30 Jahre Tschernobyl: Die Urkatastrophe des Atomzeitalters
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30 Jahre TschernobylDie Urkatastrophe des Atomzeitalters
Vor 30 Jahren explodierte Reaktor vier des Atomkraftwerks Tschernobyl, seither lodert ein radioaktives Höllenfeuer in der betonummantelten Ruine. Wie der GAU in der Ukraine unsere Welt verändert hat.
26.04.2016 - 10:35 Uhr
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Tschernobyl nach der Katastrophe
Im Innern der Anlage lodert seit der Katastrophe vom 26. April 1986 ein radioaktives Höllenfeuer.
(Foto: AP)
Tschernobyl/Berlin Düster ragt das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl rund 75 Meter hoch in den Himmel der Ukraine. Frisch getünchte Bordsteine und das frühlingshafte Grün der Bäume und Gräser täuschen jedoch. Im Innern der Anlage lodert seit der Katastrophe vom 26. April 1986 ein „ewiges Höllenfeuer“: Etwa 200 Tonnen Uran, deren Radioaktivität ein Menschenleben auslöschen würde. Ein Betonmantel soll die Umgebung vor dem Strahlengift schützen.
„Bei uns fehlte eine Sicherheitskultur“, sagt Sergej Paraschin heute. Er war in der folgenschweren Nacht als Vertreter der Kommunistischen Partei im Kraftwerk und wurde später zum Direktor ernannt. Um 1.23 Uhr Ortszeit geriet damals ein Test außer Kontrolle, Reaktor vier explodierte.
Tschernobyl – Protokoll der Katastrophe
Die Mannschaft beginnt, Reaktor Nr. 4 testweise herunterzufahren. Das Experiment war kurz unterbrochen worden, weil aus der Hauptstadt Kiew mehr Strom verlangt worden war.
Die Leistung sackt auf unter 30 Megawatt (ein Prozent der Nennleistung) ab. Der Reaktor wird schnell instabil.
Die Leistung erhöht sich plötzlich auf über 300.000 Megawatt. Die Temperatur steigt, das Kühlmittel verdampft.
Das Personal drückt vergeblich Notfallknopf A3, um die fatale Kettenreaktion zu unterbrechen.
Die Brennelemente reißen und reagieren mit dem Wasser. Der Reaktor ist außer Kontrolle.
Es kommt zum „Größten Anzunehmenden Unfall“ (GAU). Zwei Explosionen zerstören den Meiler, vermutlich ausgelöst durch riesige Mengen Wasserstoff. Durch die Detonationen reißt das Dach auf. Radioaktive Partikel steigen auf und verbreiten sich über Europa.
Erste Feuerwehrleute treffen ein. Sie tragen keine Schutzkleidung. Viele überleben die Katastrophe nur um wenige Wochen.
Der GAU, der größte anzunehmende Unfall, trat ein. Die Detonation wirbelte tagelang radioaktive Teilchen in die Luft, von der damaligen Sowjetrepublik breitete sich eine radioaktive Wolke über Westeuropa aus. Zehntausende mussten die Region verlassen.
Ein Pompeji der atomaren Ära
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Mit ihrem rostenden Riesenrad wirkt die Geisterkulisse der eilig evakuierten Stadt Prypjat bei Tschernobyl heute wie ein Pompeji der atomaren Ära. 40 Prozent der Sperrzone sind aufgrund des Plutoniums mit 24.000 Jahren Halbwertzeit für immer verstrahlt. Der Rest soll in 30 bis 60 Jahren wieder besiedelbar sein.
„Eine Rekultivierung ist aber wirtschaftlich nicht sinnvoll“, meint der Verwaltungsdirektor der Zone, Witali Petruk. Wie etwa der im Reaktor verbliebene lavaartige Kernbrennstoff gesichert werden kann, ist völlig unklar.
Doch die prowestliche Führung in Kiew hat große Pläne. Mächtige Solarkraftwerke sollten in der Sperrzone stehen, heißt es der Hauptstadt – auf 80 Quadratkilometern sei eine Stromerzeugung von 4000 Megawatt möglich. Experten schütteln den Kopf: Solche Projekte übersteigen derzeit die Kräfte des zweitgrößten Flächenstaats Europas, den eine Wirtschaftskrise sowie ein Krieg im Osten und die russische Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim auszehren.
Ex-Direktor Paraschin weist auf eine weitere Gefahr hin. „Bei Cäsium 137 ist gerade einmal die Halbwertszeit erreicht“, erinnert er. Allein im vergangenen Jahr seien bei Buschfeuern zwei Millionen Kubikmeter Holz verbrannt – da sei vorstellbar, wie viel Gift aufgewirbelt worden sei.