Start-up Helsing Spotify-Gründer Ek steckt 100 Millionen Euro in Künstliche Intelligenz fürs Militär

Der Spotify-Gründer will mit einer Milliarde Euro aus eigenem Vermögen europäische Technologie fördern.
Hamburg Es ist eines der umstrittensten Felder für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) – und zugleich eines der aussichtsreichsten: das Militär. In diesen Bereich investiert nun Daniel Ek. Der Schwede ist zwar bisher nicht als Waffennarr in Erscheinung getreten, mit dem von ihm gegründeten Musikstreamingdienst Spotify hat er aber bereits eine ganze Branche revolutioniert.
Und die Ambitionen des 38-Jährigen bleiben groß: Er will beweisen, dass Spotify als europäische Erfolgsgeschichte keine Ausnahme ist. Digitale Weltmarktgrößen könnten auch hier in Serie entstehen, meint Ek. Eigens dafür hat er im vergangenen Sommer seinen Fonds Prima Materia mit einer Milliarde Euro aus seinem Vermögen ausgestattet.
Das Geld soll über die kommenden zehn Jahre in europäische Deeptech-Firmen fließen – also in solche Unternehmen, die wissenschaftliche Forschung zur Lösung grundlegender Probleme einsetzen. Dabei hilft ihm sein Vermögen, das „Forbes“ auf 4,8 Milliarden Dollar schätzt.
Einen der ersten sinnvollen Einsatzorte für sein Kapital will Ek in München entdeckt haben. Deshalb steckt er 100 Millionen Euro in das Konzept von drei Gründern, die Europa bei militärischer KI voranbringen wollen. Für die erste Wachstumsrunde eines deutschen Software-Start-ups ist das eine ungewöhnlich hohe Summe.
Bei der erst zum Jahresbeginn gegründeten Firma Helsing geht es um eine zentrale Anwendung: Es will KI einsetzen, um die Feindaufklärung zu verbessern. Das könnte Offizieren dabei helfen, Gefechtslagen besser einzuschätzen oder militärische Ziele genauer auszuwählen.
„Europa hat eine große Chance, beim Aufbau dynamischer KI-Systeme führend zu sein, die ethisch, transparent und verantwortungsbewusst konzipiert sind“, erklärte Ek das hohe Investment in das junge Unternehmen mit gerade einmal 70 Mitarbeitern in einem schriftlichen Statement. Die Erläuterung der Details überlässt er den Gründern – obwohl Ek selbst ins Board einzieht. Auch Spotify äußerte sich auf Anfrage nicht.
Die beiden Mitgründer Gundbert Scherf und Torsten Reil schildern dagegen dem Handelsblatt in ihrem ersten öffentlichen Gespräch über Helsing ihre Vision. Beide wollen Software entwickeln, die Muster hinter den Daten aus Kameras, Wärmebildern, Radardaten und anderen Sensoren erkennt. Dabei soll ein Großteil der Auswertung direkt am Sensor erfolgen, also etwa an Kameras von Aufklärungsflugzeugen. Das sogenannte Edge-Computing schafft es, notfalls ohne Datenverbindung auszukommen – etwa im realen Einsatz, wenn der Feind den Funk stört.
„Wir wollen so ein Lagebild erschaffen, das bestmögliche Entscheidungen ermöglicht“, sagte Scherf. KI könne Bilder und Daten schneller und präziser auswerten und zugleich mehr Daten berücksichtigen, beispielsweise 360-Grad-Bilder aus Helikoptern.
Großer Bedarf, harte Kritik
Der 39-Jährige kennt sich mit dem Bedarf der Nato-Streitkräfte aus: Er hat von 2014 bis 2016 im Verteidigungsministerium den Aufbau des Cyber- und Informationsraum-Kommandos mitkonzipiert und die Beschaffung großer Rüstungsprojekte umgestellt. Zuletzt arbeitete er für die Beratung McKinsey. Daher kennt er die Chancen von KI beim Militär, aber auch die Kritik an der Technologie.
Etliche Fehleinschätzungen bei den Einsätzen westlicher Streitkräfte im Irak und in Afghanistan belegen, dass die Aufklärung bislang nicht immer hinreichend gelingt. So geriet die Bundeswehr 2010 wegen eines Angriffs auf entführte Tanklaster in die Kritik, bei dem viele afghanische Zivilisten starben. Hier könnte künftig KI helfen, Lagen besser einzuschätzen und militärische Ziele von zivilen zu unterscheiden.
Allerdings gibt es auch erhebliche Bedenken am Einsatz von KI im Gefecht. Kritiker fürchten, selbstgelenkte Raketen und Drohnen könnten zunehmend automatisiert die Entscheidung treffen, welche Ziele sie ansteuern. Solche Systeme sollen bereits marktreif und im Einsatz sein. Auch hier kombinieren Hersteller KI und Edge-Computing zu autonomen Systemen.
Der „Spiegel“ warnte kürzlich „vor fliegenden Killerrobotern, die außer Kontrolle geraten könnten, frei von Augenmaß, Mitleid und Tötungshemmung“. Einige Gründer in dem Bereich schließen daher Militäraufträge explizit aus – etwa die Drohnenentwickler von Wingcopter.

Die beiden Gründer wollen Software entwickeln, die Muster hinter den Daten aus Kameras, Wärmebildern, Radardaten und anderen Sensoren erkennt.
Scherf versucht, solcher Kritik zuvorzukommen und sie ins Positive zu drehen. „Wir brauchen derartige Fähigkeiten souverän in Europa, damit wir unsere Werte technologisch verankern können“, sagte Scherf. „Wir wollen KI nur einsetzen, um die Entscheidungen von Menschen zuverlässiger zu machen“, versprach er. Daher richte sich Helsing ausdrücklich an demokratische europäische Staaten und sei eine Alternative zu KI-Software aus dem Ausland. Eine europäische Lösung eröffne die Möglichkeit, eigene Standards für Ethik und Transparenz solcher KI zu setzen.
Als Kunden sehen die Gründer entweder die jeweiligen Armeen und Sicherheitsbehörden direkt oder Waffenhersteller, die die Software in ihre Systeme integrieren wollen. Es gebe dazu bereits Gespräche mit ersten Partnern. Helsing entwickelt die Technologie mit dem eingesammelten Risikokapital zunächst auf eigene Rechnung, also ohne offiziellen Auftrag oder Förderung. Die Gründer wollen so die Möglichkeiten der KI ausloten, ohne von einer Ausschreibung eingeschränkt zu sein.
Die Helsing-Gründer konzentrieren sich aber nicht nur auf die deutsche Bundeswehr, sondern wollen international vorgehen. Standorte etwa in Großbritannien und Frankreich sollen den Zugang zu den jeweiligen nationalen Behörden ermöglichen – unterstützt auch durch Berater etwa aus dem britischen Verteidigungswesen.
Helsing hatte bereits im Frühjahr 8,5 Millionen Euro Startkapital eingesammelt, unter anderem bei den Zalando-Gründern Robert Gentz und Rubin Ritter. Neben Eiks Deeptech-Fonds Prima Materia investieren die Altinvestoren in der aktuellen Runde weitere 2,5 Millionen Euro.
Vielfältiges Gründerteam
Die Brücke der Gründer zum neuen Großinvestor Ek ist Mitgründer Reil. Der studierte KI-Entwickler hatte zuvor in Großbritannien eine Spielefirma aufgebaut und 2014 für rund eine halbe Milliarde Euro an Zynga verkauft. Daher kennt er auch den in der Szene gut vernetzten Spotify-Gründer. Reil sagte, er sei schon länger mit dem Spotify-Gründer im Austausch. Beide stimmten darin überein, dass Europa eigene globale Spieler in Schlüsseltechnologien brauche. Gerade bei KI habe der Kontinent Nachholbedarf gegenüber den USA und China.
Ek habe er vom Investment vor allem mit den unterschiedlichen Hintergründen der Gründer überzeugen können, die das Spektrum an Talenten in Europa zeigten, betonte der 48-jährige Reil. So ist der Dritte im Gründerteam, der Physiker Niklas Köhler, auch beim Münchener Deep-Learning-Start-up Hellsicht aktiv, das an Lösungen für Industrie und Medizin arbeitet.
Als Technikchef fungiert Robert Fink, ein früherer Chefarchitekt beim US-KI-Anbieter Palantir, der ebenfalls Sicherheitsbehörden beliefert. Künftig wird Ek darauf drängen, dass er europäische Standards setzt.
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