HP Enterprise Supercomputer „El Capitan“ soll an Atomwaffen forschen

Der Rechner soll im Jahr 2023 seine volle Leistungsfähigkeit erreichen.
San Jose „Stellen Sie sich einfach mal vor, den hätten wir jetzt schon.“ Antonio Neri, Vorstandschef von HP Enterprise, ist erkennbar begeistert von „El Capitan“. Sein Konzern entwickelt den neuen Supercomputer zusammen mit dem Chiphersteller AMD und der US-Regierung.
Berechnungen und Simulationen, die heute ewig dauern würden oder gar nicht sinnvoll durchführbar wären, wären für das Biest aus San Jose Kleinigkeiten. Fortschritte in der Erforschung des Coronavirus seien „in Minuten oder Stunden“ sichtbar, nicht in Monaten.
Doch El Capitan, so groß wie zwei Basketballfelder, wird erst 2023 seine volle Leistungsfähigkeit erreichen. Dann wird der Supercomputer auch nicht an der Heilung des Coronavirus forschen, sondern an neuen Atomwaffen. Der Rechner wird im Auftrag der US-Atomsicherheitsbehörde NNSA gebaut und soll im Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) östlich von San Francisco stehen.
Hier hat Bill Goldstein das Sagen. „Jedes Jahr“, sagt er, „müssen wir der US-Regierung und dem Präsidenten garantieren, dass unsere Atomwaffenbestände noch sicher sind und zuverlässig funktionieren“. Das wird ein immer schwierigeres Unterfangen. Seit 40 Jahren werden auf der Welt dank internationaler Abkommen keine Atomwaffen mehr getestet.
Wie kann man Atombomben testen, ohne sie zu testen? Einfach mal den Deckel aufschrauben und reinschauen bringt nicht mehr viel. „Das ist weniger ein physisches als ein chemisches Problem“, erklärt Goldstein.
Niemand weiß, ob die Komponenten und Bestandteile einer Jahrzehnte alten Atomwaffe immer noch zuverlässig zusammenarbeiten, ob sie überhaupt noch wirken wie erwartet oder ob sich Probleme anbahnen, die irgendwann zum Desaster führen könnten. Atomwaffen könnten im Ernstfall nicht funktionieren oder sogar instabil werden und vielleicht irgendwann ungeplant explodieren.
Die nötigen Erkenntnisse darüber soll El Capitan mit Hilfe von Langzeit-Simulationen liefern. Er wird laut HP Enterprise bei seiner Fertigstellung „so schnell sein, wie die heute 200 stärksten Supercomputer der Welt zusammen.“ IT-Spezialisten sprechen von einer Leistungsstärke von „Exaflops“. Ein Exaflop sind eine Milliarde mal eine Milliarde Rechenoperationen pro Sekunde. AMD
El Capitan wird nicht ein, sondern zwei Exaflops leisten. Anders ausgedrückt: Würde jeder Mensch auf der Erde pro Sekunde eine Rechenoperation lösen, bräuchte die gesamte Menschheit acht Jahre, um das zu erledigen, was El Capitan in einer Sekunde wegarbeitet.
AMD hat seine Probleme überwunden
Bei der Vorstellung der Kooperation am Mittwoch hat es sich AMD-Chefin Lisa Su nicht nehmen lassen, mit auf dem Podium in San Jose zu sitzen. Der Chiphersteller, einst als billiger Klon von Intel-PC-Chips gestartet, hat eine bewegte und teilweise schwierige Geschichte hinter sich.
Doch mittlerweile ist AMD eine der Top-Aktien an der Wall Street und sticht bei El Capitan Wettbewerber wie Intel, Nvidia oder IBM aus. Letzterer hat den bisherigen Superrechner der LLNL, „Sequoia“ genannt, bestückt. Der ist seit Januar abgeschaltet und wird in den kommenden Monaten abgebaut.
AMD hat extra für den Superrechner seine Produktpläne für die kommenden Jahre angepasst. Zur Verwendung wird ein AMD Epyc-Chip der übernächsten Generation (Codename „Genoa“) kommen, den es jetzt noch gar nicht gibt. Er soll neben überragender Rechenleistung auch Künstliche Intelligenz und Maschinenlernen besitzen, die direkt in das Silizium integriert sind. Dadurch werden solche Funktionen besonders schnell.
Kooperieren wird er mit AMDs eigenem Grafikchip der nächsten Generation, der ebenfalls für Computerarbeit herangezogen wird und für einen noch schnelleren Datendurchsatz sorgen soll. Für AMD bietet sich die Chance, endlich aus dem Schatten von Intel heraus zu treten und im Supercomputerbereich Fuß zu fassen. Vor wenigen Monaten war geschätzt worden, das El Capitan vielleicht 1,5 Exaflop erreichen könnte, jetzt sollen es 30 Prozent mehr sein.
Zuletzt waren es vor allem chinesische Superrechner, die in der Weltrangliste des High-Performance-Computing mit extremen Leistungen für Furore sorgten. Die USA haben allen Ehrgeiz darangesetzt, diese Dominanz Chinas wieder zu brechen. Aktuell belegen US-Rechner wieder die Plätze der eins und zwei der Top 500, China liegt auf drei und vier. Der schnellste deutsche Rechner steht im Leibniz-Rechenzentrum in Garching und kommt auf Platz neun.
39 Megawatt Energieverbrauch
LLNL-Chef Bill Goldstein will jetzt die Messlatte besonders hoch hängen: „Die heutige Ankündigung ist ein Beispiel dafür, wie Regierung und Industrie zusammenarbeiten können, um der ganzen Nation zu nützen.“ HPE wiederum verspricht sich ein großes Stück vom Kuchen des künftigen Marktes für Unternehmens-IT mit kleineren Versionen des Capitan.
Der wird am Ende 600 Millionen Dollar kosten, Millionen von CPU-Kernen besitzen und eine Stromversorgung von 39 Megawatt verschlingen. Aber im Endeffekt soll er die Blaupause für abgespeckte Unternehmens- und Forschungsrechner in einem immer mehr von Künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen beherrschten Alltag werden.
Goldstein stellt eines aber auch direkt klar: Sein LLNL werde nicht an leistungsgesteigerten Atomwaffen forschen. Die USA sei in einem „langfristigen Programm zum Austausch existierender Atomwaffen“, vor allem der frühesten Generationen. Dabei betreffe der Auftrag ausschließlich erhöhte Sicherheit und Zuverlässigkeit, nicht höhere Leistung.
Und wenn El Capitan auch für das Coronavirus voraussichtlich zu spät kommen wird, so wird er in Zukunft vielleicht auch mal Kapazitäten frei haben, um den Kampf gegen künftige Pandemien auf Stunden oder Tage zu reduzieren statt auf Monate oder Jahre.
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