Insight Innovation Das Metaversum: Die nächste Stufe des Internets steht vor vielen Problemen

Zahlreiche Technologie-Unternehmen bauen derzeit an ihrer Version des Metaversums.
San Francisco Glaubt man führenden Tech-Chefs, ist es nicht weniger als die Zukunft des Internets: das Metaversum. Mark Zuckerberg will Facebook zum „Metaversum-Unternehmen“ machen. Microsoft-Chef Satya Nadella träumt von einem „Metaversum für Unternehmen“. Und Nvidia-Chef Jensen Huang von einem „Metaversum für Ingenieure“. Zusammen sind die Unternehmen der drei Topmanager fast vier Billionen Dollar wert.
Außerhalb der Tech-Welt ist allerdings vielen Menschen noch nicht bekannt, worum es bei dem neuen Konzept überhaupt geht. Einer, der das gut erklären kann, ist Matthew Ball. Er gilt als der wohl wichtigste Vordenker des Metaversums: Über die Essays des früheren Strategiechefs von Amazon Studios sagte Ex-Disney-Chef Bob Iger einmal, er bezahle Beratern zweistellige Millionensummen, um zu bekommen, was Ball kostenlos auf seiner Seite schreibt.
Ball beschreibt das Metaversum als „ein Netzwerk dreidimensionaler, in Echtzeit erzeugter, virtueller Welten, durch die sich ein Individuum mit derselben Identität, denselben Objekten, Daten und Rechten bewegt – und das zeitgleich mit einer unbegrenzten Zahl anderer Individuen“. Das Metaversum sei eine Weiterentwicklung des mobilen Internets – möglich geworden erst durch die wachsende Alltagstauglichkeit von Technologien wie virtueller Realität, 5G oder der Blockchain.
Verwendet wird das Metaversum bisher vor allem in der Welt der Computerspiele. Viele Teile von Balls Definition passen bereits auf Spiele oder Spieleplattformen wie Fortnite oder Roblox. Dort können Spieler als comic-artige, dreidimensionale Avatare in Echtzeit aufeinandertreffen.
Der Zweck, zu dem Fortnite gespielt wird, wird immer breiter: Hatte die Spielefirma Epic Games die Spielewelt einst als reinen Multiplayer-Shooter entwickelt, finden dort heute auch Konzerte von Superstars wie Travis Scott oder Ariana Grande statt, werden Gameshows abgehalten oder neue Filme vorgestellt.
Ein Spieler kann sich die Spektakel nicht nur passiv am Computer anschauen, sondern mit seinem Avatar an dem surrealen Event teilnehmen. Zu dem Konzert auf Ariana Grandes Fortnite-Tour konnte man etwa auf einem glitzernden Lama reiten oder die Bühne mit einem Paraglider überqueren.
Der Avatar des Popstars flog derweil in einem Raumschiff Richtung Bühne, schoss dabei auf Aliens und sang schließlich Lieder von einer Schaukel in einem Himmel voll schwebender Seifenblasen – alles virtuell, aber bestimmt abwechslungsreicher als die Laser- oder Flammenshow realer Konzerte.
Zehn Dollar für ein virtuelles T-Shirt
Das Publikum ist bei Fortnite-Konzerten ein Teil der Kulisse. Mit der Spielewährung V-Bucks können sich Fortnite-Spieler „Skins“ kaufen, die ihre Spielfigur optisch in den Superhelden Aquaman oder Kylo Ren aus Star Wars verwandeln. Für das Konzert führte Epic Games ein glitzerndes Ariana-Grande-Skin ein, das die Spieler zusammen mit dem Paraglider und anderen Objekten für 1500 V-Bucks (etwa zehn Dollar) kaufen konnten – viel Geld für ein virtuelles Objekt, aber günstiger als ein reales Band-Shirt.
Bislang sind die Skins vor allem die Geldquelle für die Spielebetreiber wie Epic Games oder Roblox. Die Idee permanenter Objekte, die Spieler eines Tages quer durch alle virtuellen Welten verwenden können, ist aber auch ein Treiber des Handels mit Non Fungible Tokens (NFT).
Diese virtuellen Objekte werden oft in Form eines digitalen Videos oder Bildes im JPG-Format kreiert. Die Speicherung auf einer Blockchain gilt als eine Art digitales Grundbuch – und soll die Einzigartigkeit garantieren. Der Wert der verkauften NFTs stieg im ersten Halbjahr 2021 laut der Plattform Dapp Radar um den Faktor 200 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allein das verpixelte Bild eines blauen Kopfes mit Ohrring und roter Mütze („Cryptopunk“) brachte bei einer Sotheby's-Versteigerung 17,1 Millionen Dollar.

Bei einer NFT-Sotheby's-Versteigerung brachte das Bild 17,1 Millionen Dollar.
Der NFT-Boom ähnelt der Goldgräberstimmung unter URL-Händlern in der Frühzeit des Internets – viele wollen sich einen Claim im digitalen wilden Westen sichern, ohne genau zu wissen, was der einmal wert sein wird.
Metaversum - Twitch-Chef übt Kritik
Emmett Shear sieht das alles kritisch. Dabei könnte die weltgrößte Live-Streamingplattform Twitch, die Shear mitgegründet hat und bis heute leitet, einmal zu einem der Portale ins Metaversum werden. Schon heute besuchen 30 Millionen Menschen pro Tag die zu Amazon gehörende Plattform, meist um Livestreams von Computerspielen zu verfolgen und mit Freunden zu chatten. Seit der Pandemie finden dort – ähnlich wie in Fortnite – auch immer mehr Live-Konzerte, Talkshows oder Kommentar-Streams von Live-Sportveranstaltungen statt.
„Ich teile das Metaversum in zwei Teile“, sagt Shear im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Einmal ist es diese virtuelle Welt, in der man unglaubliche Erfahrungen machen kann – Konzerte besuchen, die es in der physischen Welt nie geben könnte. Andererseits steht es für eine künstliche Verknappung von Objekten, die das Internet eigentlich überwunden hat.“
Der Preis eines NFTs und selbst eines Zehn-Dollar-Skins hängt noch weniger mit dem Preis seiner Erzeugung zusammen als bei einem Bandshirt, einer Gucci-Handtasche oder einem Van Gogh. Ein NFT ist quasi kostenlos erzeugbar, ein Fortnite-Skin unendlich kopierbar. „Was sie verkaufen, ist das Gefühl, Excalibur in der Hand zu halten und sich dadurch wie Arthur, der einstige und zukünftige König, zu fühlen“, spottet Shear. Das Internet könne aber ein „Ort des Überflusses“ sein, weil virtuelle Objekte kostenlos repliziert werden können.
Die Spekulation mit NFTs hält Metaversum-Theoretiker Ball für einen „unglücklichen, aber nicht vermeidbaren Nebeneffekt“. Denn die Blockchain sei eine der Basis-Technologien, die eine Verbindung zwischen den virtuellen Welten von Fortnite und den Welten anderer Unternehmen erst möglich mache. „Die Blockchain-Technologie ist eine gute Lösung für das Metaversum. Es basiert auf der Interoperabilität von Währungen, Daten und Wertgegenständen.“
Denn wie Epic Games mit Fortnite bauen zahlreiche Technologie-Unternehmen an ihrer Version des Metaversums. Facebook hat gerade Horizon Workrooms vorgestellt, eine App für berufliche Meetings in der virtuellen Realität. Zuckerberg setzt seit Jahren darauf, dass VR-Brillen die nächste Internetplattform werden. Bereits 2014 kaufte Facebook den VR-Brillenentwickler Oculus für zwei Milliarden Dollar, seit Kurzem überlegt Facebook auch, in den NFT-Markt einzusteigen.
Microsoft bietet mit der Hololens bereits eine Konkurrenzbrille zu Facebooks Oculus Quest und mit AltSpace eine ähnliche Anwendung für Treffen in VR. Kürzlich wurde das „Burning Man“-Festival wegen der Corona-Pandemie in AltSpace verlegt. Und der Grafik- und KI-Chipentwickler Nvidia hat ein komplettes BMW-Werk in sein „Omniverse“ verlegt. In diesem digitalen Zwilling einer künftigen Fabrik des Münchener Autoherstellers sollen Arbeitsprozesse simuliert werden, um Planungsfehler in der realen Welt zu vermeiden.
Standards sind Voraussetzung
Es ist fraglich, ob es jemals ein singuläres Metaversum geben wird: Ein Aquaman aus Fortnite wird wohl nicht so bald durch ein virtualisiertes BMW-Werk laufen. Dennoch könnte es Sinn ergeben, dass der Chip-Hersteller Nvidia und Epic Games sich auf bestimmte technische Standards einigen, damit Computer mit Nvidia-Grafikkarten jede Fortnite-Umwelt richtig darstellen.
Je mehr die Firmen ihre virtuellen Welten auf den gleichen technischen Grundlagen und Protokollen errichten, Währungen, Gegenstände und die Identität der Avatare gegenseitig anerkennen, desto näher ist das Metaversum.
Bis dahin ist es aber ein weiter Weg. Noch heute ist im Internet die Interoperabilität nur teilweise realisiert: Mit den gängigen Internetbrowsern kann man zwar die meisten Seiten ansteuern, nicht aber das Darknet. Ein Entwickler für Apple iOS-Betriebssysteme kann den Code seiner App nicht einfach in Googles Play Store kopieren.
Auch Fortnite ist noch ein gutes Stück vom Metaversum entfernt. Der Avatar und seine gekauften Skins können noch nicht einmal in andere Spiele übertragen werden, geschweige denn in ganz andere Welten. Hat Facebook ein Interesse daran, dass ein Nutzer sein Skin aus dem Ariana-Grande-Konzert im Horizon Workroom tragen kann? Könnte Facebook ihm das Outfit nicht nochmals verkaufen? „Kein einzelnes Tech-Unternehmen will seine Hoheit darüber abgeben und mit Konkurrenten teilen“, sagt Ball.
Lägen die Daten über das Aussehen des Avatars, das Guthaben in der Spielwährung oder Gegenstände dagegen auf der Blockchain statt in einem Apple- oder Facebook-Wallet, läge auch die Macht darüber bei den Nutzern. „Das Metaverse basiert auf der Annahme, dass wir immer mehr Zeit und Arbeit in der digitalen Welt verbringen. Daher generieren wir dort mehr Daten, aber auch mehr wertvolle Daten. Daher ist es attraktiv, dass Nutzer ihre Daten selbst besitzen und entscheiden, wem sie welche Informationen zur Verfügung stellen“, sagt Ball.
Der dezentrale Aufbau des Metaversums soll eine Dystopie vermeiden, in der die digitale Welt einen immer größeren Anteil des Lebens einnimmt und die Mega-Tech-Konzerne von heute noch umfassender bestimmen, was wir sehen, hören und wahrnehmen. Das erscheint aber aktuell eher wie ein frommer Wunsch, da mit Facebook, Microsoft oder Apple, das ebenfalls an AR- und VR-Hardware arbeiten soll, eben diese Konzerne auch das Metaversum dominieren wollen.
Literarisches Vorbild des Metaversums
In einer solchen Dystopie haben der Begriff und das Konzept Metaversum auch ihren Ursprung. Der Autor Neil Stephenson hat ihn in seinem Cyberpunk-Roman „Snow Crash“ 1992 eingeführt: Der Protagonist „Hiro“ flüchtet sich als Samuraischwert-schwingender Avatar aus seinem realen Leben als Hacker und Pizzabote in einem post-apokalyptischen Los Angeles in das hyperkapitalistische Metaversum, das Großkonzerne unter sich aufteilen.
Wohlhabende können die virtuelle Welt mit ihren VR-Brillen ansteuern. Wer sich nur die öffentlichen Zugangsterminals leisten kann, bewegt sich für jeden sichtbar als pixeliger Schwarz-Weiß-Avatar durchs Metaversum.
„Das Metaversum ist ein dystopischer Albtraum. Lasst uns ein bessere Realität errichten“, überschrieb Niantic-Chef John Hanke kürzlich einen Blogbeitrag. Das Unternehmen aus San Francisco hat ein Interesse an der physischen Welt. Als Entwickler von „Pokemon Go“ und anderen Spielen, die Augmented Reality und öffentliche Orte verbinden, ist für Hanke eine völlig immersive, digitale Welt eher eine Konkurrenzveranstaltung.
Doch Hanke hat einen ganz schlichten Grund für seine Zweifel, dass sich gerade jetzt viele Leute in immer immersivere Welten stürzen möchten: „Nach achtzehn Monaten Zoom, Netflix und Doordash habe ich jedenfalls keine Lust darauf.“
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