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Autonomes Fahren Start-up Vay: 84 Millionen Euro für ferngesteuerte Autos im Straßenverkehr

Das Berliner Start-up Vay will ab 2022 Leihwagen per Fernsteuerung zu den Kunden bringen. Neue Investoren sollen den Start des Geschäfts erleichtern.
14.12.2021 - 09:01 Uhr Kommentieren
Sie haben Vay 2019 gegründet und inzwischen etwa 112 Millionen Euro für ihr Start-up eingesammelt. Quelle: Friederike Reuter (Vay Technology)
Fabrizio Scelsi, Thomas von der Ohe, Bogdan Djukic

Sie haben Vay 2019 gegründet und inzwischen etwa 112 Millionen Euro für ihr Start-up eingesammelt.

(Foto: Friederike Reuter (Vay Technology))

Düsseldorf Mit ferngesteuerten Autos, die sich durch den Stadtverkehr bewegen, will das Berliner Start-up Vay eine völlig neue Art des Taxis erfinden. Dafür hat das Unternehmen neue Investoren gefunden und eine zweite große Finanzierungsrunde über 84 Millionen Euro abgeschlossen. Das Gesamtinvestment in die Firma beläuft sich nun auf 128 Millionen Euro. Vay ist damit das bestfinanzierte Unternehmen Europas im Segment des autonomen Fahrens.

„Was wir vorhaben, ist extrem ambitioniert, und dafür brauchen wir Investoren mit tiefen Finanzierungstaschen“, sagt der Chef und Mitgründer Thomas von der Ohe.

Schon im kommenden Jahr will Vay seine erste Flotte ferngesteuerter, elektrischer Fahrzeuge kommerziell betreiben. Losgehen soll es im Hamburger Bezirk Bergedorf. Tests laufen bereits seit mehr als zwei Jahren.

Die Geschäftsidee ist eine Mischung aus Taxidienst und Leihwagenangebot. Nachdem ein sogenannter Telefahrer das Auto aus der Ferne zum Kunden gesteuert hat, muss dieser selbst am Steuer Platz nehmen und das Auto durch den Straßenverkehr lenken.

Die Telefahrer sehen durch Kameras am Auto das Umfeld des Wagens in 360-Grad-Perspektive, erhalten Informationen über die Geschwindigkeit und Fahrbahnbeschaffenheit und können das Auto so aus ihrer Steuerkabine lenken, ohne direkt am Steuer zu sitzen.

„Die Finanzierungrunde ermöglicht uns, die Technologie weiterzuentwickeln“, sagt von der Ohe. Mittelfristig wolle die Firma „Tausende von elektrischen Fahrzeugen in verschiedensten Städten auf die Straße bringen“.

Fernsteuerung soll nur der Anfang sein: Schrittweise zum autonomen Fahren

Denkbar sei auch, die Fahrzeuge mit immer mehr autonomen Funktionen auszustatten. So könnte sich die Firma dem vollautonomen Fahren nähern, was in Fachkreisen als Level 5 bezeichnet wird.

Entsprechend hat sich Vay finanzstarke Geldgeber dazu geholt: die schwedische Investmentgesellschaft Kinnevik, die in New York gegründete, technologiefokussierte Investmentgesellschaft Coatue und das französische Beteiligungsunternehmen Eurazeo steigen in der aktuellen Finanzierungsrunde ein.

Das Investoreninteresse am Gründerteam und ihrer Vision ist groß: Thomas von der Ohe hat Vay 2018 zusammen mit Hardwarechef Fabrizio Scelsi und Softwarechef Bogdan Djukic gegründet.

Einerseits betonen sie, den führenden und teils milliardenfinanzierten Firmen im autonomen Fahren aus den USA und China einen anderen und europäischen Ansatz entgegensetzen zu wollen. Andererseits will Ohe einen „positiven Impact“ auf die Gesellschaft haben. Ziel sei es, die vergleichsweise umweltfreundlichen Elektroautos von Vay deutlich stärker auszulasten als Privatfahrzeuge und das Unfallrisiko zu minimieren.

Zoox, BMW, Microsoft: Gründer bringen viel Erfahrung mit

Die Gründer bringen relevante Erfahrungen mit. Informatiker von der Ohe war technischer Programm-Manager bei Zoox, einer der führenden Silicon-Valley-Firmen im autonomen Fahren.

Fahrzeugingenieur Scelsi hat die Entwicklungsabteilung von P3 in San Francisco geleitet, das an selbstfahrenden Shuttles arbeitet, und für Audi und BMW Projekte zum autonomen Fahren durchgeführt. Djukic war Teamleiter bei Microsoft und Senior-Softwareingenieur beim Messagingdienst Skype.

Jeannette zu Fürstenberg und ihr Family-Office La Famiglia sowie Robert Lacher vom Frühphaseninvestor Visionaries Club haben schon in Vay investiert, bevor die Probefahrten der Berliner öffentlich bekannt wurden.

„Nach Experteneinschätzungen dauert es voraussichtlich weitere zehn bis 20 Jahre, bis Pkws auch im unübersichtlichen und schnelllebigen innerstädtischen Verkehr vollautonom fahren können“, sagt zu Fürstenberg. Die pragmatische Lösung von Vay funktioniere schon in der Übergangszeit.

Die Fahrer von Vay können an drei Bildschirmen mit 360-Grad-Perspektive das komplette Umfeld des Autos sehen – und steuern per Lenkrad und Gaspedal aus der Ferne. Quelle: Friederike Reuter (Vay Technology)
Telefahrerin

Die Fahrer von Vay können an drei Bildschirmen mit 360-Grad-Perspektive das komplette Umfeld des Autos sehen – und steuern per Lenkrad und Gaspedal aus der Ferne.

(Foto: Friederike Reuter (Vay Technology))

Auch Robert Lacher glaubt, dass Vay darüber hinaus eine Rolle spielen kann: „Wir glauben an eine schrittweise Entwicklung zum vollautonomen Fahren, bei dem Telefahren die Schlüsseltechnologie als bereits funktionierender Einstieg darstellt“, sagt er.

Für Lacher ist auch die Standortfrage relevant: „Der Ansatz von Vay ist unsere Chance, beim autonomen Fahren wieder vorn mitzuspielen – mit einem konträren Ansatz zu den Modellen aus den USA und Asien.“

Auch die deutschen Autokonzerne versuchen, sich schrittweise dem vollautonomen Fahren zu nähern. Als erster Fahrzeughersteller hatte zuletzt Mercedes vom Kraftfahrt-Bundesamt eine „Systemgenehmigung“ für hochautomatisiertes Fahren erhalten. Er darf bei der S-Klasse nun einen technischen Piloten anbieten. Der Fahrer kann sich phasenweise gänzlich vom Verkehrsgeschehen abwenden.

Experte äußert Zweifel am angestrebten Geschäftsmodell

Weil es sich bei Vay um ein echtes Deeptech-Start-up handelt, also eine Firma, die an komplexen ingenieurtechnischen Problemen arbeitet, ist die Euphorie besonders groß. Doch zur noch größeren Herausforderung könnte die Umsetzung der Technologie in ein tragfähiges Geschäftsmodell werden.

Lennart Dobravsky hat Zweifel, dass Vay langfristig erfolgreich sein kann. Als Forschungsleiter am Lufthansa Innovation Hub untersucht er Entwicklungen im Reise- und Mobilitätssektor.

Ein ferngesteuerter Taxidienst rechne sich, wenn Vay im Vergleich zu Konkurrenten wie Free Now, Uber und Carsharing-Diensten entweder eine bessere Kundenerfahrung biete, die höhere Preise rechtfertige. Oder wenn die Firma durch höhere Auslastung Fahrten zu geringeren Kosten anbieten könne. Beides halte er für kritisch.

„Abgesehen vom aufregenden Moment der scheinbar autonomen Abholung ist die tatsächliche Beförderung nicht anders als in einem aktuellen Carsharing-Angebot“, sagt Dobravsky. „Die nicht notwendige Parkplatzsuche sollte nicht unterschätzt werden, aber dass Kunden dafür allein dauerhaft tiefer in die Tasche greifen, halte ich für unrealistisch.“

Weitere Anwendungsszenarien in der Industrie denkbar

Zudem sei die Versorgung mit Fahrdiensten zumindest in den Metropolen bereits so gut, dass geringere Wartezeiten für Kunden kaum realisierbar seien – insbesondere bei einer dünneren Fahrzeugflotte, wie Vay sie anfangs haben wird.

Durch den effizienten Einsatz von Fahrern könnte Vay Kostenvorteile haben: Die Telefahrer von Vay können schließlich während der Standzeiten und der Fahrtzeiten der Kunden andere Autos aus der Flotte zum nächsten Kunden bringen. Doch selbst Carsharing-Dienste gänzlich ohne Fahrer hätten Probleme, profitabel zu wirtschaften, sagt Lennart Dobravsky.

Potenzial sehe er aber in weiteren Anwendungsszenarien, etwa beim Betrieb von Kränen und anderen Maschinen auf dem Bau. „Hier sehen wir grundsätzlich extremes Automatisierungspotenzial“, sagt Dobravsky. Das sei zwar Zukunftsmusik, lasse den adressierbaren Markt jedoch „ins quasi Unendliche hochprojizieren“. Das Münchener Start-up Fernride arbeitet schon an einer Lösung für Lkws.

Von der Ohe und seine Mitgründer glauben aber fest an den Endverbraucherservice. Und Investorin zu Fürstenberg betont, insbesondere Regierungen und Verwaltungen würden den Nutzen von Vays Lösung erkennen. Sie könne in öffentliche Verkehrssysteme integriert werden.

Die Investorin sagt über Vay: „Langfristig kann das Unternehmen seinen Daten- und Erfahrungsschatz nutzen, um auch im Bereich des vollautonomen Fahrens zu einem Branchenführer zu werden.“ Quelle: Nik Hunger für Handelsblatt
Jeannette zu Fürstenberg

Die Investorin sagt über Vay: „Langfristig kann das Unternehmen seinen Daten- und Erfahrungsschatz nutzen, um auch im Bereich des vollautonomen Fahrens zu einem Branchenführer zu werden.“

(Foto: Nik Hunger für Handelsblatt)

In Hamburg wird Vay voraussichtlich mit einer niedrigen zweistelligen Zahl von Fahrzeugen starten. Interessierte können sich als Testkunden voranmelden – auch schon in anderen Städten.

Im nächsten Schritt will die Firma mithilfe des frischen Kapitals die Belegschaft verdreifachen. Aktuell beschäftig Vay 70 Mitarbeiter. Für die Schulung neuer Telefahrer inklusive Praxis- und Theorietests setzt das Start-up knapp zwei Wochen an.

Mehr: Podcast mit Vay-Gründer Thomas von der Ohe: „Riesenvorteil, wenn man den Fahrer vom Fahrzeug trennt“

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