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Analyse Die Politik-Debatte bei der Gamescom zeigt, wo Politikverdrossenheit herkommt

Auch zockende Politiker können junge Menschen nicht für Politik begeistern. Das Problem sind nicht die faulen Jugendlichen, sondern das träge System.
29.08.2020 - 19:02 Uhr Kommentieren
Bisher ist in der Gamesbranche nicht viel zu spüren von den Förderbemühungen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Quelle: dpa
Scheuer kündigt finale Phase für Games-Förderung an

Bisher ist in der Gamesbranche nicht viel zu spüren von den Förderbemühungen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).

(Foto: dpa)

Ein spitzes Zitat von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil über die politische Zuständigkeit des Verkehrsministeriums für Videospiele zeigt das Problem: „Mir ist recht egal wo es angesiedelt ist, Hauptsache es passiert.“ Die Games-Förderung für deutsche Entwickler lief vor einem Jahr an, eine Viertelmilliarde Euro steht bis 2023 zur Verfügung. Das könnte die Branche weit voranbringen, doch bei den Unternehmen ist bis heute kaum etwas angekommen.

Dabei wird die Förderung dringend gebraucht: Deutschland leidet unter einem riesigen Außenhandelsdefizit für das boomende Geschäftsfeld Videospiele, ist einer der größten Absatzmärkte, während der Marktanteil deutscher Entwicklungen sogar sinkt. Ein Milliardenmarkt mit potenziell tausenden Jobs, an dem der Standort Deutschland kaum teilhat. Ein Thema, was die Politik durchaus interessieren könnte. Verbunden mit den Fragen: Wie kann die Politik mit der jungen Gamer-Generation kommunizieren? Und 2020 mit der Leitfrage der Gamescom: Was vermögen Games in der digitalen Bildung zu leisten?

Im Rahmen des Gamescom Congress', der politischen Konferenz der weltgrößten Spielemesse, bekommen diese Themen eine Talkshow-Bühne. Sie nennt sich „Debatt(l)e Royale“, eine Anspielung auf einen Computerspielmodus, bei dem alle Teilnehmer gegeneinander antreten bis nur noch einer steht. Der Titel versprach also Feuer.

Doch die Debattenrunde zeigte am Freitagabend durch alle besprochenen Themengebiete hindurch, woran der Kampf gegen die Politikverdrossenheit junger Menschen permanent scheitert: der Festgefahrenheit eines politischen Systems, das zu lange braucht, um neue Impulse aufzunehmen. In einem dynamisch wachsenden Sektor wie der Games-Politik wird das besonders deutlich.

Zwar waren sich vom Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Jörg Schindler, bis Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, alle Parteien einig, dass die Coronakrise auch hier zu Verzögerungen geführt hat. Eine Antwort auf die Kritik aus der Branche, die Förderung sei zu bürokratisch und komme zu selten und zu spät an, konnte trotzdem keiner der Beteiligten auf der Bühne liefern.

Gamescom-Debatte: Die Politik sorgt selbst für die Verdrossenheit

Wenn die meisten Fragen nach konkreten Maßnahmen mit Zitaten aus Parteiprogrammen, der Enthaltung zur Wahrung der Parteilinie oder dem Zusatz „Da spreche ich jetzt aber nur für mich“ abgeschmettert werden, lernen Jugendliche daraus vor allem eins: Selbst diese jungen Spitzenpolitiker finden mit ihren fortschrittlicheren Positionen kein Gehör, also brauche ich es erst gar nicht versuchen. Resignation ist auch in der Politik kein aktivierendes Gefühl.

Nun hatte das Scheitern der Debatte als Zündflamme für einen breiteren Diskurs viele Gründe, längst nicht alle davon lagen bei den Politikern auf der Bühne. Zuerst sind da Fehler von Veranstalterseite: Der bekannte Youtuber Pietsmiet (Peter Smits) und die eSports-Moderatorin Phylicia Whitney (Flitzi) wissen einerseits genau, was die Gamer bewegt.

Doch sind beide offenbar nicht geübt darin, eine kritische Debatte anzuregen, einen Wettstreit der Positionen zu befeuern in dem deutlich wird, welche Partei wo steht. So beteten stattdessen fünf Parteivertreter ihre Positionen zu verschiedenen Themen herunter. Teils so isoliert, dass sie die Antworten auch zuhause vor der Webcam hätten einsprechen können.

Maßnahmen bleiben Mangelware

Viele der inhaltlichen Tiefpunkte des Abends beginnen mit einer hoffnungsvoll formulierten Frage. Bei der Digitalisierung der Schulen berichtet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil von einer Apple Modellschule, in der alle Schüler ihre Laptops und iPads im Unterricht nutzen und damit effizient lernen. Linken-Geschäftsführer Schindler fordert gleich eine Lehrmittelfreiheit für digitale Endgeräte – also Laptops für alle Schülerinnen und Schüler, ohne Bedarfsprüfung.

Doch Bildungspolitik ist Ländersache, das bundeseinheitlich zu beschließen sei kaum umsetzbar, schränkt Klingbeil ein. Auch das kann er nicht ändern. Bürokratie schlägt Fortschritt. CDU-Generalsekretär Ziemiak erklärt, dass es nicht nur Geräte, sondern auch Unterstützung zuhause brauche. Ein Beispiel für das, was das Internet „Whataboutismus“ nennt: Einfach ein anderes Problem einbeziehen, um zu kaschieren, dass man keine Lösung für das ursprüngliche hat.

Noch-FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg merkt an, dass sie eine bessere digitale Vorbereitung der Schul-Wiedereröffnung seit Beginn des „Lockdowns“ gefordert habe. Ein Konzept, wie genau das hätte passieren können, führt sie aber nicht aus.

Nach dem Muster geht es weiter: Warum werden Spiele nicht im Unterricht eingesetzt? Klingbeil wartet nach eigener Aussage auf einen Grundkonsens, dass Spiele beim Lernen helfen können, Ziemiak will erst einmal Konzepte entwickeln. Jörg Schindler von der Linkspartei bietet noch den konstruktivsten Ansatz: Er fordert Spiele, in denen die Schülerinnen und Schüler durch Zusammenarbeit Sozialkompetenzen entwickeln, statt gegeneinander anzutreten.

Auch im festgefahrenen Streit um die Gemeinnützigkeit der E-Sports, also dem gemeinsamen Zocken in Vereinen, gewinnen die Parteien wenig Sympathien bei interessierten, jungen Gamern. Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner streift das Kernproblem: Das Verkehrsministerium versuche zwar, Geld in Unternehmen zu pumpen, kümmert sich aber nicht um die soziale Seite – um Gaming als Kultur.

So kommt es auch, dass nun E-Sports-Vereine, die Sportsimulationen spielen, bald wohl die Gemeinnützigkeit beantragen können. Wenn der gleiche Verein nun aber auch eine Shooter- oder Strategiespielmannschaft hat, geht das plötzlich nicht mehr. Dabei erfreuen sich letztere als Wettbewerb weit größerer Beliebtheit, in den entsprechenden Profiligen werden die Spieler auch wie Profisportler trainiert und betreut.

Ein Widerspruch, den Ziemiak mit der „Beschlussfassung“ der Erneuerung des Gemeinnützigkeitsgesetzes abwehrt und den auch Lars Klingbeil nicht entkräften kann. Er habe zwar in seiner Partei versucht, hier entsprechenden Einfluss auszuüben, aber wenig erreicht. Erneut: Resignation.

Dann geht es in der „Debatt(l)e Royal“ noch um Hasskommentare im Netz, Rot-Rot-Grün fordert, dass die Politik hier tolerante Werte vorleben sollte und an die Selbstverantwortung der Gamesbranche appellieren, in ihren Werken mehr Anknüpfungspunkte gegen Hass zu bieten. Ziemiak von der CDU sieht darin Gängelung der Unternehmen und Linda Teuteberg von der FDP warnt davor, zu viel zu löschen, um die Debatte nicht zu beschneiden. Auch hier: viel Erwartbares.

Das Gaming-Problem zeigt das Politik-Problem

Einen großen Bogen macht die Debatte dagegen um andere für Gamer relevante Themen wie den sogenannten Lootboxen. Hier bezahlen Spieler echtes Geld, um innerhalb des Spiels Gegenstände zu bekommen – nach dem Zufallsprinzip. Wer also das eine bestimmte Outfit will, muss manchmal hunderte Lootboxen kaufen. Für viele eine Form von unreguliertem Glücksspiel ohne Geld-Gewinn.

Kellner wirft zwar die Idee auf, dafür eine eigene Kennzeichnung einzuführen – doch ein Verbot spricht niemand an. Dabei ist die Regulierung eine der größten Forderungen vieler Videospiel-Fans an die Politik. Nicht nur verschaffen sich dadurch Spieler mit mehr Geld Vorteile in manchen E-Sport-Spielen, in denen es eigentlich auf die eigene Leistung ankommen sollte.

Auch kommt ein großer Teil des Umsatzes von wenigen Nutzern, die es nicht lassen können, immer neue Lootboxen zu kaufen und Tausende Euro in ein Spiel stecken. Geld, das sie vielleicht gar nicht haben. Die Suchtgefahr ist greifbar.

Das Problem ist schwierig zu lösen, weil die Branche über zwei Drittel ihres Umsatzes mit Mikrotransaktionen erzielt, also kleinen Zahlungen in Shops, die innerhalb des Spiels liegen. Das sind zum großen Teil Lootboxen. Wer die Branche fördern will, kann ihr natürlich nicht gleichzeitig große Teile ihres Umsatzes nehmen.

Industrieförderung funktioniert nicht ohne Kulturförderung

Das fasst dann auch das Gesamtproblem zusammen: Die Politik kann erkennt die große wirtschaftliche Bedeutung von Videospielen und will die deutsche Industrie im internationalen Wettbewerb voranbringen.

Das ist lobenswert – wird isoliert aber nicht funktionieren. Denn Gaming ist nicht nur eine Unterhaltungsindustrie, sondern auch eine Form der Kultur, und nicht nur der Jugendkultur – mehr als ein Drittel aller Deutschen spielt. Solange die Gaming-Politik von fachfremden Politikern gemacht wird, wird es auch mit der Industrie nicht vorangehen.

Wie sollen die Probleme von Videospielen als Gesellschaftsphänomen gelöst werden, wenn sie zwar bei jeder Gewalttat als Auslöser verdächtigt werden – Menschen, die sich aufgrund aus dem Glücksspiel stammender Verkaufsmethoden in Spielen hoch verschulden, aber allein gelassen werden? Wie soll Gaming in der Mitte der Gesellschaft ankommen, wenn professionelle E-Sports-Teams zwar große Preisgelder einspielen, darunter aber keine Vereins-Basis entsteht, in der junge Menschen leistungsorientiertes Gaming erstmal als Hobby betreiben können?

Nur wenn endlich Menschen mit Videospiel-Kompetenz die Entscheidungen wirklich mitgestalten dürfen, kann es einen vorurteilsfreien Umgang mit dem Medium geben. Sie müssen flexibel und rasch vorgehen können, gute Ideen dürfen nicht immer an Bürokratie scheitern. Das Verkehrsministerium nennt etwa neun Wochen als Bearbeitungszeit von Förderanträgen – dass das ein Problem ist, wurde hier noch nicht als solches erkannt.

Mehr: Die virtuelle Gamescom läuft erfolgreich – auch wenn manch großer Branchenname fehlt.

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