Autoindustrie Lieferengpässe bei Chips verschärfen sich – Autobauer müssen Produktion drosseln

Auch der Sportwagenhersteller prüft, ob er aufgrund des Chipmangels die Produktion drosseln muss.
München, Stuttgart, Tokio, Düsseldorf Heute bestellt, morgen geliefert: Bei Amazon ist das ein üblicher Prozess. Nicht aber in der Halbleiterindustrie. Wer jetzt Chips ordert, muss im Schnitt vier Monate auf die Ware warten. Das sei außergewöhnlich lang und ein Anzeichen dafür, dass die Lieferengpässe der Branche noch zunähmen, sagen die Marktbeobachter der Susquehanna Financial Group, eines privaten, globalen Handels- und Technologieunternehmens.
Vor allem für Autohersteller wird die Lage immer bedrohlicher. In Dutzenden Fabriken stehen die Bänder still. Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: So prüft jetzt auch der Sportwagenhersteller Porsche, ob er die Produktion drosseln muss. „Wir können bei einzelnen Modellen nicht ausschließen, dass wir in nächster Zeit die Stückzahlen verringern“, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit.
Zunächst waren es die knappen Kapazitäten der Chiphersteller, die zu dem Engpass führten. Nun kommen neue Schwierigkeiten hinzu. „Die Folgen der Blockade des Suezkanals verschärfen die ohnehin schon angespannte Lage mit der Chipbelieferung zusätzlich“, heißt es beim Autozulieferer ZF. Das Containerschiff „Ever Given“ hatte sich Ende März quergestellt und blockierte den Kanal so über sechs Tage komplett. Es kam zu einem Stau von mehreren Hundert Frachtern.
Damit nicht genug: Ein Brand in einem Werk des japanischen Autochipspezialisten Renesas vor zwei Wochen wird die Versorgung monatelang beeinträchtigen. Der Schaden ist schwerer als zunächst vom Management angenommen. Statt elf sind 23 Maschinen beschädigt worden. Erst im Sommer dürfte die Fabrik wieder mit voller Kapazität laufen, erklärte Firmenchef Hidetoshi Shibata.
Waren in den vergangenen Monaten vor allem Autowerke in Europa und Amerika betroffen, so müssen nun auch Marken in Ostasien ihre Arbeiter in Zwangspause schicken. So etwa Hyundai in Südkorea, wo die Produktion im Werk in Ulsan seit diesem Mittwoch für eine Woche ruht. Betroffen sind das SUV-Modell Kona sowie das Elektroauto Ioniq 5.

Ein Feuer in einem Werk von Renesas im japanischen Hitachinaka bereitet den Kunden Sorgen. Die Chipproduktion wird erst im Sommer wieder vollständig laufen können.
Die japanischen Autobauer konnten sich für ihre einheimischen Werke bislang genügend Chips besorgen. Damit ist es inzwischen vorbei. Honda erwartet laut der Wirtschaftszeitung „Nikkei“ ab Ende April bei einigen Modellen einen Engpass.
Anfang der Woche kündigte Subaru an, die Produktion in Japan zu drosseln. Das Werk Yajima in der Präfektur Gunma, in dem unter anderem die Modelle Outback und Forester gebaut werden, wird ab Samstag den Betrieb einstellen. Eine Linie wird für 13 und die zweite für acht Arbeitstage stillgelegt.
Auch Weltmarktführer Toyota bereitet sich auf Produktionsengpässe vor. Der VW-Konkurrent ist einer der Hauptkunden von Renesas. Noch gibt sich der Konzern entspannt: „Derzeit befinden wir uns nicht in einer Situation, in der wir irgendwelche Anpassungen in unserem Betrieb vornehmen müssen“, teilte eine Sprecherin mit. Aber japanischen Medienberichten zufolge ist die Versorgung nur bis Juni 2021 gesichert.
Die Kapazitäten der Halbleiterbranche reichen schon seit vergangenem Sommer nicht mehr aus, um die weltweit stark steigende Nachfrage zu bedienen. Zudem verschärfen dieses Frühjahr Werksschließungen nach einem Wintereinbruch in Texas die Probleme. Samsung, NXP und Infineon mussten ihre Fabriken in dem US-Bundesstaat zeitweise herunterfahren.
Das hat schwerwiegende Folgen: „Nach derzeitigen Erkenntnissen gehen wir davon aus, dass wir aufgrund des Ereignisses den Bedarf unserer Kunden nicht vollumfänglich bedienen können“, sagte Infineon-Produktionsvorstand Jochen Hanebeck jüngst.
Infineon sieht keine Entspannung im nächsten halben Jahr
Der Branchenverband World Semiconductor Trade Statistics, kurz WSTS, geht trotz dieser Schwierigkeiten davon aus, dass der Umsatz der Chipbranche dieses Jahr weltweit um elf Prozent auf 488 Milliarden Dollar in die Höhe schießen wird. Vergangenes Jahr sind die Einnahmen der Branche um 6,8 Prozent auf 440 Milliarden Dollar geklettert.
Die Chiphersteller sehen für die nächste Zeit keine Entspannung. „Wir werden noch Monate mit dem Chipmangel in einigen Bereichen kämpfen“, sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss der „NZZ“. „Denn die Produktionskapazitäten bei den Auftragsfertigern bleiben eng. Je nachdem, wie sich diese neue Kapazitäten aufbauen, kann das von dieser Seite zwischen sechs Monaten und gut zwei Jahren dauern.“
Infineon ist der größte Autochiphersteller der Welt. Es folgen NXP aus den Niederlanden und Renesas. Einen Teil der Fertigung haben die Münchener, genau wie die Konkurrenz, an Auftragsfertiger wie TSMC, Samsung oder Globalfoundries ausgelagert. Diese sogenannten Foundries sind seit Monaten komplett ausgelastet. Daher kann Infineon nicht ausreichend Chips liefern.
„Das Angebot wird im ersten Halbjahr knapp bleiben“, sagte Renesas-Chef Shibata schon kurz bevor das Feuer in seiner Fabrik ausgebrochen war. „So wie die Dinge jetzt aussehen, wird sich die Situation auch in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen.“
Für die Autohersteller ist es deshalb schwierig zu planen. „Wir fahren auf Sicht. Die Situation ist volatil, es ist nicht möglich, eine Prognose zu machen“, teilte der Stuttgarter Autohersteller Daimler auf Anfrage mit. Der Chipmangel habe im ersten Quartal dafür gesorgt, dass der Konzern weniger ausliefern konnte als erhofft. Auch im laufenden zweiten Quartal bremse der Engpass bei den Bauteilen die Produktion.
Inzwischen sind nicht mehr nur Pkws und Kleinlaster des Dax-Konzerns betroffen. „Darüber hinaus beeinflusst der Halbleiterengpass die Lieferkette von Trucks und Bussen“, sagte Vorstandschef Ola Källenius vergangene Woche. Die Schwaben gehen eigenen Angaben zufolge allerdings davon aus, dass sie die Ausfälle im Jahresverlauf wieder aufholen können.
Die Unternehmensberatung Alix Partners schätzt unterdessen, dass den Automarken wegen des Chipmangels dieses Jahr 61 Milliarden Dollar Umsatz entgehen könnten. Die Autobauer in den USA warnen, dass sie wegen der Engpässe 1,3 Millionen Fahrzeuge nicht werden produzieren können. Das entspricht rund neun Prozent der gesamten Verkäufe 2020.
General Motors kündigte am Donnerstag an, mehrere Werke noch über Wochen drosseln zu müssen. Die Kurzarbeit in einem Werk in Kanada und im Werk Fairfax in Kansas werde bis Mitte Mai verlängert. Auch andere Fabriken fahren erst in mehreren Wochen wieder hoch. GM erklärte, das Unternehmen arbeite weiterhin eng mit den Zulieferern zusammen, um die Auswirkungen des Engpasses so gering zu halten.
Der US-Konzern konzentriert sich nach eigenen Angaben derzeit darauf, die besonders gefragten Modelle bevorzugt zu bauen, wie große Pick-up-Trucks oder Geländewagen. Entsprechend werden die Werke heruntergefahren, in denen etwa Limousinen oder Mittelklasseautos gebaut werden.
In Deutschland sagte VW-Chef Herbert Diess sagte unlängst, bislang habe der Konzern rund 100.000 Wagen nicht gefertigt, weil die elektronischen Bauteile gefehlt hätten. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr liefen 8,9 Millionen Autos bei den Wolfsburgern vom Band.
Der schwedische Nutzfahrzeughersteller Volvo hat unlängst ebenfalls angekündigt, im zweiten Quartal immer wieder seine Fabriken zu schließen. Weil die Halbleiter fehlten, würden die Lastwagenwerke wohl insgesamt zwei bis vier Wochen ruhen. Der Mangel werde sich auch im Unternehmensergebnis niederschlagen.
Die Autohersteller improvisieren
Die Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer müssen in diesen Tagen daher improvisieren. Hohe Flexibilität sei angesagt, betonte ein Sprecher von ZF; unter anderem durch das Ausweichen vom wichtigen Hafen in Rotterdam auf Alternativen wie Antwerpen. Momentan sei ZF jedenfalls lieferfähig.
Konkurrent Bosch teilte mit, er stehe in täglichem Austausch mit Kunden und den eigenen Zulieferern, um „die Belieferung seiner Kunden trotz weiter angespannter Lage am Markt möglichst aufrechtzuerhalten“.
Der Autozulieferer Continental beruft sich derweil auf höhere Gewalt, wie die „Wirtschaftswoche“ berichtet. Der Dax-Konzern sehe sich wegen der Naturkatastrophen in Japan und den USA gezwungen, die entsprechende Klausel zu ziehen. Der Vorteil für die Hannoveraner:
Im Falle von höherer Gewalt kann sich das börsennotierte Unternehmen gegen mögliche Schadensersatzforderungen von Autobauern wappnen. Bereits im Januar wurde bekannt, dass Volkswagen offenbar derartige Ansprüche gegen Bosch und Continental prüft.
In der Autobranche wird schon seit Wochen mit den Chips jongliert. In der Regel werden die großen und teuren Fahrzeuge mit den höchsten Margen bevorzugt mit den Halbleitern bestückt. Das geht auf Kosten der Massenmodelle. Wenn also selbst bei einer Luxusmarke wie Porsche die Bänder bald stillstehen, dann zeigt das, wie ernst die Lage ist.
Mehr: Glänzende Aussichten für Chipausrüster – Halbleiterkonzerne investieren Milliardensummen.
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Gut, dass die VW-Aktie seit März um 50% gestiegen ist,...wo sollte man sonst Short gehen?
Das sinnfreie Rudelgekaufe aufgrund einmaliger Erfolgsmeldungen ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände wird dem ein oder anderen noch ein blaues Auge hauen.