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Digitale Revolution

ada-Magazin Open Source: Wer Code teilt, wird Zukunft ernten

Die großen Softwarekonzerne öffnen ihre Code-Schätze: Open Source soll den Weg zu einer besseren KI ebnen. Ein Selbstläufer ist das aber nicht.
26.02.2021 - 08:00 Uhr Kommentieren
Software-Entwickler*innen bei der Arbeit. Quelle: E+/Getty Images
Innovation durch Kollaboration

Software-Entwickler*innen bei der Arbeit.

(Foto: E+/Getty Images)

Düsseldorf Ein Zwerg, heißt es, der auf den Schultern von Riesen steht, kann weiter schauen als der Riese selbst. Nun, in diesem Bild wäre Stephan Tao Zhengs tägliche Arbeit der Zwerg, und weil er diese auf die Schultern eines Riesen gestellt hat, kommt er damit ungewöhnlich weit.

So muss man sich das jedenfalls bildlich vorstellen und die Intelligenz der Masse wäre in diesem Bild der Riese. Denn Tao Zheng ist Spezialist für Machine-Learning und leitet das Projekt „AI Economist“, mit dem das Softwareunternehmen Salesforce datenbasierte Wirtschaftssimulationen und künstliche Intelligenz (KI) nutzen will, um wirtschaftspolitische Empfehlungen „zur Verbesserung des sozialen Wohls“ zu geben.

„Wenn KI-Systeme in der realen Welt eingesetzt werden, müssen sie unbedingt auf faire und repräsentative Weise verwendet werden“, sagt Zheng. „Das heißt, sie müssen transparent, erklärbar und robust sein.“

Deswegen hat Zhengs Arbeitgeber Salesforce die Software als Open Source freigegeben. „Jeder sollte in der Lage sein“, sagt Zheng, „den Quellcode einer KI-Simulation zu sehen, die Parameter der KI-Modelle, die Ziele und Einschränkungen und welche Eigenschaften den KI-Empfehlungen zugrunde liegen.“

Open Source also. Ein Prinzip, das das Bild „on the shoulder of giants“ hochhält und von dem man eigentlich dachte, dass es nach den wilden IT-Jahren in den 1990ern seine beste Zeit hinter sich habe. Nun aber wuselt ein ganzes Heer von Zwergen auf den Schultern von Riesen herum, um die digitale Infrastruktur für die Gesellschaft von morgen zu bauen.

Das Konzept frei lizenzierter und transparenter Software-Quellcodes ermöglicht es jedem, sie weiterzuentwickeln und eigene Erkenntnisse und Fortschritte wieder zurück in die Community zu geben.

Open Source ist für die rasante Weiterentwicklung der KI ein wichtiger Baustein – nicht zuletzt um das nötige Vertrauen in maschinengesteuerte, automatisierte Anwendungen zu schaffen und sicherzustellen, dass sie nach ethischen Kriterien eingesetzt werden. „KI-Systeme quelloffen zu machen ermöglicht einen fairen und transparenten Zugang und demokratisiert sie“, sagt Stephan Tao Zheng.

Masse schafft Tempo

Das Prinzip ermöglicht Innovation und digitalen Fortschritt in einem Tempo, das noch vor wenigen Jahren unmöglich erschienen wäre. Denn da galt Open Source vielen Tech-Unternehmern noch als Bremse und Störer der Wissensgesellschaft.

„Open-Source-Entwickler sind Kommunisten!“ So ließ sich noch vor 16 Jahren der damalige Microsoft- Chef Bill Gates zitieren – und meinte das durchaus ernst. Microsoft bekämpfte das Open-Source-Betriebssystem Linux regelrecht, Gates“ Nachfolger Steve Ballmer bezeichnete Linux gar als „Krebs“ der Branche.

Auch Shai Agassi, der damalige Vorstand des deutschen Software-Konzerns SAP, bezeichnete Open Source zu dieser Zeit als „intellectual property socialism“. Diese Form der Softwareentwicklung gefährde die auf geistigem Eigentum aufbauende moderne Wissensgesellschaft, warnte Agassi.

Fast Forward ins Jahr 2021: Nahezu jede Software-Anwendung enthält inzwischen Open-Source-Komponenten – nicht zuletzt die Basisprogramme für das World Wide Web, das dank frei verfügbarer Protokolle seinen rasanten Siegeszug antreten konnte. In einer internationalen Unternehmensumfrage geben 95 Prozent der IT-Manager*innen an, dass der Einsatz frei lizenzierter Software ein wichtiger Bestandteil ihrer IT-Strategie ist.

Das internationale IT-Marktforschungsinstitut Gartner sagt voraus, dass im Jahr 2022 rund 70 Prozent der Unternehmenssoftware auf Open Source basiert. Und Microsoft ist vom Gegner längst zu einem der größten und mächtigsten Unterstützer des Open-Source-Prinzips geworden.

Der Tech-Konzern besitzt inzwischen eine der wichtigsten Plattformen für Open-Source-Programmierer*innen, Github. Allein dort arbeiten derzeit mehr als 56 Millionen Entwickler*innen gemeinsam an allein im Jahr 2020 60 Millionen neuen Open-Source- Projekten, sogenannten Repositories.

1,9 Milliarden individuelle Beiträge zu Open-Source-Quellcodes sind so entstanden. 72 Prozent der Fortune-50-Unternehmen sind daran beteiligt. Zur Eclipse-Stiftung, einer besonders in Deutschland und Europa populären Open-Source-Plattform, tragen Unternehmen wie SAP und Bosch, das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum und die Fraunhofer-Institute Code bei.

Ein in der Tech-Industrie akzeptiertes Modell

Microsoft baut derweil große Teile seines Software-Angebots nach dem Open-Source-Prinzip um und betreibt eigens ein Open-Source-Programs-Office (OSPO), das alle Mitarbeiter*innen dabei unterstützen soll, Open-Source-Technologien zu verstehen und sicher zu benutzen.

Im Firmenblog erklärte Microsofts Open-Source-Chefin Sarah Novotny im Januar, warum heute kaum noch ein Unternehmen auf den Einsatz von quelloffener Software verzichten kann: Die Komplexität und Geschwindigkeit der digitalen Wirtschaftswelt ist anders kaum noch zu managen.
„Wenn man vor ein paar Jahren mehrere große Tech-Unternehmen zusammenbringen wollte, um sich auf eine Software-Initiative zu einigen, waren oft monatelange Verhandlungen, Meetings, Debatten und das ganze Hin und Her nötig ... und haben wir schon all die Anwälte erwähnt?“, fasst Novotny zusammen.

Open Source habe das komplett verändert, indem es zu einem in der Tech-Industrie akzeptierten Modell für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit geworden ist: „Wenn wir sehen, dass ein Problem auftaucht, von dem wir wissen, dass es besser wäre, es gemeinsam zu lösen, kommen wir innerhalb weniger Wochen zusammen, mit etablierten Modellen, an denen wir uns ausrichten können.“

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Offen gegen die Spaltung

Open Source könnte auch dazu beitragen, den „Digital Divide“ zu verringern – also die Kluft zwischen großen Technologieunternehmen, großen Universitäten und dem Rest der Welt. „Fortgeschrittene KI erfordert Zugang zu massiver Rechenleistung, die sich Start-ups, kleinere Unternehmen und Universitäten nicht leisten oder die sie nicht eigenständig nutzen können“, sagt Salesforce-KI-Experte Zheng. Diese Machtkonzentration gelte es abzubauen.

Das sieht auch Claudia Pohlink so. Sie ist Head of AI and Machine Learning bei den T-Labs, einer Telekom-Tochter. Mit ihrem Team prüft sie, welche technologischen Trends und Anwendungsfelder für den Konzern in den nächsten fünf bis zehn Jahren relevant werden.

Die enormen Fortschritte beim Einsatz künstlicher Intelligenz seien ohne Open Source kaum denkbar, betont Pohlink: „Neue technologische Fortschritte in der KI werden in der Regel von namhaften Universitäten wie Stanford in den USA vorangetrieben und fast ausschließlich Open Source der Welt ,geschenkt‘.“ Ohne diese Open-Source-Mentalität wären auch kommerzielle Anbieter längst nicht so weit, KI-Anwendungen anzubieten.

Auch in Pohlinks Team sind Quellcode-offene Anwendungen und Software-Komponenten bei der täglichen Arbeit nicht wegzudenken: „Wir sind als Forschungs- und Entwicklungseinheit zum einen ein interner Dienstleister für die Umsetzung innovativer Lösungen der künstlichen Intelligenz, aber zum anderen auch Teil der weltweiten Research-Community, die ganz klar den Open-Source-Ansatz verfolgt“, sagt Pohlink.

So setzt das Team bei internen KI-Entwicklungsprojekten zum Beispiel auf die Programmiersprache Python in Kombination mit Open-Source-Bibliotheken. „Insbesondere für die Entwicklung von Machine-Learning-Modellen sind Open-Source-Bibliotheken die erste Wahl und stehen in der Regel kommerziellen Anbietern in nichts nach.“

Wenn interne Kund*innen zum Beispiel aufwendigere und interaktive Visualisierungen von Datenanalysen wünschen, sind allerdings häufig auch kommerzielle Closed-Source-Tools wie die KI-gestützte Visualisierungssoftware Tableau im Einsatz.

„Die Abwägung, wann Open-Source- und wann Closed-Source-Software-Komponenten eingesetzt werden, hängt von den Bedürfnissen und der finanziellen Ausstattung unserer internen Kund*innen ab“, erklärt Pohlink. „Generell gilt für uns: Open Source first, Closed Source second.“

Grundgedanke droht zu verwässern

Dennoch braucht es hier und da noch Überzeugungsarbeit. „Es kann schwierig sein, interne Entscheidungsträger davon zu überzeugen, konkrete Implementierungen zurück an die Open-Source-Community zu geben“, sagt T-Labs-Leiterin Pohlink. „Die Mentalität der über das Budget entscheidenden Manager*innen ist häufig so, dass sie den Mehrwert des Aufbaus einer Open-Source-Community unterschätzen – und eher einen kurzfristigen Blick haben.“

Dieses Verhalten macht vielen Open-Source-Strateg*innen Sorgen. Denn es gefährdet das Vertrauen in Open-Source-Netzwerke und damit deren Erfolg, wenn Unternehmen eigene Weiterentwicklungen der frei verfügbaren Software dem Netzwerk nicht „zurückgeben“.

Einerseits steigt die Akzeptanz des Open-Source-Gedankens – doch Kritiker*innen fürchten, dass der Grundgedanke dabei mehr und mehr verwässert. Unternehmen würden erst die Weisheit der Masse nutzen, um eigene Schwachstellen auszugleichen, sich aber dann aus dem Solidar- und Kollaborationsprinzip ausklinken, sobald etwas wirklich Gewinnbringendes entstanden ist. Sie geben bahnbrechende Weiterentwicklungen also nicht zurück in die Community, sondern vermarkten sie lieber selbst exklusiv als Closed-Source-Produkt.

Wer sich so verhält, kann irgendwann nicht mehr auf die Unterstützung der Entwickler*innen-Netzwerke zählen. In der Open-Source-Community sind daher vor allem solche Unternehmen erfolgreich, die kollaborativ arbeiten und begriffen haben, dass alle von einem stetigen Geben und Nehmen profitieren.

„Erfolg in Open Source hängt genauso viel von den eigenen Beiträgen zur Gemeinschaft ab wie davon, was Unternehmen von der Gemeinschaft lernen“, fasst Microsoft-Open-Source-„Wonk“ (Selbstbezeichnung) Sarah Novotny zusammen. „Hinter jedem Code-Schnipsel steht in Open Source eine Person. Es ist wichtig, sich mit diesen Menschen zu verbinden – ihnen zuzuhören, zu lernen und sich in sie einzufühlen“, erklärt sie.

Der Mehrwert: „Sie bieten eine andere Perspektive und bringen Feedback ein, an das das eigene Team vielleicht nicht denkt.“

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