Rennen um das Weltall Neuer Trend in der Raumfahrt: Die Billigrakete vom Fließband

Immer mehr Satelliten sollen ins All – sie sollen kleiner und billiger werden.
Augsburg Das Equipment ist secondhand, von der Vakuumkammer über den 3D-Drucker bis hin zum Laptop. „Wir haben noch nie etwas neu gekauft“, sagt Jörn Spurmann in der Halle in Augsburg, in der sein junges Unternehmen Rocket Factory eine Rakete entwickelt.
Seine zehn Testingenieure sollen so kostengünstig wie möglich arbeiten. Daher entwickelt Rocket Factory auch viele Bauteile etwa aus der Elektrik nicht von Grund auf neu für den Weltraum, sondern kauft etwa bei Autozulieferern Standardteile zu.
Diese testet sie in Vakuum- und Hitzekammern und lässt sie gegebenenfalls modifizieren. Manchmal reicht bereits eine veränderte Dichtung, um die Anforderungen zu erfüllen. „Wir müssen die weltweit besten Raketen bauen – und das so günstig wie möglich“, beschreibt Chefingenieur Stefan Brieschenk die Herausforderung.
Rocket Factory ist eines von drei deutschen Start-ups, die bei einem neuen Rennen ums Weltall dabei sind. Anders als in früheren Runden geht es nicht um die ausgefeilteste Technik, sondern darum, kleine und leichte Satelliten kostengünstiger und schneller als bisher in eine Erdumlaufbahn zu befördern.
Nach dem Muster des privaten US-Raumfahrtpioniers SpaceX von Milliardär Elon Musk schicken sich die Entwickler an, den milliardenschweren Raketenprogrammen etwa von Nasa und ESA Konkurrenz zu machen – allerdings mit einfacheren Raketen als den wiederverwertbaren Modellen von SpaceX. Deutschland könnte dabei von seiner starken Industriebasis mit erfahrenen Zulieferern und etablierten Raumfahrtspielern wie Airbus und dem Entwickler der Galileo-Satelliten, dem Bremer Familienunternehmen OHB, profitieren.
Ob die Vision Wirklichkeit wird, hängt jedoch nicht nur daran, dass die Gründer im Wettlauf um die beste Technik bestehen, sondern auch an den Finanzen. Alle drei deutschen Firmen – neben der Augsburger Rocket Factory auch Isar Aerospace aus München und HyImpulse aus Baden-Württemberg‧ – suchen noch passende Investoren, die den Marktstart umsetzen können. OHB, der Investor hinter Rocket Factory, will am Donnerstag bei einem Kapitalmarkttag offensiv um Co-Investoren werben.
Wer jetzt investiere, könne deutlich günstiger einsteigen als zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das Entwicklungsrisiko ausgestanden sei, meint Rocket-Factory-Chef Spurmann. „Wir werden viele Interessenten haben und uns die besten Investoren aussuchen.“
Standortvorteile für Süddeutschland
2021 soll die komplette Rakete einsatzfähig sein. „Dafür brauchen wir das Funding“, sagt Spurmann. Je schneller das Geld fließe, desto schneller könne Rocket Factory arbeiten, denn an Wissen fehle es nicht. 60 Mitarbeiter aus 20 Nationen arbeiteten bei dem Unternehmen – teils abgeworben von den Konkurrenten. Damit die Vision wahr wird, hoffen die Entwickler auf einen strategischen Partner.
Ingenieur Brieschenk gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er über das süddeutsche Autoökosystem spricht. „Es gibt für unsere Art der Entwicklung keinen besseren Standort als Süddeutschland“, meint er. Seine These: Ein Autozulieferer könnte mit den Raketenmotoren sein Verbrenner- und Produktions-Know-how optimal nutzen, um das Geschäft auszuweiten – und sich für die Elektroautozeit zu rüsten.
Es geht um einen potenziell großen Markt. Laut einer Studie der Beratung PwC lag das Marktvolumen für den Start kleinerer Satelliten bis 500 Kilogramm bereits 2015 zwischen 180 Millionen und 410 Millionen Dollar. Ideen wie der Aufbau eines satellitengestützten Mobilfunknetzes könnten das Marktvolumen vervielfachen – insbesondere, falls Starts preisgünstiger und flexibler werden.
Entsprechend arbeitet eine zweistellige Anzahl von Start-ups weltweit an Microlaunchern. Als Vorreiter gilt das neuseeländisch-amerikanische Unternehmen Rocketlab, das bereits einige Raketen gestartet hat. Die drei deutschen Start-ups planen jeweils 2021 den ersten Start.
„Es gibt genügend Raum für mehrere Spieler“, beruhigt HyImpulse-Chef Mario Kobald. Er will sich durch seine an der Universität Stuttgart entwickelte Technik unterscheiden: Sein Hybridantrieb soll die Rakete mit billigem Paraffinwachs und Flüssigsauerstoff ins All schießen. Das soll Kosten senken, die Anwendung vereinfachen und Umweltrisiken minimieren.
Zunächst will er schon bald eine Höhenforschungsrakete in 100 Kilometer Höhe befördern, um die Technik zu demonstrieren – und Investoren die Machbarkeit aufzuzeigen. Latent laufe die Suche nach Geldgebern schon jetzt, sagt er. Denkbar sei eine Mischung aus strategischen Investoren mit Risikokapitalgebern. Bislang steht hinter ihm IABG, ein Betreiber von Testständen für die Industrie, der sein Raumfahrt-Know-how beisteuern will.
Risikolos ist ein Investment in die neue Technik nicht. Die Experten von PwC warnen, noch sei nicht ausgemacht, ob die Billigraketen wirklich technisch machbar sind. Ungewiss ist zudem, ob der Markt für kleinere Satelliten wirklich so stark wächst wie erwartet. Bislang starten oft Kleinstsatelliten von Unis, die kostenlos als Beiladung ins All gehen.
Isar Aerospace hat dennoch einen Geldgeber überzeugt, der seine Mittel sonst in digitale Geschäftsmodelle steckt: den Frühphasen-Investor Earlybird aus Berlin. „Durch die Nähe von Earlybird zum Tech-Ökosystem München sowie der dortigen Technischen Universität haben wir schon früh das Potenzial von Isar Aerospace erkannt“, sagt Mitgründer Hendrik Brandis. „Wir als Investoren sind davon überzeugt, dass die Trägerraketen auch wirtschaftlich ein großer Erfolg werden, sobald die erste fliegt.“
Serienfertigung wie in der Autoindustrie
Als Industriepartner war Airbus bei der Series-A-Finanzierungsrunde im Dezember über insgesamt gut 15 Millionen Euro dabei. Mit dem Geld soll die Mitarbeiterzahl von derzeit 35 auf bis zu 90 zum Jahresende steigen.
„Relativ bald“ will Mitgründer Daniel Metzler weitere Investoren dazuholen, die vor allem die Vermarktung ab 2022 vorantreiben sollen – falls der erste Flug wie geplant Ende 2021 gelingt. Isar Aerospace will sich durch die Größe seiner Rakete absetzen: Sie soll bis zu einer Tonne Last befördern, das ist doppelt so viel wie bei die meisten Konkurrenten. Damit will sich Isar Aerospace besonders für Auftraggeber empfehlen, die gleich mehrere Satelliten in einer Umlaufbahn absetzen wollen.
Die engsten Verbindungen zu einem Raumfahrtunternehmen hat jedoch Rocket Factory. Initiator OHB ist einer der größten europäischen Satellitenhersteller – und könnte seinen Kunden künftig zum Satelliten gleich auch den Start verkaufen. OHB könne so seine Wertschöpfung erhöhen, meint Commerzbank-Analyst Adrian Pehl. Daher sei die Rocket Factory für OHB „ein interessantes Projekt“ – bislang jedoch ohne echte Ausstrahlung auf Umsatz und Gewinn.
Die Hoffnung in Augsburg ist, Raketenmotoren wie in einer Autofabrik in Serie herstellen zu können. Zehn solcher Motoren braucht eine Rakete: neun für den Start, einen weiteren, identischen, zum Lenken im Weltall. Gesamtleistung: eine halbe Million PS. Zunächst rechnen die Planer mit 20 Raketen pro Jahr – macht 200 Triebwerke.
Durch solche Stückzahlen sollen die Kosten sinken. Möglich macht das auch 3D-Druck. Die Entwickler versprechen sich von der Technik nicht nur mehr Flexibilität als beim klassischen Gussverfahren, sondern auch Wandstärken von unter einem Millimeter. Das spart Gewicht und vereinfacht die Kühlung.
„Das ist das größte metallische 3D-Druck-Vorhaben in Deutschland“, meint Brieschenk, der bis 2017 bei Rocket Lab arbeitete. Dennoch sei der Motor mit seinen 200 Kilogramm nicht viel komplexer als ein Automotor – nur eben größer: „Innerhalb von ein bis zwei Jahren müssen wir beweisen, dass wir diesen Motor herstellen und einsetzen können. Der Rest ist eigentlich einfach.“
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