Alfons Mais Bundeswehrgeneral fordert: „Auch bei klassischen militärischen Problemen jetzt mit Start-ups zusammenarbeiten“

„Heute geht auch im Militärischen nichts mehr ohne Digitalisierung.“
Düsseldorf In militärischen Konflikten könnten europäische Soldaten bald Robotern gegenüberstehen. Bei der Verteidigung droht Deutschland eine technologische Unterlegenheit, warnt der Inspekteur des Heeres, General Alfons Mais: „Während wir noch über die ethische Dimension von Künstlicher Intelligenz diskutieren, haben potenzielle Gegner wie zum Beispiel China oder Russland diese Bedenken nicht“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt.
Mais ist dafür verantwortlich, den künftigen Bedarf seiner Truppe zu definieren. Und er gehört zu einer Gruppe von Generälen, die die Beschaffungsprozesse schnellstmöglich für Start-ups öffnen wollen. Denn er ist sich sicher: Die Bundeswehr muss heute auch fernab der klassischen Rüstungskonzerne technologische Entwicklungen erkennen und ausprobieren, die einen militärischen Nutzen haben könnten. „Die Zeit, in der die militärische Forschung die zivile Forschung angetrieben hat, ist lange vorbei“, sagt er. Heute sei vielmehr das Gegenteil der Fall.
Als Kernproblem bei der technologischen Transformation der Bundeswehr benennt er die viel zu langwierigen Beschaffungsprozesse. Oft sieht er erst nach zehn Jahren, was das Beschaffungsamt seiner Truppe schlussendlich an die Hand gibt, um im Konflikt zu bestehen. Das sei angesichts der beschleunigten Innovationszyklen „eigentlich nicht mehr akzeptabel.“ Militärische Plattformen – wie etwa Hubschrauber und Panzer – seien heute „fliegende oder fahrende Computer“.
Neidisch blickt der Drei-Sterne-General unter anderem auf ein Nachbarland, das bei der Innovation des Militärs schon viel weiter zu sein scheint – und dabei auch jungen Unternehmen eine Chance gibt.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Mais, Sie haben sich bei einer Drohnen-Show jüngst mit weiteren Generalen und Vertretern von Sicherheitsbehörden angesehen, wie Start-ups militärische Probleme angehen würden. Warum das plötzliche Interesse an Start-ups?
Interesse an Start-ups hatte die Bundeswehr schon in vergangenen Jahren, allerdings vor allem bei Cybersicherheit und Informationstechnologie. Ich bin überzeugt, dass wir auch bei klassischen militärischen Problemen jetzt mit Start-ups zusammenarbeiten müssen. Heute geht auch im Militärischen nichts mehr ohne Digitalisierung.
Konkret ging es um ein Aufklärungsszenario, das so oder ähnlich für Polizei und Streitkräfte relevant werden kann: Mit Drohnen und schneller Datenanalyse wurde der Diebstahl eines Militärfahrzeugs aufgeklärt. Kann die Bundeswehr das selbst noch nicht?
Die Bundeswehr nutzt heute schon Drohnen, die Bilder liefern. Aber diese militärisch nutzbar zu machen erfordert noch viel manuelle Arbeit – wir sagen auch „Drehstuhlschnittstellen“ dazu. Ein Riesenthema für die Militärcommunity weltweit ist die Reaktionszeit von der Datenerfassung bis zu dem Moment, in dem das Ziel bekämpft werden kann. Das ist hochinteressant für uns.
Allerdings gibt es in Deutschland bisher nur wenige Start-ups, die sich auf Militärtechnologie fokussieren.
Das ist auch nicht zwingend notwendig. Die Zeit, in der die militärische Forschung die zivile Forschung angetrieben hat, ist lange vorbei. Nach der Erfindung des Internets ist das aus meiner Sicht gekippt. Es sieht in den letzten zweieinhalb, drei Dekaden eher so aus, als würde sich das Militär zivile Technologien nutzbar machen.
Können Sie sich auch selbst in die Entwicklung neuer Technologien einbringen?
Als Inspekteur des Heeres beschreibe ich tatsächlich nur den Bedarf. Wir versuchen zu definieren, wie Konflikte in zehn, 15 Jahren aussehen werden und was wir dafür brauchen. Das geben wir an das Planungsamt der Bundeswehr weiter. Und dann sehen wir nach zehn Jahren, was aus der Pipeline rauskommt. Das ist einerseits ein guter Ansatz …
Und andererseits erleben Sie böse Überraschungen?
Es dauert einfach zu lange. Militärische Plattformen wie Panzer oder Hubschrauber sind heute fahrende und fliegende Computer. Da sind zehnjährige Innovationszyklen eigentlich nicht mehr akzeptabel. Deshalb versuchen wir als Bundeswehr, neue Impulse zu setzen.
Wie wollen Sie künftig mit der Entwicklung Schritt halten?
Wir haben zum Beispiel Test- und Versuchsstrukturen eingerichtet. Das heißt: Wir bieten an, Industrie und Truppe frühzeitig zusammenzubringen, um gemeinsam zu testen, ob die Produkte bei Konfliktbildern der Zukunft einen militärischen Zweck erfüllen könnten. Es geht ja auch um die andere Seite. Während wir noch über die ethische Dimension von Künstlicher Intelligenz diskutieren, haben potenzielle Gegner wie zum Beispiel China oder Russland diese Bedenken nicht.
Welche Nationen sehen Sie als Vorbild beim technologischen Fortschritt?
Ich denke, mit den Ressourcen unserer US-amerikanischen Verbündeten können wir nicht mithalten. Aber das Militär in Israel beispielsweise hat eine unglaubliche Innovationskraft. Der Druck der permanenten Bedrohung sorgt dafür, dass alles wie in einer Brutkammer viel schneller geht. Und durch das riesige Reservistenkorps ist die Rückkoppelung zur Industrie viel besser.
Was ist mit Ländern, die nicht akut handeln müssen?
Ich bewundere unsere niederländischen Partner. Sie sind bereit, auch ins Ungewisse zu gehen. Da gehen auch mal Budgets verloren, aber irgendwann haben sie auch den goldenen Schuss. In Deutschland sind wir einfach zu risikoavers. Das wäre auch ein Vorteil an Start-up-Kooperationen. Start-ups betreten den Markt schon mit einem anderen Risikobewusstsein, das wir nutzen, unterstützen und auch auf unserer Seite akzeptieren müssen, wenn dabei Ressourcen nicht zum Ziel führen.
Welche Schlüsseltechnologie ist für Deutschland aus Verteidigungsperspektive jetzt zu priorisieren?
Mit dem Cyber Innovation Hub haben wir bereits eine institutionalisierte Andockstelle zwischen Bundeswehr und IT-Sicherheits-Community geschaffen. Wir müssen uns aus meiner Sicht nun dringend um Robotik kümmern, verknüpft mit Künstlicher Intelligenz. Auch wenn es da ethische Vorbehalte gibt. Ich frage die Parlamentarier immer wieder: Wollen Sie sich junge Menschen Europas vorstellen, die zum Beispiel gegen chinesische Roboter kämpfen müssen? Ich will mir das nicht vorstellen.
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