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Interview mit Benoît Battistelli Präsident des Europäischen Patentamts: „Bald gibt es mehr Anmeldungen aus China als aus Frankreich“

Europas oberster Patenthüter erklärt, weshalb chinesische Firmen immer mehr Patente anmelden, Europas Unternehmen aber dennoch innovativer sind.
09.06.2018 - 14:12 Uhr Kommentieren
Der scheidende Präsident des Europäischen Patentamtes: Patentanmeldungen müssen einfacher werden. Quelle: dpa
Benoit Battistelli

Der scheidende Präsident des Europäischen Patentamtes: Patentanmeldungen müssen einfacher werden.

(Foto: dpa)

München Auf der einen Seite das Deutsche Museum, auf der anderen die Münchener Innenstadt: Von seinem geräumigen, bis auf den Boden verglasten Büro im zehnten Stock des Europäischen Patentamts hat Benoît Battistelli eine fantastische Aussicht auf die bayerische Metropole. Doch nicht mehr lange. Nach acht Jahren an der Spitze der Behörde hört der Franzose Ende Juni auf. Zuvor zieht er im Gespräch mit dem Handelsblatt eine Bilanz seiner Amtszeit.

Herr Battistelli, erstmals stand 2017 mit Huawei eine chinesische Firma an der Spitze der Patentanmelder in Europa. Müssen wir uns Sorgen machen um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie?
Nein, denn die europäische Industrie stellt nach wie vor sehr viel mehr Anträge in China, Amerika oder Japan, als bei uns von Ausländern eingereicht werden. Wir hatten vergangenes Jahr 7000 Anträge aus China, europäische Firmen haben gleichzeitig 36.000 Anträge in der Volksrepublik gestellt.

Wie erklären Sie sich also, dass Huawei ganz vorne steht?
In China sind einige große Unternehmen entstanden, vor allem in der IT- und Telekommunikationsbranche. Die sind international tätig und versuchen, ihr geistiges Eigentum weltweit zu schützen. Dazu gehört auch Huawei als größer einzelner Antragsteller. Aus anderen Industrien bekommen wir jedoch noch kaum Patentanträge der Chinesen.

Kein Vormarsch der Chinesen also?
Nun, wir verzeichnen jedes Jahr ein zweistelliges Plus bei den Patentanträgen aus China. Es wird nicht mehr lange dauern, und wir werden mehr Anmeldungen aus China sehen als aus Frankreich. Insofern ändert sich schon etwas. Und ich bin überzeugt, dass die Chinesen bald auf weiteren Feldern aktiv sein werden, bei den Autos zum Beispiel oder in der Medizintechnik. Das betrachten wir schon sehr genau.

Und welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Wir müssen es vor allem den europäischen Mittelständlern einfacher machen, Patente anzumelden und so ihre Forschung und Entwicklung zu schützen. Um die Hürden für kleine und mittlere Betriebe abzubauen, haben wir bereits die Gebühren gesenkt. Damit wollen wir unseren Beitrag leisten, damit Europa innovativ bleibt.

Das einheitliche europäische Patent lässt allerdings auf sich warten, warum?
Das ist wirklich ärgerlich. Wenn wir heute ein Patent gewähren, müssen die Patentinhaber dieses auch noch bei den nationalen Patentämtern für gültig erklären. Im Schnitt machen sie das bei zehn Ämtern und müssen dafür zehnmal zahlen. Mit dem einheitlichen Patent hätten sie sofort Schutz in 26 Ländern der EU.

Woran hakt es?
Momentan an einer Beschwerde beim deutschen Verfassungsgericht. Ansonsten sind alle Bedingungen erfüllt, selbst das Parlament in Großbritannien hat zugestimmt, trotz Brexit. Ich hoffe, dass es nächstes Jahr endlich so weit ist. Ich kämpfe seit Jahrzehnten dafür.

Lohnt es sich im Gegenzug für europäische Firmen, Patente in China zu beantragen?
Ich weiß nicht, ob die Unternehmen ihr geistiges Eigentum letztlich auch vor Gericht in China durchsetzen können. Aber klar ist, dass das chinesische Patentamt auf internationalem Standard ist. Wir arbeiten mit ihnen seit 30 Jahren zusammen, ihr System ist unserem sehr ähnlich. Das ist ein Vorteil für Firmen aus Europa. Konzerne wie Siemens beantragen im Übrigen sehr viele Patente in der Volksrepublik, es scheint sich also auszuzahlen.

Sie waren in den vergangenen Jahren massiven persönlichen Angriffen von Seiten der Arbeitnehmervertreter ausgesetzt, weil Sie das Europäische Patentamt tiefgreifend umgebaut haben. Jetzt endet Ihre Amtszeit. Hat sich die Auseinandersetzung gelohnt?
Auf jeden Fall. Sehen Sie, die ersten 30 Jahre war das Patentamt mit Regeln erfolgreich, die typisch für den öffentlichen Dienst in den 70er-Jahren waren. Aber es gab einen Zwang, das Amt zu reformieren und ins 21. Jahrhundert zu bringen.

Wie meinen Sie das?
Mir geht es darum, uns den Bedürfnissen unserer Kunden anzupassen, schließlich leben wir von deren Gebühren. Daher war immer mein Ziel, die Qualität und Effizienz zu steigern.

Ihre internen Kritiker bemängeln, dass sie gar nicht mehr genügend Zeit hätten, die Patentanträge genau zu prüfen. Stimmt das?
Keinesfalls. Wir überprüfen sehr genau, ob die Qualität der Patente stimmt. Es muss schwer sein, unsere Kriterien zu erfüllen, das sind wir der Öffentlichkeit schuldig. Schließlich gewähren wir dem Antragsteller ein Monopol, das muss gut begründet sein.

Woran messen Sie ihren Erfolg?
Es gibt natürlich Kennziffern. So ist die Zahl der erteilten Patente um 82 Prozent gestiegen, die Produktivität um 36 Prozent. Aber das ist noch nicht alles…

…sondern?
Wir haben einige Werkzeuge entwickelt, die uns die Arbeit wesentlich erleichtern. Etwa eine leistungsfähige Patentsuchmaschine, die weltweit zum Standard wurde und inzwischen in 40 Patentämtern eingesetzt wird. Oder eine Übersetzungssoftware, die Zugang zu japanischen, koreanischen und chinesischen Dokumenten im Volltext schafft. Das war besonders wichtig, weil wir so ein globales Patentsystem geschaffen haben. Es bestand die Gefahr, dass das Patentwesen mangels gemeinsamer Sprachkenntnisse in Ost und West zerfällt.

Bei all dem Guten, für das Sie also stehen, wie erklären Sie sich die persönlichen Attacken?
Die Arbeitnehmervertretung hier im Patentamt verhält sich anders als deutsche Gewerkschaften. Deshalb ist der Streit wohl vor allem in Deutschland so schwer zu verstehen. Unsere Gewerkschaft zeigt sich wenig kompromissbereit, eher so, wie wir das in Frankreich kennen: immer dagegen und keine Verantwortung übernehmen.

Ist es nicht allzu verständlich, dass Menschen ihre Besitzstände wahren?
Natürlich, aber wir können kein Vetorecht der Personalvertretung akzeptieren. Mit der Unterstützung der Mitgliedstaaten im Verwaltungsrat der Organisation – dem Aufsichtsorgan des Amts – und einer sehr großen Mehrheit des Personals haben wir die Reformen umgesetzt. Gleichzeitig haben wir die Gehälter weiter erhöht und das generöse Sozialpaket verbessert: Das durchschnittliche Nettogehalt eines Patentprüfers Mitte 40 beträgt rund 12.000 Euro. Bei solchen Einkommen halte ich es für gerechtfertigt, dass unsere Bediensteten jetzt nach Leistung und Verdiensten befördert werden und nicht mehr nach Dienstalter, so wie früher.

Sie haben auch viele Stellen abseits des Kerngeschäfts gestrichen, richtig?
Wir beschäftigen heute 7000 Menschen, genau so viele wie bei meinem Amtsantritt. Aber wir haben viele unterstützende Funktionen abgebaut und Stellen umgewidmet. Daher zählt das Amt nun 4400 Patentprüfer, 500 mehr als vor acht Jahren. Das hat maßgeblich zu der Qualitätssteigerung beigetragen.

Kann ihr Nachfolger der Mannschaft jetzt etwas Ruhe gönnen, reicht es mit den Reformen?
Wie jedes andere Unternehmen ist das Europäische Patentamt ein lebendiger Organismus, der sich an die Bedingungen der Wirtschaft und seiner Umwelt anpassen muss. Nehmen Sie nur die künstliche Intelligenz, die wird unsere Arbeit massiv verändern. Schon heute findet eine Vorprüfung der Patentanträge automatisiert statt, und das wird sich beschleunigen.

Herr Battistelli, vielen Dank für das Interview.

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