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Digitale Revolution

Digitale Revolution Wie haptisches Feedback die digitale und reale Welt miteinander verschmelzen soll

Start-ups, Wissenschaftler und Konzerne arbeiten daran, digitale Informationen fühlbar zu machen. Das Interesse ist groß, doch die Anwendung nicht ganz einfach.
27.04.2021 - 14:55 Uhr Kommentieren
Die Technologie ist komplex, soll aber neue Wahrnehmungsdimensionen erschließen. Quelle: Getty Images, Montage
Haptisches Feedback

Die Technologie ist komplex, soll aber neue Wahrnehmungsdimensionen erschließen.

(Foto: Getty Images, Montage)

Düsseldorf Wer einen Bogen spannt, verspürt beim Zurückziehen der Sehne einen deutlichen Widerstand. Es ist schwieriger, gegen einen Sturm anzulaufen. Wenn ein Hubschrauber in der Nähe landet, vibriert das Steuergerät anders als neben einem Auto an einer befahrenen Straße.

All diese Szenarien kann der neue Dual-Sense-Controller der Playstation 5 von Sony nachahmen. Das sogenannte haptische Feedback ist bei der neuen Generation deutlich verbessert worden. Die Gamer-Gemeinschaft ist begeistert. Die Spielekonsole ist seit Monaten schwer zu bekommen. Das liegt aber auch an pandemiebedingten Zulieferproblemen beim Hersteller.

Die Wahrnehmung der digitalen Welt ist bisher hauptsächlich auditiv und visuell, denn sie wird auf Bildschirmen sichtbar und ist über Lautsprecher hörbar. Doch in Zukunft wird sie auch deutlich stärker fühlbar sein. Simple Stimulationen dieser Sinnesebene gibt es schon lange – zum Beispiel Vibrationen, die auf dem Smartphone auf einen Telefonanruf hinweisen.

Doch der nächste Schritt ist größer. Wissenschaftler, Start-ups und Unternehmen wollen digitale Welten in Zukunft durch haptisches Feedback völlig neu erlebbar machen.

Gefühlte Informationen haben viele Vorteile. Sie kommen schnell und direkt beim Menschen an und erschließen eine bislang nicht genutzte Dimension der Sinne. Der Mensch kann sie zudem kaum ausblenden, anders als zum Beispiel Lichtsignale bei geschlossenen Augen.

Großes Interesse aus der Wirtschaft

Apple meldete vor wenigen Wochen ein interessantes Patent an. Der Konzern will mehrere „Aktoren“ in Airpod-Kopfhörern oder anderen tragbaren Geräten platzieren. Aktoren sind Antriebselemente, die elektrische Signale und Strom in mechanische Bewegung oder Licht umwandeln.

Der Clou des Patents: Das Signal soll von einem Aktor zum anderen wandern, ist also „direktional“. So könnte beispielsweise bei Videokonferenzen ein Erlebnis nachgeahmt werden, als ob die Teilnehmer alle in einem Raum sitzen. Aktoren könnten den Zuhörern sofort signalisieren, in welcher Kachel derjenige „sitzt“, der gerade spricht. Je nach Bildposition der Kachel könnte ein Sprecher von den anderen so schneller lokalisiert werden – nicht nur visuell, sondern auditiv.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Mit den Aktoren könnte Apple auch seine AR-Brillen ausstatten oder beim Musikhören bestimmte Noten im wahrsten Sinne des Wortes fühlbar machen. Neben Apple arbeiten unter anderem auch Google und der chinesische Anbieter Xiaomi an der haptischen Bedienung der Oberflächen ihrer Geräte. Sie wollen das Feedback verbessern und mehr physische Reaktionen anbieten.

„Das Interesse an diesem Feld ist groß“, sagt Katherine J. Kuchenbecker, Direktorin des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme in Stuttgart, „auch in der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie.“ Das Auto wird digitaler, auch im haptischen Bereich. So könnten Autositze den Fahrer durch Druck auf Informationen hinweisen.

Haptisches Feedback ist in der Gaming-Branche besonders gefragt. Quelle: AFP
Playstation-Controller

Haptisches Feedback ist in der Gaming-Branche besonders gefragt.

(Foto: AFP)

Kuchenbecker forscht seit Jahren zu dem Thema. „Die Unternehmen setzen darauf, dass haptisches Feedback zunächst einen wichtigen Verkaufsunterschied macht“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie geht davon aus, dass in zwei bis drei Jahren etliche Produkte mit haptischem Feedback auf dem Markt sein werden. Irgendwann werde es auffallen, wenn Produkte diese Funktion nicht haben: „So wie es heute ungewohnt ist, einen Schwarz-Weiß-Film zu sehen.“

Musik hören mit mehr Gefühl

Der Tastsinn erfasst nicht nur direkte Berührungen, sondern auch die Vibrationen durch Schallwellen von Musik. Das ist etwa der Grund dafür, dass viele Menschen Besuche von Konzerten mit großen Lautsprechern deutlich intensiver empfinden, als die Musik über Kopfhörer zu hören.

Dieses Thema hat Jens Hansen lange beschäftigt, inzwischen hat er ein Geschäft daraus gemacht. Der Ingenieur arbeitete bei der damaligen Bosch-Tochter für Unterhaltungselektronik, Blaupunkt, in der Vorentwicklung und beschäftigte sich mit dem Emotionsfaktor von Musik. Er wusste, woher die Gefühle beim Musikhören kamen. Doch durch die technologischen Möglichkeiten waren der Emotionssteigerung im privaten Umfeld lange Grenzen gesetzt.

Auch im Ruhestand hat er sich weiter mit dem Thema beschäftigt. Er habe sich gefragt, was wäre, wenn Menschen auch über den Bass hinaus alle Frequenzen fühlen könnten – auch die, die man nicht hören kann, erzählt Benjamin Heese. Er hat Hansen 2018 über einen Arbeitskollegen kennengelernt.

Da hatte der heute Mitte 70-Jährige bereits eine Antwort auf die Frage gefunden und die Idee für ein Produkt. Kleine Boxen an einem Gürtel sollten die Frequenzen an den Träger übermitteln. Heese gefiel das. Er kündigte seinen Job als Leiter mehrerer Bankfilialen.

Die Feelbelt-Gründer versprechen, auch Frequenzen spürbar zu machen, die außerhalb des menschlichen Hörspektrums liegen. Quelle: Feelbelt
Feelbelt-Gürtel

Die Feelbelt-Gründer versprechen, auch Frequenzen spürbar zu machen, die außerhalb des menschlichen Hörspektrums liegen.

(Foto: Feelbelt)

Hansen und Heese gründeten ein Start-up, und sie bauten einen Prototyp. Die erste Version war noch etwas klobig, aber die Richtung stimmte. Im April 2019 gründeten sie die Feelbelt GmbH, Heese ist seither CEO.

Rund 2,1 Millionen Euro bekamen sie über Förderung, Business Angels und die Crowdfunding-Plattform Kickstarter zusammen. Jetzt werben sie um Venture-Capital-Investoren. Der Feelbelt sei dabei nur das Trägerkonstrukt, sagt Heese. „Was wirklich spannend und wichtig ist, ist unsere Software, die auch in vielen anderen Bereichen zum Einsatz kommen kann.“

Die Gründer haben sich entschieden, zuerst das Produkt zu bauen und dann erst den Markt auszuloten. „Rückwirkend war das der bessere Weg: So haben wir ein Produkt gebaut, das funktioniert, und nicht ein Produkt, das zu einem Markt passen muss“, sagt Heese.

Es hört sich nach typisch deutscher Ingenieurlogik an. Das Produkt steht im Zentrum, der Rest kommt von allein. Anwendungsmöglichkeiten gibt es tatsächlich einige. Aktuell sind Gamer die Hauptzielgruppe, sie seien ohnehin schon sehr in ihre Spiele vertieft, und haptisches Feedback helfe ihnen, schneller zu reagieren. Demnächst wollen sich Hansen und Heese stärker mit Entertainment und anderen Bereichen wie etwa Klangtherapie beschäftigen.

E-SUV Hummer nutzt vibrierende Sitze

Der Riesen-SUV Hummer von General Motors kommt einem bei E-Autos nicht als Erstes in den Sinn. Das Modell wurde vor einiger Zeit vom Markt genommen und soll 2024 in einer elektrischen Version zurückkehren. Die Käufer sind weniger Umweltschützer als Off-Road-Fans, die gern mit den 1000 PS protzen.

Oder mit dem WTF-Mode, dem „Watts-to-Freedom“-Modus: In dem beschleunigt der Hummer in drei Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde. Wenn der Fahrer den WTF-Modus einschaltet, erscheint auf dem Display ein Raketenstartsymbol, elektronische Musik wird gespielt, und der Sitz vibriert immer heftiger.

Das Interesse der Kunden am elektrischen Hummer ist riesig. Erste Prototypen verkauften sich für mehr als zwei Millionen Dollar, das Geld spendete GM an einen wohltätigen Zweck.

Die Autohersteller entdecken die Haptik für sich – und zwar nicht nur im Autositz. Im neuen Mercedes EQS ist beispielsweise ein „Hyperscreen“ verbaut, der das komplette Armaturenbrett einnimmt und den Eindruck von physischen Schaltern vermittelt.

Weitere Anwendungsfelder finden sich in der Industrie, etwa bei der Remote-Steuerung von Robotern im Umgang mit sensiblem Material. Oder auch bei Operationen mit Roboterarmen für minimalinvasive Eingriffe. Mussten die Chirurgen sich dabei früher auf das Kamerabild verlassen, gibt es bereits heute Anbieter, bei denen der Arzt fühlen kann, wenn er zum Beispiel Gewebe dehnt.

Für die an der Stanford-Universität ausgebildete Wissenschaftlerin Kuchenbecker ist klar: „Haptisches Feedback kann etwas, das man sieht oder hört, noch einmal unterstützen. Es bringt die digitale und die reale Welt enger zusammen.“

Der Tastsinn ist auch sehr eng mit Gefühlen und Impulsen verknüpft: „Das Gehirn reagiert viel schneller auf den Tastsinn als auf die Augen“, erklärt Kuchenbecker. Rezeptoren bemerken Temperaturunterschiede, Druck, Dehnung und Vibration und geben die Informationen in Millisekunden an das Gehirn weiter. „Der Tastsinn lässt sich auch nicht ausschalten. Sie können die Augen zumachen, aber fühlen werden Sie sich immer noch. Der Tastsinn ist sehr intim.“

Es gibt noch Erklärungsbedarf

Dass Emotionen durch haptisches Feedback gesteigert werden können, hat sich Feelbelt-Gründer Heese sogar wissenschaftlich bestätigen lassen: „Wir arbeiten mit neurowissenschaftlichen Einrichtungen, um zu erforschen, wie der Mensch auf haptisches Feedback reagiert. Die Probanden bekamen zum Beispiel Musik zu hören: immer den gleichen Titel mit und ohne haptisches Feedback. Die Emotionen mit haptischem Feedback sind messbar höher.“

Doch bei allem Glauben an das Produkt weiß auch Heese, dass potenzielle Kunden zunächst ein paar Fragen haben dürften. „Haptisches Feedback ist ein erklärungsbedürftiges Feld“, sagt er.

Einer der Gründe dafür ist, dass die Technologie lange nicht so stark im Fokus stand wie visuelle Neuentwicklungen. Während viel über Augmented und Virtual Reality gesprochen wurde, waren die technischen Voraussetzungen für eine deutliche Verbesserung von haptischen Funktionen noch nicht gegeben. Die Technologie war oftmals schwer, energieintensiv, zu langsam, nicht komfortabel.

Doch dieser Bereich entwickelt sich schnell weiter. Heute sind Prozessoren effizienter und schneller, Sensoren akkurater. Das ist für die Nutzung von großer Bedeutung. „Es ist sehr wichtig, dass der haptische Reiz nicht verzögert ankommt, sondern in Echtzeit. Sonst fühlt sich das merkwürdig an“, erklärt Max-Planck-Direktorin Kuchenbecker. Die Daten der Sensoren müssen etwa so schnell sein wie beim autonomen Fahren, ebenso verlässlich übertragen und verarbeitet werden.

Ihr Forschungsziel sei erreicht, wenn Menschen irgendwann nicht mehr zwischen der digitalen und der echten Welt unterscheiden können, sagt Kuchenbecker. „Die derzeitige Technologie besteht immer noch nicht den haptischen Turing-Test.“ Damit nimmt die Forscherin Bezug auf den berühmten Test des Mathematikers Alan Turing, bei dem es darum geht, ob eine Testperson ungesehen eine Maschine von einem Menschen unterscheiden kann: „Das Tasten ist noch einmal deutlich komplexer als das Sehen.“

Mehr: Augmented Reality: Der harte Kampf um die nächste Plattform

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