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Cloud-Computing Amazon dringt mit Tochter AWS in die Fabriken vor

Der Cloud-Marktführer AWS will mit eigenen Sensoren und smarten Geräten die Industrie effizienter machen – und macht damit Siemens Konkurrenz.
01.12.2020 - 20:05 Uhr Kommentieren
Mit Großkunden wie VW oder Siemens ist die Amazon-Tochter AWS in der deutschen Industrie etabliert. Quelle: Imago
Amazon

Mit Großkunden wie VW oder Siemens ist die Amazon-Tochter AWS in der deutschen Industrie etabliert.

(Foto: Imago)

San Francisco, Düsseldorf Wenn Swami Sivasubramanian, Vizepräsident für maschinelles Lernen bei Amazon Web Services (AWS), über die Stärken von Amazons Bilderkennungssystemen spricht, kommt er auf Käse. Über die Förderbänder des schwedischen Pizzaherstellers Dafgards huschen pro Sekunde zwei belegte Teigfladen. Kein Mensch könnte die Qualität in dieser Zeit verlässlich kontrollieren.

Das erledigen smarte Kameras über den Bändern. Mittels eines Algorithmus erkennen sie blitzschnell, ob die Maschine die richtige Menge Käse auf Tomatensoße und gefrorenen Teig gestreut hat. „Unsere Kunden müssen Echtzeitentscheidungen treffen und dabei eine hohe Qualität garantieren“, sagt Sivasubramanian dem Handelsblatt.

AWS ist der weltgrößte Anbieter für Cloud-Computing. Und profitiert davon, dass sich der Trend zur dezentralen Datenverarbeitung über das Internet in der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt hat: Der AWS-Umsatz ist von knapp zehn Milliarden Dollar im letzten Quartal 2019 auf mehr als 11,6 Milliarden im dritten Quartal 2020 gestiegen, obwohl die Konkurrenz durch Microsofts und Googles Cloud-Angebot immer härter wird.

Laut Sivasubramanian nutzen mehr als hunderttausend 100.000 Kunden weltweit die Machine-Learning-Angebote von AWS. Mit Großkunden wie VW oder Siemens ist die Amazon-Tochter in der deutschen Industrie etabliert.

Um die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen, muss Sivasubramanian aber verstärkt über die Cloud hinausdenken. Nicht überall sei es möglich, Daten von einem Gerät in ein AWS-Rechenzentrum zu schicken – entweder weil es keine gute Internetverbindung gebe, oder weil bei Geschwindigkeiten wie zwei Pizzen pro Sekunde die Zeit zu knapp ist, um auf das Feedback aus der Cloud zu warten.

AWS muss Geräten beibringen, selbst zu rechnen. Edge Computing wird diese Art der Datenverarbeitung im Fachjargon genannt.

Maschinen sollen Defekte frühzeitig erkennen

AWS-Chef Andy Jassy stellt an diesem Dienstag bei der hauseigenen Konferenz „Reinvent“ zwei Produkte vor, die die Algorithmen seiner Forscher direkt an den Ort des Geschehens bringen sollen. „Monitron“ soll Maschinen in einer Fabrik helfen, Defekte frühzeitig selbst zu erkennen. Das Programm „Panorama“ hilft dagegen Kameras, Bilderkennungsmodelle selbst zu rechnen, damit sie nicht große Datenmengen in die Cloud schicken müssen.

Einer der ersten Testkunden für „Panorama“ ist Siemens Mobility. Die Infrastrukturtochter des Münchener Technologiekonzerns verkauft Städten Hard- und Software, um etwa Verkehrsströme oder die Nutzung von Parkplätzen zu messen. „Viele Städte sorgen sich um die Privatsphäre ihrer Bürger“, sagt Laura Sanchez, Innovationsmanagerin im ITS Digital Lab von Siemens Mobility.

„Panorama“ helfe, diese zu schützen. Die Sicherheitskameras, die über Straßen oder Parkplätzen hingen, könnten durch die AWS-Software Autos zählen und dabei unnötige Informationen wie Gesichter oder Nummernschilder herausfiltern. Bei anderen Kunden sucht die AWS-Software genau nach diesen Informationen in einem Bild: Der Ölkonzern BP nutzt „Panorama“ etwa, um Lastwagen den Zugang zu seinen Einrichtungen zu gewähren.

Das zweite Problem vieler Systeme ist die Internetverbindung. „An Kreuzungen haben wir viele Kameras, die jede Menge Daten in die Cloud laden müssten – selbst wenn nur ein einzelnes Bild interessant ist“, sagt Sanchez. „Panorama“ könne diese Einzelbilder identifizieren und daraus auf der Kamera selbst die nötigen Informationen ziehen, ohne dass eine Verbindung zur Cloud notwendig sei.

AWS liefert die Sensoren gleich mit

Auch mit „Monitron“ denkt Amazon über die Cloud hinaus. Das Produkt soll Industriekunden bei der vorausschauenden Wartung von Maschinen unterstützen. Software für maschinelles Lernen erkennt etwa ungewöhnliche Vibrationen oder Hitze an einer Maschine und sendet eine Push-Mitteilung an einen Techniker, der dann eingreifen kann, bevor die Maschine sich selbst beschädigt. Predictive Maintenance nennen das Fachleute.

Erstmals liefert AWS die Sensoren bei Bedarf gleich mit. Ein Starterkit enthält fünf gelbe Sensoren mit Amazon-Logo. Ein Kunde habe in seinen Werken in Europa bereits 50.000 davon installiert, sagt Sivasubramanian. Hat ein Unternehmen seine Fertigungsstraßen dagegen schon mit eigenen Sensoren ausgestattet, kann „Monitron“ auch mit diesen arbeiten.

„Monitron“ stammt aus dem AWS-Entwicklungszentrum in Aachen, der erste Test lief in Amazons Warenlager in Mönchengladbach. Anstatt regelmäßig Routinekontrollen an den Waren-Fließbändern durchzuführen, können sich die Techniker dort auf gezielte Prüfungen konzentrieren. „Es gibt auch keinen ungeplanten Stillstand mehr, was das meiste Geld spart“, sagt Sivasubramanian.

Im Warenlager in Mönchengladbach lief der erste Test von „Monitron“. Quelle: Imago
Logistikzentrum von Amazon in Mönchengladbach

Im Warenlager in Mönchengladbach lief der erste Test von „Monitron“.

(Foto: Imago)

Einer der ersten Testkunden ist seit rund einem Jahr der US-Gitarrenhersteller Fender. „Ungeplante Ausfälle sind gleich doppelt kostspielig: Sie halten die Produktion auf und verursachen besonders viel Reparaturarbeit, weil man sie wie ein loderndes Feuer unter Zeitdruck löschen muss“, sagt Fenders globaler Fabrikchef Bill Holmes.

AWS kommt den Kunden damit immer näher, auch physisch. Vor zwei Jahren hat das Unternehmen mit „Outpost“ ein System vorgestellt, das sich Kunden ins eigene Rechenzentrum stellen können, um die alte IT-Infrastruktur mit der Cloud zu verbinden. Nun gibt es Geräte für die Fertigungshalle.

Anbieterwechsel nur mit großem Aufwand

Für Beobachter ist das der „nächste logische Schritt“, wie beispielsweise René Büst von Gartner sagt: „Die Hyperscaler bauen die Fertigungstiefe immer weiter aus, sie wollen eine durchgängige digitale Wertschöpfungskette bieten.“ AWS habe nun von der reinen Infrastruktur bis zum Sensor fast alles im Portfolio, so der Analyst. Auch Microsoft bietet mit Azure Sphere ein Gerät an, das Kunden lokal nutzen können.

Die Hardware sei bei den großen Cloud-Anbietern in der Regel vergleichsweise günstig, betont Büst. Geld verdienen AWS, Microsoft und Google mit ihren Diensten – die sind mit den Geräten verknüpft. „Kunden müssen damit planen, dass ein Lock-in entstehen könnte“, warnt der Analyst. Das heißt: Wer die AWS-Sensoren in seiner Fabrik installiert, kann nur mit großem Aufwand zu einem anderen Anbieter wechseln.

Amazon rückt damit Unternehmen, die ebenfalls die Industrie vernetzen, auf die Pelle. Dazu zählt Siemens: Auf Mindsphere, der Plattform des Münchener Konzerns, gibt es auch Angebote für vorausschauende Wartung, denen AWS mit „Monitron“ Konkurrenz macht. Gleichzeitig ist Mindsphere AWS-Kunde, die Plattform des deutschen Industrieausrüsters läuft auch auf der Infrastruktur des amerikanischen Cloud-Dienstes.

Begeben sich Industrieunternehmen auf Amazons Cloud-Plattform in dieselbe Abhängigkeit, über die sich Händler auf Amazons Onlinehandels-Plattform seit Jahren beklagen? Dass sich AWS über Sensoren und Algorithmen trojanische Pferde in die Fabriken bringt, weist Sivasubramanian zurück: „Sicherheit und Privatsphäre ist unsere oberste Priorität“, sagt der AWS-Vizepräsident. Die „Monitron“-Daten würden durch eine sichere Verbindung in die Cloud geschickt und dort sicher gespeichert.

Partner und potenzieller Konkurrent für Siemens

Den Marktführer ganz meiden ist wiederum schwer. Amazon ist stark darin, Basistechnologien wie Edge Computing zu entwickeln. Siemens Mobility hat sich deshalb mit AWS eingelassen. Neben den konkreten Funktionen der Cloud helfe auch die Bekanntheit des Anbieters im Markt, sagt Laryssa Parker, die Leiterin der Digital Labs bei Siemens Mobility.

Vielen Städten oder Behörden sei AWS ein Begriff – oder sie wüssten sogar schon, welche Erwartungen sie an Amazons Lösungen haben können. Zudem biete AWS Schulungen für Siemens-Kunden. Daher offeriere der deutsche Konzern seinen Kunden zwar grundsätzlich die Möglichkeit, Produkte mit anderen Cloud-Anbietern zu verbinden. Aber AWS sei die Standardlösung.

Und das, obwohl Amazon auch ein veritabler Konkurrent im Markt für smarte Infrastruktur in Städten werden könnte. Mit Sidewalk will Amazon Mesh-Netzwerke zwischen smarten Geräten wie seinen Echo-Lautsprechern oder Nest-Sicherheitskameras aufbauen, die helfen sollen, Autodiebstähle aufzuklären oder verlorene Geldbeutel wiederzufinden.

Vom Geschäft von Siemens Mobility ist das zugegebenermaßen noch weit entfernt, doch „Allesverkäufer“ Amazon denkt groß und expandiert schnell. Könnte der Partner eines Tages ein Konkurrent für Siemens Mobility werden? „Das ist eine berechtigte Frage“, sagt Laryssa Parker.

Siemens sehe neue Technologien und Wettbewerb als Möglichkeit, Partnerschaften zu entwickeln, „in denen jedes Unternehmen seinen Wettbewerbsvorteil behält“. Solche Partnerschaften seien dann „ein großartiger Weg, um das beste Produkt für unsere Kunden zu entwickeln“.

Naiv ist Siemens aber nicht: So nutzt die Mobility-Sparte zwar das Panorama-Produkt von AWS, trainiert seine Bilderkennungs-Algorithmen aber selbst.

Mehr: Nudeln, Obst, Speicherplatz: Lidl-Mutter startet Anfang 2021 ihre Cloud-Plattform.

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