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Digitale Revolution

Raumfahrt Weltraummüll: Houston, wir haben ein Problem

Alte Satelliten, Raketen- und Trümmerteile treiben durch den Orbit und werden zur Gefahr. Europäische Start-ups wollen mit KI aufräumen.
28.02.2021 - 11:58 Uhr Kommentieren
Im All wird es immer voller Quelle: Science Photo Library/Getty Images
Weltraummüll an der Erdoberfläche

Im All wird es immer voller

(Foto: Science Photo Library/Getty Images)

Düsseldorf Im vergangenen September war es, als sich weit über den Köpfen der Menschheit beinahe ein gigantischer Zusammenstoß ereignete. Die Internationale Raumstation (ISS) wich einem Weltraumtrümmerteilchen nur knapp aus. Die Astronauten an Bord hatten sich vorsichtshalber schon in den hinteren, russischen Teil der Station in Sicherheit gebracht, um bei einem Aufprall nicht direkt getroffen zu werden. Und Kristina Nikolaus war wieder klar, wie nah ihre Statistik an der Realität ist.

Kristina Nikolaus ist Mitgründerin des Braunschweiger Start-ups OKAPI:Orbits, ein Unternehmen, das mit eigens entwickelter KI-Software die Flugbahnen von Trümmerteilen im All berechnet und Raumfahrtunternehmen vor möglichen Zusammenstößen warnt. Und sie sagt: „Statistisch gesehen warten wir im Grunde seit fünf Jahren nur darauf, dass eine riesige Kollision zwischen Satelliten und Weltraumschrott oder eine Explosion durch enthaltene Restenergie passiert.“

Bisher ist es, auch dank Ausweichmanövern wie im September jenem der ISS, meist gut gegangen. Aber das ist, jetzt, wo die private wie staatliche Raumfahrt erst so richtig Fahrt aufnimmt, nur noch eine Frage der Zeit. Denn Raumfahrer*innen räumen im Weltraum nicht auf. Und so wird es dort immer voller.

Donald Kessler, Astronom bei der US-Raumfahrt-behörde Nasa, warnte bereits im Jahr 1978 vor einem Syndrom, das seitdem nach ihm benannt ist: Die Raumfahrt werde für kommende Generationen riskanter, weil immer mehr lose Teilchen früherer Weltraummissionen durch das All wabern.

Seine Erkenntnis: Aus altem Weltraumschrott stammende Kleinstteilchen kollidieren zufällig miteinander, daraus entsteht quasi eine Kaskade an Klein-Explosionen, die irgendwann im großen Knall im All münden – und erhebliches Zerstörungspotenzial haben. Seine Empfehlung: Möglichst bald von der gängigen Praxis abzukommen, große Objekte wie Nutzlastverkleidungen, ausgebrannte Oberstufen und ausgediente Satelliten im Orbit einfach sich selbst zu überlassen.

Nun, die Weltraumindustrie hörte nicht auf ihn. Und so wuchs die Zahl der Teile immer weiter.

Damit herrscht heute ein dermaßen hektisches Treiben im Orbit, dass in jeder Dekade statistisch gesehen eine Kollision ansteht. So ist Kristina Nikolaus“ Unternehmen nicht das einzige, das im Weltraum-Chaos ein Geschäft sieht. Denn dank immer schlauerer Steuerungssoftware ist mittlerweile denkbar, was zu Kesslers Zeiten noch unvorstellbar schien: das Weltall nicht durch Vermeiden, sondern durch Wegschaffen von Müll wieder zu einem sicheren Ort zu machen. Und rund um diese Idee, die durch massive Fortschritte in der künstlichen Intelligenz noch befeuert wird, entstehen immer neue Geschäftsmodelle.

Satelliten und Teilchen werden mit lassoartigen Kabeln eingesammelt

Dabei ist in der Theorie alles ganz einfach: Zum Ende ihrer Lebenszeit erreichen Satelliten und andere Raumobjekte im Optimalfall eine „Friedhofsumlaufbahn“. Dort lagern sie und werden gewöhnlich nach längstens 25 Jahren so langsam, dass sie in die Erdatmosphäre eintreten. Dort verglühen sie dann.

Das kann jedoch nur funktionieren, wenn die Satelliten noch über Erdkontakt und ausreichend Sprit verfügen, um überhaupt erst dorthin zu gelangen. Inaktive Satelliten verbleiben in ihrer Umlaufbahn und sind anfällig für Kollisionen. Nach Angaben der Europäischen Raumfahrtbehörde (Esa) gibt es mittlerweile rund 129 Millionen Teilchen, die auf diese Weise herrenlos ins All gelangt sind. 900.000 davon sind größer als ein Zentimeter, 34.000 größer als zehn.

Diese Satelliten und Teilchen müssten also eingesammelt werden. Aber wie? Mit langen, lassoartige Kabeln, die ausgeworfen werden und an Trümmer andocken, sagen die einen. Mit Laserstrahlen abschießen und verbrennen, sagen die anderen. Noch hat sich keine Lösung durchgesetzt, nur die Ansicht: Es muss etwas passieren.

Und da kommen Start-ups wie OAKPI:Orbits, 2018 gegründet, ins Spiel. Die Niedersachsen glauben: Man kann das Problem schon vermeiden, bevor der ganze Müll im Orbit landet. Die vier Gründer*innen von OAKPI:Orbits haben sich über die Universität kennen gelernt. Teils forschten sie über Weltraumschrott, teils im Bereich Erdobservationsdaten. Sie entwickelten eine Software, die vorhersagen kann, wann ein Satellit durch eine Kollision gefährdet ist.

Gespeist wird sie aus Datensätzen von Erdobservationsanlagen, Radaranlagen und Teleskopen, die weltweit beständig Standortdaten von Himmelskörpern sammeln und diese katalogisieren. Eine künstliche Intelligenz fügt die gesammelten Datenpunkte zusammen und gleicht sie miteinander ab. Denn verzeichnen amerikanische Teleskope ein Objekt und in Europa taucht es eine Woche später auf, lassen sich daraus wertvolle Schlüsse über das weitere Verhalten des Objekts in den nächsten Jahrzehnten ableiten.

Kollisionswarnung durch KI-Software

Zu den Kund*innen von OKAPI:Orbits gehören vor allem kommerzielle Organisationen, die nicht die Kapazitäten der weitaus größeren internationalen Raumfahrt-Agenturen haben. Sie besitzen meist kleinere Satellitenkonstellationen – zwischen fünf und 30 Satelliten – und investieren in die Warnsoftware, um ihre Objekte möglichst lange in der Erdumlaufbahn zu halten. Für ihre Satelliten wird die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes berechnet und anschließend evaluiert, ob ein Umlenkmanöver statistisch gesehen sinnvoll ist.

„Ein kleiner Einschlag auf einem Solarpanel wäre vielleicht noch verkraftbar, ein frontaler Zusammenstoß mit einem größeren Objekt im Zentrum des Satelliten wäre aber sehr sicher ein Totalschaden“, erklärt Kristina Nikolaus. Ursprünglich manuell und per Menschenhand durchgeführte Berechnungen hat das Start-up automatisiert und für Kund*innen direkt anwendbar gemacht. Einzig eine Einzelperson schaut sich die ausgegebenen Kollisionswarnungen an und steuert gegebenenfalls den Satelliten um – je nach Missionsziel.

Soll ein Satellit etwa zu einem bestimmten Zeitpunkt über einem festgelegten Erdpunkt ein Foto schießen, wird die Manöverstrategie daran möglichst kostengünstig angeglichen. Denn einerseits könnte ein Zusammenstoß fatal sein, andererseits sollten die Satelliten nur dann umgelenkt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Kollision wirklich groß ist. Jedes Manöver ist teuer und verkürzt die Lebensdauer des Satelliten, denn das Umparken verbraucht viel Sprit – und Tankstellen im Orbit gibt es ja noch nicht.

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Aufräumen per KI-Arm

Während OKAPI:Orbits möglichst viel Müll im All vermeiden will, hat sich das Schweizer Start-up ClearSpace einen anderen Ansatz überlegt: Seine Technologie räumt wirklich alten Schrott aus dem All.

Visuell anmutend wie ein Riesenkrake, wird eine Reinigungsraumsonde mit langen Greifarmen versehen, die das Trümmerteil umschließen. „Sobald das Objekt gesichert ist, wird die Raumsonde es in eine Wiedereintrittsbahn in die Erdatmosphäre bringen. Dort verglüht es wie eine Sternschnuppe“, erklärt Start-up-Mitgründer und CEO Luc Piguet.

Die Europäische Raumfahrtbehörde (Esa) ist überzeugt und plant ab 2025 die erste Aufräumaktion mit dieser Technologie im All. Erst im Dezember 2020 schloss ClearSpace einen Vertrag mit der Esa im Wert von 86 Millionen Euro ab.

Die Mission ist aufwendig und gefährlich, denn vor einer Kollision ist auch die Raumsonde von ClearSpace nicht gefeit. Und der Prozess ist vor allem eins: langsam. Denn zumindest anfangs kann sie bei jedem Ausflug nur ein Objekt einsammeln.

Auf der ersten Mission ClearSpace-1 wird sie einen Teil einer Vega-Rakete bergen, der seit 2013 durchs All trudelt. Gewicht: 120 Kilogramm, also etwa so viel wie ein kleiner Satellit und durch die Kegelform einfach zu handhaben. Auf der Mission sammeln die Forscher*innen erst einmal Erfahrungen, bevor sie später auf Folgemissionen komplizierte Teile oder auch mehrere Objekte aufnehmen.

Das Ziel seien neutrale Bedingungen für die Raumfahrt, sagt Piguet. Er will künftig eine Regel fest verankern: Alles, was in den Weltraum hineinkann, muss auch wieder hinauskönnen.

Weltall ist ein regelfreier Raum bisher

Nur, mit Regeln ist das bisher so eine Sache: Haben die Besitzer*innen erst einmal den Kontakt zu ihrem Satelliten verloren, treibt er nicht nur halt- los durch den Orbit – es ist auch unklar, wer für ihn verantwortlich ist. „Es ist ein ungeheurer Marktbereich.

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Heute wird Geld mit Daten verdient. Der ständige Datenaustausch überall und zu jeder Zeit ist eben im Moment in erster Linie durch Satelliten möglich“, sagt Sabine Klinkner, Professorin für Satellitentechnik an der Universität Stuttgart. „Es gibt aber keine einheitlichen Regeln, wie viele Satelliten in den Orbit kommen, und dann natürlich auch keine Kontrollen, ob und wie Satelliten wieder entsorgt werden.“

Der Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums, angegliedert an die Vereinten Nationen, hat bereits 2007 Richtlinien für den Umgang mit ausgedienten Satelliten und Raketenteilen veröffentlicht. Diese sind allerdings nicht verbindlich. Auch der europäische Verhaltenskodex für Weltraummüllminderung legt nur nahe, dass Satelliten spätestens nach 25 Jahren wieder in die Erdatmosphäre eintreten sollen.

Einheitliche und verbindliche Regeln fehlen, die das Problem an der Wurzel fassen und zukünftig dafür sorgen, dass kein zusätzlicher Weltraumschrott mehr entsteht. Missionen wie ClearSpace-1 oder Technologien wie von OKAPI:Orbits sind jedoch nur eine Bekämpfung des Symptoms, findet Klinkner: „Es bräuchte einheitliche Regeln weltweit, die sicherstellen, dass Satelliten zum Beispiel ausreichend Treibstoff mitführen, um am Ende entsorgt werden zu können. Das funktioniert aber nicht mehr für die Satelliten, die heute im All sind.“

Die Start-ups haben also genug zu tun, allein um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Eine Lösung muss jedenfalls her, damit nicht das Kessler-Syndrom irgendwann doch noch eintritt.

Mehr: Dieser Text entstammt dem neuen ada-Magazin. Wenn auch Sie schon heute das Morgen verstehen wollen, schauen Sie doch mal vorbei: join-ada.com.

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