meiler vergangenes Jahr Strom. 46 waren stillgelegt. Alle aktiven Atommeiler weltweit erzeugten 2013 2360 Terawattstunden Strom, genug um den Verbrauch Deutschlands rund vier Mal zu decken.
  • 2002 waren weltweit 438 Reaktoren in Betrieb. Rechnet man die aktuell inaktiven Reaktoren in Japan mit ein, hat sich an der Anzahl also bis heute nicht viel geändert.
  • Knapp 70 Prozent des Atomstroms wird in fünf Ländern produziert: USA, Frankreich, Südkorea, China und Russland.
  • Das durchschnittliche Alter der Reaktoren weltweit nimmt zu, da in den vergangenen Jahren kaum neue Atomkraftwerke ans Netz gingen. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der aktiven Reaktoren bei rund 28 Jahren. 39 von ihnen sind seit 40 Jahren oder mehr am Netz.
  • Wie viel Atomstrom am Ende wirklich kostet, darüber streiten Befürworter und Gegner seit Jahrzehnten. Denn neben dem Kraftwerksbau geht es auch um die Lagerung und Beseitigung für den strahlenden Müll und die Kosten im Falle eines Unfalls (die liegen für Aufräumarbeiten und Entschädigungen in Fukushima bei mindestens 80 Milliarden Dollar, bisher hat Tepco rund 40 Milliarden Dollar an Geschädigte ausbezahlt).

Was sicher ist: Die neuesten Reaktoren der Generation III+ (hier ein Überblick zu den einzelnen Generationen von AKWs), wie sie zum Beispiel das französische Unternehmen EDF in England, Finnland und China plant und baut, liegen bei rund 8.000 Dollar pro Kilowatt Leistung. Sie sollen besonders sicher sein. Ein einzelner Reaktor wie im englischen Hinkley-Point-Kraftwerk schlägt mit rund acht Milliarden Pfund (zehn Milliarden Euro) zu Buche. Eine Kilowattstunde aus dem Kraftwerk wird mit mehr als 11 Eurocent über 35 Jahre vergütet, hinzu kommt ein Inflationsausgleich. EDF beziffert die Kosten für Strom aus aktiven Atomkraftwerken in Frankreich auf rund sechs Eurocent pro Kilowattstunde.

Das Fazit, das sich aus dem Bericht ziehen lässt, ist eindeutig: Die neuen Reaktortypen, wie sie vereinzelt in den Industriestaaten entstehen, sind vergleichsweise teuer. Vor allem die ambitionierten Entwicklungsländer China, Russland und Indien setzen auf günstigere Kernkraftwerke mit herkömmlicher Technik, um ihren stetig steigenden Stromhunger zu stillen. Aber auch China will künftig nur noch Meiler der dritten Generation erlauben und auch Russland entwickelt bestehende Technik weiter und will nun sogar in einem finnisch-russischen Joint Venture ein Kernkraftwerk in Finnland bauen.

Ob das genügt, um den Bedeutungsverlust der Atomenergie aufzuhalten? Bedenkt man, dass weltweit allein in diesem Jahr Sonnen- und Windkraftwerke mit einer Leistung von rund 90 Gigawatt ans Netz gehen werden, lautet die Antwort: eher nicht.

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