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Insight Innovation Wie Roboter und Sensoren unsere Brücken und Tunnel retten sollen

Die Infrastruktur in Deutschland zerfällt. Mithilfe neuer Technologien will die Baubranche das Unvermeidliche hinauszögern – und eine digitale Baukultur anstoßen.
05.06.2021 - 16:02 Uhr Kommentieren
Roboter, Drohnen und Künstliche Intelligenz halten Einzug auf dem Bauplatz – auch, um die bestehende Infrastruktur zu retten.Credit: Julius Brauckmann, Getty Images, dpa
Intelligente Wartung von Brücken

Roboter, Drohnen und Künstliche Intelligenz halten Einzug auf dem Bauplatz – auch, um die bestehende Infrastruktur zu retten.

Credit: Julius Brauckmann, Getty Images, dpa

Düsseldorf Die Wochen, in denen die Emschertalbrücke bei Herne in den vergangenen Monaten komplett befahrbar war, können Autofahrer an einer Hand abzählen. Weil Ingenieure die Tragfähigkeit der beschädigten Brücke testen mussten, war die A43 an mehreren Wochenenden dicht, darunter auch an Pfingsten. Mit weiteren Sperrungen ist zu rechnen. Nachdem sich Stahlträger auf der Südseite der Brücke durchgebogen hatten, ist die Durchfahrt von großen Lkws komplett untersagt.

Das Trauerspiel wird noch lange so weitergehen. Erst wenn die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, wollen die Betreiber entscheiden, ob sie die Brücke noch länger für Autofahrer freihalten können – oder ob der Betrieb eingestellt und der eigentlich erst für 2024 geplante Neubau vorgezogen werden muss.

Herne ist kein Sonderfall. Solche Szenen werden sich in den kommenden Jahren nach Ansicht von Experten oft wiederholen – in Deutschland, Europa und Amerika. Denn der Großteil der dortigen Brücken und Tunnel wurde in den wirtschaftlichen Boom-Zeiten der Sechziger- und Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gebaut.

„Die Infrastruktur-Krise verschlechtert sich dramatisch“, sagt Matti Kuivalainen, CEO des Baudienstleisters Dywidag. Das Thema müsse ganz oben auf die Agenda der Regierungen, bevor es zu spät ist, fordert der Manager.

In den nächsten zehn bis 15 Jahren werde eine große Zahl von Brücken an einen kritischen Punkt ihres Lebenszyklus kommen. „Es ist derzeit nicht vorstellbar, dass wir alle diese Brücken gleichzeitig werden neu bauen können“, sagt Kuivalainen.

Höhere Belastung als geplant

Viele der Brücken und Tunnel waren ursprünglich für eine Betriebszeit von 100 Jahren angelegt. Doch stiegen die Belastungen durch zunehmenden Verkehr deutlich stärker als erwartet – und zermürbten Beton und Stahl. Treten Beschädigungen auf, müssen Brücken entweder aufwendig saniert – oder gleich ganz abgerissen und ersetzt werden.

Einen Ausweg bieten neue Technologien: Roboter, Drohnen und Künstliche Intelligenz halten Einzug auf dem Bauplatz – auch, um die bestehende Infrastruktur zu retten. „Wir müssen die Lebensdauer deutlich erhöhen – durch den Einsatz digitaler Technologien“, sagt Kuivalainen. Damit meint er vor allem Sensoren und intelligente Algorithmen, die anhand der ausgelesenen Daten zuverlässige Rückschlüsse auf den tatsächlichen Zustand eines Bauwerks ziehen können.

Weil die Stahlträger der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal aufgrund zu hoher Belastungen in den vergangenen Jahren durchgebogen sind, ist die Brücke bereits für Lkw von mehr als 3,5 Tonnen gesperrt. Quelle: dpa
Belastungstest für beschädigte Emschertalbrücke

Weil die Stahlträger der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal aufgrund zu hoher Belastungen in den vergangenen Jahren durchgebogen sind, ist die Brücke bereits für Lkw von mehr als 3,5 Tonnen gesperrt.

(Foto: dpa)

Bislang sind die meisten Inspektionen eine ziemlich analoge Angelegenheit: Ein Prüfingenieur nimmt beispielsweise eine Brücke in Augenschein, um so oberflächliche Beschädigungen festzustellen, und nimmt einmalige Messungen vor. Sind die Schäden zu groß, wird die Brücke geschlossen – und das aus Vorsichtsgründen meist, auch wenn sie eigentlich noch eine Zeitlang sicher befahrbar wäre.

Die Digitalisierung der Infrastrukturüberwachung ist das Leib-und-Magen-Thema des gebürtigen Finnen, der seit 2017 die Geschicke des Nachfolgeunternehmens der früheren Dyckerhoff & Widmann AG lenkt. Als gelernter Ingenieur weiß Kuivalainen, wovon er spricht. Denn das Unternehmen liefert unter anderem Spannsysteme für Brücken – also jene Stahlteile, die dem bruchanfälligen Beton seine Stabilität verleihen, weil sie einen großen Teil der Belastung aufnehmen können.

Was passieren kann, wenn sie versagen, zeigte ein Unglück in Italien vor wenigen Jahren: Dort war 2018 eine gerade einmal 50 Jahre alte Autobahnbrücke in Genua eingestürzt, nachdem ein von Beton ummanteltes Stahlseil an der Verankerung eines Brückenpfeilers durchgerostet war. Mit bloßem Auge konnten die Inspekteure diesen Schaden wegen des Betonmantels aber nicht erkennen. Am Ende kostete der Einsturz 43 Menschen das Leben.

Deutschland, Land der Brücken

Nach Ansicht von Experten sind solche Unfälle wegen des engmaschigen Kontrollnetzes in Deutschland nicht zu erwarten. Doch die Dimension der zukünftigen Herausforderung wird klar, wenn man sich die schiere Anzahl der Brücken anschaut, über die Deutschlands Fernstraßen führen: Laut Verkehrsministerium gibt es in Deutschland rund 40.000 Überführungen, an denen Autos entweder Gewässer, Schluchten oder Landsenken überqueren können. Die Gesamtlänge beträgt mehr als 2000 Kilometer, was etwa der Strecke von Flensburg bis Neapel entspricht.

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Allein die Wartung der vielen Stahlkabel, die viele dieser Brücken halten, ist eine extrem zeitintensive Aufgabe. Die Ingenieure von Dywidag haben daher einen Roboter entwickelt, der selbstständig die viele Meter hohen Kabel hochklettern und ihren Zustand detailgenau abfotografieren kann sowie einen weiteren, der die Isolierung erneuert. Und einen dritten, der sogar Aufgaben wie einfache Schweißungen oder Reinigungen übernimmt – alles, während die Autobahn befahrbar bleibt, beaufsichtigt nur von einem Mitarbeiter auf der Höhe der Fahrbahn.

Nach Ansicht von Dywidag-Chef Kuivalainen sollten die Betreiber solche bei der Wartung und Instandhaltung anfallenden Daten langfristig speichern und nutzen. „Wir müssen dringend damit anfangen, die Daten, die bei der Wartung beispielsweise von Brücken anfallen, systematisch zu sammeln und auszuwerten.“ Dabei gehe es vor allem darum, diese Daten digital verfügbar zu machen, um daraus Rückschlüsse zu ziehen. Was heute Menschen erledigen, könnten Maschinen oft zuverlässiger übernehmen – „und die Daten anschließend auch in einem einheitlichen Format bereitstellen“, so der Manager.

Doch bislang stehen solche Daten gar nicht flächendeckend zur Verfügung. Denn vor allem in den alten Bundesländern stammen viele Autobahnbrücken aus der Vor-Wende-Zeit von 1965 bis 1985, was zum Beispiel fast alle großen Talbrücken betrifft. Aber auch die späteren Bauwerke verfügen nicht über ein kontinuierliches digitales Monitoring-System, sondern werden in regelmäßigen Intervallen von Menschen begutachtet. Um die Nutzungsdaten eines Infrastrukturbaus zu analysieren, müssen die Sensoren also nachgerüstet werden.

Pro Sensor eine halbe Stunde

So geschah es beispielsweise auch zeitweise bei der Emschertalbrücke bei Herne: An den gesperrten Wochenenden installierten die Ingenieure insgesamt 80 Sensoren, um später mithilfe von mit Kies beladenen Lastwagen die Belastung an bestimmten Punkten zu messen. Dabei kamen Temperaturfühler, aber auch sogenannte Dehnungsmessstreifen zum Einsatz, die auf die Spannung im Stahl reagieren. Noch liegt das abschließende Ergebnis der Untersuchung nicht vor. Doch am Ende soll es dabei helfen, zu entscheiden, von welchen Fahrzeugen die Brücke in Zukunft noch befahren werden kann.

An den gesperrten Wochenenden installierten die Ingenieure insgesamt 80 Sensoren, um später mit Hilfe von mit Kies beladenen Lastwagen die Belastung an bestimmten Punkten zu messen. Quelle: dpa
Belastungstest für beschädigte Emschertalbrücke

An den gesperrten Wochenenden installierten die Ingenieure insgesamt 80 Sensoren, um später mit Hilfe von mit Kies beladenen Lastwagen die Belastung an bestimmten Punkten zu messen.

(Foto: dpa)

Pro Sensor dauerte die Installation eine halbe bis eine Dreiviertelstunde. Doch der Aufwand für solche Nachrüstungen sinkt stetig: So gelang es beispielsweise dem Industriedienstleister Bilfinger schon vor einiger Zeit, die ebenfalls baufällige Salzbachtalbrücke in Wiesbaden mit Schallsensoren auszustatten, ohne die Brücke vorher zu sperren. Für die Analyse hatte das Unternehmen eigens einen Algorithmus entwickelt, der die registrierten Vibrationen in ein Modell umrechnet, das die Veränderungen in der Bausubstanz darstellen kann.

Sobald das System eine gefährliche Veränderung feststellt, sendet es eine Meldung an die zuständigen Verkehrsbehörden. Ohne diese Installation wäre die Brücke wahrscheinlich nicht mehr in Betrieb. Der Ersatzbau soll erst im Frühjahr 2024 fertiggestellt werden. In normalen Zeiten passieren die Stelle täglich mehr als 80.000 Fahrzeuge. Als die Brücke 1963 gebaut wurde, war sie ursprünglich für 20.000 Fahrzeuge ausgelegt worden.

Intelligente Bauwerke

Für Dywidag-Chef Kuivalainen ist daher klar: „In Zukunft werden die Sensoren schon beim Bau in die Brücken integriert werden.“ Damit das aber passiere, müssten die Bauherren, also die Regierungen, entsprechende Ausschreibungsregeln festlegen. Zudem sei es wichtig, dass diese Sensoren austauschbar sind – „sonst läuft man Gefahr, sich auf solche festzulegen, die vielleicht in 100 Jahren nicht mehr aktuell sind.“

Dabei beginnt das Datensammeln mittlerweile, zumindest im Hochbau, bereits vor und während der Bauphase. Verfahren wie „Building Information Modeling“ (BIM) sollen es ermöglichen, die Konstruktionsdaten beispielsweise von Wohn- oder Geschäftsgebäuden über einen langen Zeitraum verfügbar zu machen. Der Datensatz wird dabei während des Bauprozesses immer wieder aktualisiert, sodass er stets für die Planung zukünftiger Baumaßnahmen zur Verfügung steht.

So hat etwa der Bauriese Hochtief ein konzerninternes Start-up gegründet, das die Digitalisierung des Bauens zu seinem Geschäftsmodell erklärt hat. Unter der Flagge der Innovationsplattform Nexplore laufen dort beispielsweise in Forschungsprojekten Roboterhunde über die Baustelle, um die Baufortschritte zu dokumentieren. Andere, wie das schwäbische Familien-Start-up Framence, setzen auf Handy-Technologie, um damit 3D-Modelle für die Dokumentation zu erzeugen.

Dabei liegen die Daten am Ende beim Betreiber, der dafür sorgen muss, dass seine Dienstleister den Datensatz aktualisieren. Für Infrastruktur-Bauten ist die BIM-Methode in Ausschreibungen seit 2020 immerhin für die Planung, nicht aber für die Bauphase oder den Betrieb vorgeschrieben. Wobei auch hier gilt wie überall in der Digitalisierung: Je mehr Daten man zur Verfügung hat, desto besser.

Daten können die nächste Infrastrukturkrise verhindern. Die wirtschaftliche Belastung, die derzeit auf die Steuerzahler in aller Welt zukommt, ist immens: So schätzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass die Staaten weltweit bis 2030 rund 70 Billionen US-Dollar in ihre Infrastruktur investieren müssen – und das nur, um den jetzigen Stand zu erhalten. Doch ob das überhaupt möglich sein wird, ist fraglich – angesichts des Personalmangels, der in der Branche allerorten herrscht.

So stellte etwa die Bundesregierung im vergangenen Sommer fest, dass etwa der Bestand der im Bereich der öffentlichen Infrastruktur tätigen Ingenieure „eine ungünstige Altersstruktur“ aufweise. Ersatz zu finden werde schwierig werden: „Denn es gibt derzeit einen Nachfrageüberhang bei dieser Berufsgruppe, und viele Bewerber ziehen die Privatwirtschaft gegenüber dem öffentlichen Dienst vor.“ Mit anderen Worten: Die Sperrungen wie in Herne auf der A43 werden so schnell nicht aufhören.

Mehr: Wie der Roboterbauer ABB die Baustellen automatisieren will.

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