Insight Innovation DAO: Wie dezentrale Unternehmen ohne Manager jetzt die Kryptowelt erobern

Laut Branchenplattform Coinmarketcap fallen allein auf die zehn größten Kryptowährungen und Token im DAO-Bereich über 30 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung, der Wert steigt kontinuierlich.
Köln, Frankfurt Wenn Nils Jonalik und Daniel Kremerov sich vom Programmieren entspannen wollen, gehen sie auf die Dachterrasse. An wenigen anderen Orten hat man einen besseren Blick auf den Kölner Dom. Viel Zeit verbringen die beiden Absolventen der RWTH Aachen und der Uni Maastricht nicht da draußen. Ihr Software-Start-up Sidestream arbeitet an einer Reihe von Projekten, etwa an Software für intelligente Sensoren für Maschinenbauer oder an innovativen Immobilienportalen. Seit Kurzem auch für MakerDAO.
DAO ist das neue Zauberwort in der Kryptowelt. Es steht für „dezentrale autonome Organisation“, ist ein digitales Unternehmen ohne Manager und mit einer schwer veränderbaren Geschäftsordnung. Mithilfe der dezentralen Datenbanktechnik Blockchain organisieren sich die Mitarbeiter über das Internet selbst, stimmen über die Zukunft des Projekts ab und vergeben Aufträge – so wie an Sidestream.
DAOs gewinnen an Bedeutung. Laut Branchenplattform Coinmarketcap fallen allein auf die zehn größten Kryptowährungen und Token im DAO-Bereich über 30 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung, der Wert steigt kontinuierlich.
Die Entwicklung bleibt in der traditionellen Finanzwelt nicht unbemerkt: So will die französische Großbank Société Générale bis zu 20 Millionen Dollar an virtuellen Bonds als Sicherheit für die DAO-Währung Dai bereitstellen. Beobachter der Branche nennen den Schritt schon jetzt historisch.
Ein Unternehmen, das niemandem gehört
DAOs werden durch Computerprogramme „codiert“. Das bedeutet, dass die Regeln, nach denen im Unternehmen entschieden wird, im Code festgeschrieben werden. Sollen sie geändert werden, bedarf es klarer Mehrheiten in der Gemeinschaft.
Das Ideal ist Dezentralität: Niemand entscheidet im Alleingang, die Organisation „gehört“ der Gemeinschaft, zwischengeschaltete Institutionen wie Banken oder Börsenmakler werden durch vorab festgeschriebene Bedingungen, gesichert in automatisch ablaufenden Verträgen, sogenannten Smart Contracts, ersetzt. Gezahlt wird mit Kryptowährungen.
Das MakerDAO-Projekt wurde 2015 von dem dänischen Entwickler Rune Christiansen gestartet, der das Maker-Protokoll auf der Ethereum-Blockchain mitaufbaute. „Wir fanden das Konzept von Maker von Anfang an spannend“, sagt Kremerov.
Den Kölner überzeugt die Währung von MakerDao, der Dai. Der ist eins zu eins an den Dollar gekoppelt und ist damit wertstabil, ein sogenannter Stable Coin. „Maker vermeidet die extremen Kursschwankungen des Bitcoins und macht die Währung so für jeden nutzbar, nicht nur für Spekulanten“, sagt der Sidestream-Gründer.
Das besondere an Dai: Um die Bindung an den Dollar sicherzustellen, setzt das Protokoll des Maker-Teams nicht auf die Deckung durch reale Dollar – wie es etwa beim Konkurrenten Tether der Fall sein soll. Letzteres setzt eine zentrale Stelle voraus, die die Dollar hält. Stattdessen läuft bei Maker alles dezentral ab, getreu der DAO-Idee. Dabei werden von den Dai-Nutzern andere Kryptowährungen als Sicherheit hinterlegt, gesteuert durch Smart Contracts.
Das Kölner Start-up Sidestream arbeitet dabei an einem Auktionssystem für virtuelle Münzen. Es funktioniert so: Verlieren die Kryptomünzen, die Dai-Halter hinterlegt haben, an Wert, müssen die Investoren nachschießen, um die Stabilität von Dai sicherzustellen. Geschieht das nicht, werden die Sicherheiten liquidiert, das heißt versteigert. „Im besten Fall braucht es unsere Lösung gar nicht“, sagt Sidestream-Gründer Kremerov.
MakerDAO bezahlt die Kölner in Euro. Möglich macht das eine Firma aus Mandaue City, Philippinen. Die dortige Finanzaufsicht erlaubt es, Konten für DAOs zu führen.
Man sieht: Krypto kommt in der realen Welt an. So gibt auch Michael Geike, Geschäftsführer der Berliner Advanced Blockchain AG, die Gehälter vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Dai aus. Geikes Programmierer arbeiten in über 20 Staaten, darunter Australien, Rumänien, Zypern und Portugal. Ihm erlauben DAOs, sich „global, über den ganzen Erdball“ zu organisieren.
Und das ist für Geike nur der Anfang. Er erhofft sich weitaus mehr: „In meiner perfekten Vorstellung vom Staat könnten alle Menschen über alles abstimmen. Sie könnten ihre Stimmen entweder selbst nutzen oder delegieren, an Experten oder Vertreter.“ Er nennt das Konzept der „liquiden Demokratie“: „Zurzeit wählen wir nur alle vier Jahre. Aber die Technologie hinter DAOs würden es ermöglichen, die Demokratie noch viel näher an die Menschen zu bringen.“
Die Vorstellung, dass die G20 eines Tages als DAO abstimmen kann? Für Geike keinesfalls utopisch. „Eines Tages werden alle unsere Governance-Systeme über DAOs laufen.“
Dai hat Marktkapitalisierung von knapp 6,5 Milliarden Dollar
MakerDAO wird von einer kleinen Gruppe gesteuert, den sogenannten Core- oder Kernteams. 16 Stück gibt es, in denen sich rund zehn bis vierzehn Mitstreiter versammeln. Um den Kern kümmern sich also weniger als 200 Menschen.
Zwei von ihnen sind der Belgier Wouter Kampmann aus Gent und der Argentinier Juan Guillen, der nach Stationen in Barcelona und Berlin heute in Portugal lebt. Kampmann war der Engineering-Chef der zwischenzeitlich bestehenden Maker-Foundation, heute leitet er eines der Core-Teams. Dort ist auch Guillen aktiv.
Nach einem schwierigen Start ist Dai heute ein Erfolg. Laut Daten des Analysehauses Coinmarketcap hat Dai aktuell eine Marktkapitalisierung von knapp 6,5 Milliarden Dollar. Und, was noch wichtiger ist: Ein Dai ist genau 1,00 Dollar wert, die Schwankungen im Kurs sind minimal. Und das alles auf dezentraler Basis.
„Wir haben den Basismechanismus aufgebaut“, sagt Kampmann. „Nun wollen wir die Höhe der Sicherheiten steigern und Dai einem Nutzen in der realen Welt zuführen.“ Damit legt der Entwickler den Finger in die Wunde. „Das Problem der Kryptowelt ist doch, dass sie in ihrer eigenen Blase existiert. Die Szene wird beherrscht von Spekulanten. Wir bei Maker glauben an einen realen Nutzen.“
Anwendung in der Wirklichkeit: Die könne laut Kampmann etwa darin liegen, Menschen in inflationsgeplagten Ländern eine sichere Form der Wertaufbewahrung zu bieten. Oder einfache Investments von jedem Ort dieses Planeten in Zukunftsbranchen zu ermöglichen. „Jeder kann mitmachen“, schwärmt der Belgier. „Jeder kann sich das Protokoll anschauen. Jeder kann in unseren Foren Vorschläge machen. Und unsere Team-Calls stellen wir bei Youtube ein. Wir sind vollständig transparent.“ Letztlich basiere der Erfolg nicht auf der Hoffnung auf Gewinnsteigerungen, sondern auf einem „realen Ertragsstrom“ – aufgrund des realen Nutzens.
„Ich werde von einem Stück Software auf der Blockchain bezahlt“, sagt Kampmann. Natürlich in Dai. Abgezweigt wird das von Gebühren, die die Investoren zu entrichten haben. Heute ernähre dieser „reale Ertragsstrom“ knapp 40 Einzelpersonen, sagt Guillen. Manche verdienten bis zu anderthalb Millionen Dollar im Jahr. Regelmäßig stimmt die DAO darüber ab, ob neue Teams aufgenommen werden – heißer Kandidat für die Zukunft: Sidestream aus Köln – oder ob sie das Projekt eben auch wieder verlassen müssen. Wobei Letzteres noch nie vorgekommen ist, wie der Argentinier zugibt.
So spannend die Idee der DAO klingt, noch sind viele Fragen ungeklärt, mahnt auch Katharina Gehra. Die Blockchain-Expertin vertreibt mit ihrer Firma Immutable Insight eigene Kryptoanlageprodukte – und kennt die Schattenseite der Szene.
MakerDAO sieht Gehra als eine Art „moderne Kommune“. „Wie so oft gibt es gleich und gleicher: Auch bei MakerDAO verdient eine ganz kleine Gruppe als Risikonehmer an der Sicherheit für viele.“ Durch Liquidationsgebühren und Stabilitätsgebühren würden Kapitalerträge generiert. Heißt: So basisdemokratisch und egalitär, wie sich der Ansatz in den Augen seiner Fans darstellt, ist die DAO-Idee nicht.
Auch bei DAO regiert das Geld
Ähnliches sagt Rune Christensen. Und seine Meinung hat Gewicht: Der 31-jährige Däne ist Co-Gründer von MakerDAO und war zwischenzeitlich Chef der Foundation. Inzwischen hat er sich von der Spitze des Projekts zurückgezogen. „Ich hatte das von Anfang an so geplant. Maker sollte sich selbst verwalten, wir wollten keine Stiftung, die auf Dauer Einfluss ausübt“, erklärt er.
Er glaubt bis heute an die Vision des dezentralen Finanzsystems, seine Chancen für Menschen in Schwellenländern ohne Bankkonten. Auch das Umfeld begeistert ihn: „Bei Maker arbeiten die klügsten Programmierer in der ganzen Branche, wirkliche Genies.“ Die Anfrage von Société Générale ist für ihn Beweis: „Die DAO funktioniert.“
Nur über eines macht sich der Gründer, der inzwischen wieder ins Team zurückgetreten ist, immer wieder Gedanken: „DAOs sind nicht demokratisch. Auch sie werden beherrscht von der mächtigen Natur des Kapitalismus.“ Ähnlich wie in der Welt regiere auch bei DAO das Geld. „Maker akzeptiert das. Wir müssen es so einrichten, dass das kapitalistische Eigeninteresse aller Mitglieder in die richtigen Bahnen gelenkt wird.“
Wie das am besten funktioniert, das ist laut Christensen noch nicht ausgemacht. Er plädiert für einen „Ein Mitglied, eine Stimme“-Ansatz. Dieser steht im krassen Gegensatz zum gerade in der Kryptowelt schwer gehypten „Proof of Stake“-‧Ansatz. Bei diesem entscheiden die Besitzer der meisten Münzen über die Zukunft eines Netzwerks.
Problematisch ist aber noch ein anderer Punkt: Noch entscheiden bei Maker die Core-Mitglieder, wer Teil der herrschenden Schicht wird und wer außen vor bleibt. Es zeigt sich: Wie in der analogen Welt läuft in Blockchain-basierten Konzepten nicht alles so dezentral und automatisiert ab.
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