Jonathan Bernwieser Digitalisierung der Landwirtschaft: Start-up Agrando gelingt größere Finanzierungsrunde

Der Sohn eines Landwirts weiß, was Bauern umtreibt.
München Jonathan Bernwieser weiß aus eigener Erfahrung, wie es auf vielen Bauernhöfen aussieht. „Die Maschinen sind oft allerneueste Technik, doch im Büro stapelt sich das Papier“, erklärt der Sohn eines Landwirts. Angebote für Saatgut würden noch immer meist per Fax eingeholt.
Der 32-Jährige ist angetreten, das zu ändern. Sein Start-up Agrando sieht sich als „Deutschlands größte unabhängige landwirtschaftliche Handelsplattform“. Das Münchener Unternehmen will Landwirte, Händler und Hersteller zusammenbringen und sämtliche Prozesse digitalisieren.
Der Nachholbedarf auf vielen Höfen macht die Branche unter dem Label Agtech für Investoren interessant. Und so konnte Agrando jetzt nach Informationen des Handelsblatts bei der bislang größten Finanzierungsrunde unter Führung von Yabeo Impact zwölf Millionen Euro einsammeln.
Bernwieser wuchs auf dem elterlichen Maxlerhof in Münsing in der Nähe des Starnberger Sees auf. „Als ich kapierte, dass der Hof das Headquarter eines produzierenden Unternehmens ist, sah ich die Geschäftschance“, sagt er. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der TU München. lernte das Programmieren und gründete gemeinsam mit Chief Technical Officer Jonas Hueber das Unternehmen.
Bei Agrando können die Landwirte über einen Onlinekatalog zum Beispiel Saatgut und Pflanzenschutzmittel kaufen. „Sie haben so Preistransparenz und sind unabhängig von einzelnen Großhändlern“, sagt der Gründer.
Der E-Commerce setzt sich im Agrarhandel gerade erst so richtig durch. Laut einer Studie der Uni Göttingen nutzen gut 18 Prozent der Landwirte in Deutschland das Internet regelmäßig für betriebliche Einkäufe – mit steigender Tendenz. „Der Einkauf ist der größte Kostenpunkt für die Landwirte“, sagt Bernwieser. Daher sei hier auch die Chance am größten, die Produktivität zu verbessern.
Neugründung auf mehreren Standbeinen
Doch beim ersten Gründungsversuch 2015 lernte Bernwieser, dass die Nische zu eng ist, um allein vom Geschäftsmodell einer Handelsplattform zu leben. Also gründete er Agrando ein paar Jahre später neu und setzte auf mehrere Standbeine.
In Datenbanken werden den Landwirten nun auch zum Beispiel Marktanalysen zur Verfügung gestellt. Zudem wertet Agrando die Jahreszeit und die Daten der Kunden aus und gibt dann aktiv Empfehlungen für den passenden Saatguteinkauf.
So gibt es mehrere Einnahmequellen, von Provisionen im Handel über Werbeeinnahmen bis hin zu Abogebühren von den Landwirten. Im vierten Jahr nach dem Start zählt Agrando bereits 20.000 Landwirte als Kunden. Die Umsätze liegen laut Branchenschätzungen im siebenstelligen Bereich und sollen sich in diesem Jahr mehr als verdoppeln.
„Der Agtech-Bereich ist superspannend“, sagt Saskia Becker vom Lead-Investor Yabeo. Die Landwirtschaft müsse ihre Effizienz steigern, weil sie weltweit immer mehr Menschen ernähren müsse. Dies müsse aber ökologisch und ressourcenschonend gelingen. „Und dabei kann die Digitalisierung helfen.“
Für Yabeo Impact ist es das dritte und bislang größte Investment. Der Frühphaseninvestor hatte 2020 den Fonds aufgelegt, der in nachhaltige Start-ups investieren und ein Volumen von 50 Millionen Euro erreichen soll. „Wir beteiligen uns schon seit 2013 an nachhaltigen Start-ups und wollen mit unseren Investments nicht nur Rendite erzielen, sondern auch einen ökologischen beziehungsweise sozialen Impact erzielen“, sagt Becker.

Die sogenannte Agtech-Branche wird für Investoren zunehmend interessant.
Damit steht Yabeo nicht allein. Laut einem aktuellen Bericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen, das unter anderem von den Fondsgesellschaften Union Investment und Deka unterstützt wird, lag der Marktanteil nachhaltiger Fonds zwar zuletzt erst bei fünf Prozent.
Der Trend geht aber stark nach oben. Allein im Jahr 2019 hat sich das Anlagevolumen privater Investoren auf 18,3 Milliarden Euro fast verdoppelt. Bei institutionellen Geldgebern gab es ein Plus von 27 Prozent auf 154,3 Milliarden Euro.
Yabeo wurde von Matthias Sohler gegründet, der unter anderem im Vorstand der DAB Bank war und COO bei Unicredit. Die Investmentfirma ist schon länger zum Beispiel in den Bereichen Seniorenpflege (Pflegebox, Prosenio, Libify) und in Technologien zur Reduktion von Plastikabfall durch Wasserfilter (Tapp Water) engagiert. 2021 gelangen im Impact-Bereich zwei wirtschaftlich erfolgreiche Exits.
Neu im Investorenkreis von Agrando sind auch der Sony Innovation Fund und Investbridge. Es beteiligten sich zudem Bestandsinvestoren wie der Tech-Fonds June Fund und das Londoner Family Office JLR Star. Vor anderthalb Jahren hatten Finanzierungsrunden bereits fünf Millionen Euro gebracht.
Konkurrenz im Agtech-Sektor nimmt zu
„Agrando ermöglicht es Landwirten, zu analysieren und zu verstehen, was sie brauchen, um die besten Entscheidungen zu treffen“, sagt Gen Tsuchikawa vom Sony Innovation Fund. Durch den Kontakt zu vertrauenswürdigen Lieferanten entstehe ein Netzwerk, das es den Teilnehmern ermögliche, sich schneller an die sich verändernde Umgebung anzupassen.
Allerdings trifft Agrando auf Konkurrenz. So verbündete sich zum Beispiel der Branchenriese BayWa 2019 mit ATR Landhandel und der Getreide AG und gründete die Plattform Unamera mit, die sich später mit House of Crops zusammenschloss.
Bernwieser ist überzeugt davon, dass die meisten Landwirte sich nicht von einem Händler abhängig machen wollen. Schließlich setzen sich vergleichbare digitale Plattformen in immer mehr Branchen durch. So hat zum Beispiel das Start-up Bobbie eine Plattform für den Baustoffhandel entwickelt.
Das Unternehmen sieht sich nicht primär als Onlineshop, sondern will die Prozesse digitalisieren. Kunden und Hersteller können an die digitalen Schnittstellen andocken. Weit über 100 Baustoffhersteller wickeln inzwischen Geschäfte über die Plattform ab.
Mit dem Erlös aus der Finanzierungsrunde will Agrando nun die Technologie weiterentwickeln, das Geschäft skalieren und unter anderem nach Frankreich expandieren. Auch die Zukunft des Maxlerhofs in Münsing – wichtigster Pilotkunde von Agrando – ist gesichert. Die 60 Milchkühe soll Jonathans älterer Bruder Sebastian einmal übernehmen, der auch Produktleiter bei Agrando ist.
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