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Digitale Revolution

Digitale Revolution Medikamente per Klick: So soll die Apotheke der Zukunft aussehen

Die Digitalisierung stellt Apotheken vor große Herausforderungen. Neue Bündnisse sollen ihnen helfen, im Onlinehandel zu bestehen. Und was macht Amazon?
03.03.2020 - 16:10 Uhr Kommentieren
Waren die deutschen Apotheken in ihren Ursprüngen meist als Einzelkämpfer unterwegs, zwingt die Digitalisierung sie, ihre Kräfte zu bündeln. Quelle: getty images, Colourbox [M]
Digitaler Gesundheitsmarkt

Waren die deutschen Apotheken in ihren Ursprüngen meist als Einzelkämpfer unterwegs, zwingt die Digitalisierung sie, ihre Kräfte zu bündeln.

New York, Düsseldorf, Frankfurt Wie im Paradies seien die Mittwochnachmittage gewesen, erinnert sich Christian Wilhelm. Die Apotheke der Eltern im badischen Durmersheim schloss am Mittag, danach standen häufig Familienausflüge an. „Es gab kaum wirtschaftlichen Druck, und der Verdienst war gut“, sagt Wilhelm über die 1972 gegründete Apotheke seiner Eltern.

Ausflüge am Mittwoch gibt es heute nicht mehr. Die elterliche Apotheke führt der pharmazeutisch-technische Assistent nun mit seiner Schwester und deren Ehemann. Längst ist sie jeden Mittwoch bis 19 Uhr geöffnet. Versandhandel, Botendienste, elektronisches Rezept: „Die Kunden haben durch die Digitalisierung heute so viele Möglichkeiten und sehen es nicht mehr ein, ihre Flexibilität nicht auch bei den Apotheken einzufordern.“

Wer stehen bleibe, verliere, sagt Wilhelm. Und zu den Verlierern wollen sie in der Olympia-Apotheke in Durmersheim nicht gehören. Deshalb wollen sie sich einer digitalen Plattform anschließen, die einen Lieferservice wie Amazon oder Zalando verspricht: dem Zusammenschluss „Pro Apotheke vor Ort“ (ProAvO).

Waren die deutschen Apotheken in ihren Ursprüngen meist als Einzelkämpfer unterwegs, zwingt die Digitalisierung sie, ihre Kräfte zu bündeln. Auch Pharmaziegroßhändler ziehen mit. Und selbst die verfeindeten Versandhändler aus dem Ausland merken, dass das Geschäft im Verbund mit den Vor-Ort-Apotheken Erfolg versprechender ist. Kunden sehen nicht mehr ein, dass sie bei Kleidung, Essen oder Reisen mit wenigen Klicks vergleichen können, beraten werden und den Kauf abschließen können, während sie bei Medikamenten diese Flexibilität nicht haben.

Zwar bieten einige Apotheken bereits Botenlieferungen und Onlineshops an. Doch der Markt mit den 19.400 Vor-Ort-Apotheken und zusätzlich den Versandapotheken ist fragmentiert. Zudem ist die Übertragung des Papierrezepts vom Arzt zur Apotheke derzeit noch umständlich. Das soll sich mit den Plattformen und dank des elektronischen Rezepts ändern, das 2021 startet und später eine direkte Übertragung der Verschreibung ermöglichen soll.

Der Plan: Patienten haben mit wenigen Klicks auf einer einheitlichen Benutzeroberfläche die freie Auswahl, Medikamente gesendet zu bekommen, sie in eine Vor-Ort-Apotheke ihrer Wahl zu bestellen oder diese von einem Boten bringen zu lassen – mit transparenten Preisen und der Wahl zwischen Online- und Vor-Ort-Beratung. Die Apotheke der Zukunft ist kein einzelnes Geschäft, sondern ein Geflecht von Angeboten.

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Apotheken kommen an einer Zusammenarbeit mit Plattformen nicht vorbei, meinen Marktexperten der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners. Da immer mehr Patienten verschreibungsfreie Medikamente und Gesundheitsprodukte im Internet kauften, führe das zu sinkenden Umsätzen für die Vor-Ort-Apotheken. Plattformen seien da die einzige Möglichkeit, „am wachsenden Onlinemarkt zu partizipieren“, sagt Partner Clemens Oberhammer.

Fast ein Fünftel der Umsätze mit rezeptfreien Arzneimitteln wird in Deutschland mittlerweile über den Versandhandel abgewickelt – mit je nach Segment teilweise zweistelligen Wachstumsraten. Die Einführung des elektronischen Rezepts dürfte den Onlineumsatz weiter erhöhen.

Kundenkontakt über möglichst viele Kanäle

Wie eine Apotheken-Plattform gestaltet sein sollte, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Mittlerweile haben sich einige Anbieter positioniert, um die Apotheken auf ihre digitalen Marktplätze zu ziehen. Der Zusammenschluss ProAvO, dem sich Wilhelm aus Durmersheim anschließen will, will den Versandhandel außen vor lassen. Pharmagroßhändler kooperieren mit Verlagen und Apotheker-Genossenschaften, um möglichst viele Kunden auf die eigene Plattform zu locken. Ausländische Versandapotheken laden die einstigen Gegner zur Kooperation ein, um Präsenz in der Fläche zu bekommen. Gemeinsam jeder für sich sozusagen. Wer kann sich da durchsetzen?

„Wie bei jedem digitalen Marktplatz kommt es auch bei den Apotheken-Plattformen darauf an, möglichst viele Verkäufer und Käufer zu haben“, sagt Oberhammer von Simon-Kucher & Partners. Auf der Seite der Verkäufer, also der Apotheken, könnten aus seiner Sicht die Plattformen mit Großhandelsbeteiligung einen Vorteil haben. „Denn der Großhandel beliefert ja schon Tausende Apotheken, hat also bereits den Zugang.“ Auf der Käuferseite wiederum hätten die Versandapotheken einen Vorteil, weil sie schon Millionen aktive Nutzer haben. Pro-AvO-Chef Peter Menk ist sich sicher: „Wenn es mehrere Plattformen gibt, wird es auch zu einem Verdrängungswettbewerb kommen.“

Treffen mehrere ähnliche Angebote aufeinander, ist die Bewerbung der Vision umso entscheidender. Omnichannel lautet das Stichwort: Es geht darum, den Kunden über möglichst viele Kanäle zu erreichen. So hat beispielsweise der zweitgrößte deutsche Apothekengroßhändler Noweda mit dem Burda-Verlag den „Zukunftspakt Apotheke“ ausgerufen.

Die Online-Bestellplattform ihreapotheken.de ging im vergangenen April an den Start, parallel dazu startete Burda die für Endkunden kostenlose Apothekenzeitschrift „My Life“, die mit insgesamt 2,3 Millionen Exemplaren pro Monat in Apotheken ausliegt. Neuer Wettbewerb für die „Apotheken Umschau“ mit knapp 8,9 Millionen Exemplaren pro Monat aus dem Wort & Bild Verlag, der seinerseits bei der Plattform ProAvO mitmacht.

Zudem kaufte der Burda-Verlag 2019 das Online-Gesundheitsportal Netdoktor, das mittlerweile auch mit ihreapotheken.de kooperiert und dorthin verlinkt. Netdoktor.de ist mit knapp 9,6 Millionen Nutzern (Unique User) im Januar 2020 das reichweitenstärkste Gesundheitsportal, zeigt die Ausweitung der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF). Apotheken-Umschau.de mit knapp 7,9 Millionen Nutzern folgt auf Platz zwei.

Der größte deutsche Pharmahändler Phoenix wiederum setzt auf die Partnerschaft mit dem Bonussystem von Payback, um mehr Nutzer für seine eigene Plattform „Deine Apotheke“ zu gewinnen. Mit Erfolg, wie Deutschlandchef Marcus Freitag gegenüber dem Handelsblatt erläutert: Payback nutzten 2019 insgesamt 2,53 Millionen Käufer in den kooperierenden 1600 Apotheken. Über die Kooperation Phoenix/Payback wurde ein Handelsumsatz von knapp 157 Millionen Euro erzielt, ein Wachstum von 23 Prozent.

Wann steigt Amazon in den Markt ein?

Zudem plant Phoenix eine Kooperation mit einem Telemedizinanbieter, wie es beispielsweise Doc Morris mit dem schwedischen Start-up Kry macht. „Überall, wo eine Kaufentscheidung zugunsten eines Medikaments getroffen wird, müssen wir als Plattform präsent sein“, sagt Freitag. Er glaubt, dass sich am Ende die Plattform durchsetzen wird, die die größte Verbreitung – also die meisten angeschlossenen Vor-Ort-Apotheken – hat, und gleichzeitig für den Konsumenten den größten Bequemlichkeitsfaktor bietet.

Was in Deutschland noch Vision ist, ist in den USA bereits Wirklichkeit. Digitalapotheken wie Pillpack, Capsule, Alto Pharmacy und Nimble Rx liefern verschreibungspflichtige Medikamente, ohne dass der Patient das Haus verlassen muss. 2018 hat Amazon Pillpack für knapp eine Milliarde US-Dollar geschluckt.

In den USA funktioniert der Apothekenmarkt allerdings völlig anders als in Deutschland. Bisher gehen amerikanische Patienten mit ihrem Rezept zur Apotheke – meist die Filiale einer großen Kette. Dort erhalten sie nicht wie in Deutschland die in der Fabrik abgepackte Packung mit den Medikamenten. Stattdessen müssen sie warten, bis ein Apotheker die verschriebenen Medikamente aus den Blistern holt und die einzelnen Pillen oder Kapseln in einen Behälter umfüllt.

Dieser Prozess kann Stunden dauern, sodass die Kunden später zurückkommen müssen, um ihre Medikamente abzuholen. Genau hier setzen Anbieter wie Pillpack an: Sie versprechen keine stundenlange Warterei mehr und liefern die Produkte auch noch nach Hause. In New York garantiert Pillpack zwei Stunden Lieferzeit.

Dass US-Digitalapotheken und insbesondere Amazon früher oder später auch nach Europa kommen werden, gilt für Branchenkenner als ausgemacht. Erst kürzlich hat Amazon die Marke „Amazon Pharmacy“ auch in der EU und etlichen anderen Märkten angemeldet. Nils Seebach, Chef der Digitalberatung Etribes und Experte für den Pharmahandel, erwartet, dass der Konzern in „zwei bis vier Jahren“ in Europa starten werde.

„In Deutschland ist das Modell von Pillpack und anderen derzeit regulatorisch erschwert“, erklärt Fritz Heese von der Unternehmensberatung Oliver Wyman. „Aber es stellt sich die Frage, ob nicht auch die Verbraucher einen Wandel zu mehr Dienstleistungen beim Kauf von Medikamenten fordern.“ Amazon müsse sich gar nicht von Anfang an mit den komplexen verschreibungspflichtigen Arzneien auseinandersetzen, sagt auch Berater Seebach, denn Gewinn werfe vor allem der Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Produkte ab.

„Ist diese Marge erst einmal wegdigitalisiert und das Apotheken-Sterben beginnt, werden Amazon und Co. zwangsläufig in die Lage kommen, den gesamten dann frei gewordenen Pharmamarkt bedienen zu können.“ Deshalb müssten deutsche Apotheken schleunigst Antworten auf das sich verändernde Konsumverhalten finden.

Mehr: Diese Plattformen kämpfen um den Spitzenplatz im Apothekenmarkt.

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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem exklusiven Fachbriefing Handelsblatt Inside Digital Health. Zweimal in der Woche analysieren wir dort die neuesten Entwicklungen im Bereich digitale Gesundheit.

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