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Bildung US-Konzerne gegen deutsche Anbieter: Wettstreit um Digitalisierung der Schulen

Onlinedienste könnten den Bildungsnotstand während der Corona-Pandemie beheben. Deutsche Anbieter stehen parat, konkurrieren aber mit Schwergewichten wie Google und Microsoft.
06.06.2020 - 08:11 Uhr Kommentieren
Schüler arbeiten in einem Klassenraum einer Grundschule an Computern. Quelle: dpa
Digitalisierung in der Schule

Schüler arbeiten in einem Klassenraum einer Grundschule an Computern.

(Foto: dpa)

Düsseldorf, San Francisco Die Schule hat wieder geöffnet, doch Alltag herrscht noch längst nicht. Am St.-Josef-Gymnasium im thüringischen Dingelstädt kommen die Abiturienten und Schüler der zehnten Klasse seit Mitte April wieder zum Unterricht, mittlerweile auch die anderen Jahrgänge. Allerdings dürfen in den Räumen höchstens zehn Schüler sitzen, auf den Fluren herrscht eine Einbahnstraßenregelung und außerhalb des Gebäudes sind Masken verpflichtend.

Das dürfte sich auf absehbare Zeit kaum ändern: Eine grundsätzliche Lockerung der Abstandsregeln, die die Ausbreitung des Coronavirus verhindern sollen, ist nicht in Sicht. „Es wird in diesem Schuljahr keinen normalen Unterricht mehr geben“, sagt Schulleiter Peter Krippendorf. Ob Kurvendiskussion oder Shakespeare-Interpretation: Das häusliche Lernen bleibt wichtig, auch bis ins neue Schuljahr hinein.

Lernstoff auslassen muss das Gymnasium im Norden Thüringens deswegen nicht: Schüler ab der achten Klasse arbeiten seit einigen Jahren mit Tablets, seit einigen Wochen kommt zudem die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) zum Einsatz. Auf der Plattform erledigen die Kinder zum Beispiel ihre Hausaufgaben, auch die Korrekturen erhalten sie dort. „Durch das digitale Lernen bin ich mit meinem Lehrplan fast da, wo ich sonst auch wäre“, sagt Mathematiklehrer Krippendorf.

Corona-Pandemie legt Versäumnisse offen

Aber viele Schulen in Deutschland sind nicht so weit. Seit Jahren wird um eine dringend benötigte Digitalisierung des Bildungswesens gerungen. Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Druck so groß wie nie – so mancher hofft auf einen Innovationsschub. Die Realität sieht jedoch anders aus.

Aus nahezu allen Bundesländern gibt es Berichte von Schulen, in denen Lehrer einfach Seiten aus Schulbüchern kopieren und per Post zu den Schülern schicken. Die Eltern sollen sich dann darum kümmern, dass der Nachwuchs den Stoff nacharbeitet. Digitalisierung? Fehlanzeige.

Gleichzeitig versuchen Dutzende Projekte schnelle Lösungen bereitzustellen. Da ist beispielsweise das HPI, das mit Unterstützung der Bundesregierung eine Plattform entwickelt hat, aber jüngst mit Datenschutzproblemen auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Firma Nextcloud aus Stuttgart bietet eine Plattform für die digitale Kommunikation. Einige Bundesländer programmieren zudem eigene Plattformen.

Doch anstatt eines rasanten Wachstums deutscher und europäischer Lösungen sind es oft gerade die US-Technologiekonzerne, die mit Kraft in den Bildungsbereich drängen. Microsoft bietet viele Lösungen für Schulen zumindest zwischenzeitig kostenlos an. Google hat seinen Dienst Classroom ausgeweitet und konnte beispielsweise in Italien während des Lockdown große Zuwachsraten erzielen.

Nextcloud-Gründer Frank Karlitschek ist enttäuscht. Seine Firma hatte sich zusammen mit dem Cloud-Anbieter Ionos beworben, alle Schulen in Bayern mit einer Lernplattform auszustatten. „Wir haben ein Demosystem zur Verfügung gestellt, das getestet wurde“, sagte Karlitschek. Seine Plattform biete nahezu die gleiche Leistung wie Microsoft. Der Quellcode der Software sei frei verfügbar. Die Schulen behielten die volle Kontrolle über alle Daten. Für die deutschen Unternehmen ging es um ein Vorzeigeprojekt. Entsprechend weit gingen sie mit dem Preis nach unten. „Es wurden sehr günstige Preise kommuniziert“, sagte Karlitschek.

Das alles scheint am Ende nicht gereicht zu haben. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus kündigte an, künftig Microsoft Teams für alle weiterführenden Schulen im Land anzubieten. „Dem vom Staatsministerium bereitgestellten Angebot liegt ein datensparsames Konfigurations-Setting von Teams zugrunde“, teilte die Behörde mit. Was das genau umfasst, ließ das Amt offen.

Streit um Funktionsumfang

Ein häufiges Argument für US-Lösungen und gegen europäische Konkurrenzprodukte ist die Einrichtung und Leistungsfähigkeit. Ein Dienst wie Nextcloud oder die Schul-Cloud von HPI muss erst konfiguriert werden. Sie bieten dadurch eine größere Kontrolle über Daten, erfordern jedoch auch mehr Fachwissen aufseiten der Behörden und teilweise auch Schulen – Fachwissen, das teilweise fehlt.

Microsoft, Google und andere internationale IT-Konzerne bieten fertige Lösungen an. Kein Server muss konfiguriert werden. Die Technik läuft. Die US-Firmen kümmern sich um die Infrastruktur. Schulen müssen lediglich Accounts für Lehrer und Schüler anlegen. Ruckeln Videos beim Livestream des Unterrichts per Nextcloud, reicht die Rechenleistung der Schule nicht aus und sie muss nachrüsten. Bei einem Technologiegiganten wie Microsoft oder Google, die über Serverfarmen mit Hochleistungsrechnern verfügen, kann das nicht so schnell passieren.

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Das kommt offenbar bei Bildungseinrichtungen in vielen Ländern gut an. Neben Microsoft wirbt auch Google aktiv um Kunden in Europa. Als Italien während der Corona-Pandemie die Schulen schloss, wurden in kürzester Zeit rund eine Million Accounts eingerichtet. „So etwas haben wir noch nie gemacht“, sagte Avni Shah, Vice-President Google for Education in Mountain View. Google wahre strenge Datenschutzstandards, erklärt Shah. Alle Daten gehörten Schülern und den Schulen. Google hat bei allen Diensten für Schulen Verbindungen zu Werbe-Servern, Werbeanalytik oder Datensammlung gekappt.

Konkurrenz aus Deutschland bietet spezialisierte Lösungen

Die Lösungen aus der Bundesrepublik verbessern jedoch auch ihr Angebot. Die öffentlich wohl bekannteste Plattform ist die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts (HPI). Die Forschungseinrichtung begann 2016 mit finanzieller Förderung der Bundesregierung, eine digitale Infrastruktur für Schulen zu entwickeln – der Digitalpakt zwischen Bund und Ländern sah neben der Vernetzung der Schulen den Aufbau einer digitalen Lernumgebung vor. Den Quellcode stellt das Institut nach dem Open-Source-Prinzip kostenlos zur Verfügung.

In Pilotprojekten begannen zunächst Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen mit der Einführung. Im Zuge der Coronakrise öffnete das HPI die Plattform für alle Schulen, weitere 3000 Institutionen haben sich seither angemeldet. „Bei Schulschließungen und Schichtbetrieb sind digitale Mittel naheliegend“, sagt Christoph Meinel, Professor für Informatik und Direktor des HPI. „Wenn jeder Lehrer eigene Werkzeuge nutzt, überfordert das Schüler und Eltern.“

Meinel wirbt damit, dass die Schul-Cloud alles für die Abwicklung des Schulalltags aus einer Hand anbietet: Angefangen bei der Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern, über eine Arbeitsumgebung beispielsweise für Hausaufgaben und Referate bis zu Hilfen bei der Recherche von Lerninhalten fürs Lehrpersonal. Auch ist die Nutzung von Lernsoftware aus dem Internet mit Pseudonym ist möglich, also ohne Herausgabe personenbezogener Daten. „Da sehe ich keine andere so offene Entwicklung in Deutschland, die das bietet“, sagt Meinel.

Allerdings ist das Projekt zuletzt in die Kritik geraten: Aufgrund eines Fehlers war es möglich, dass sich Externe Zugriff auf die Daten von Schülern verschaffen konnten. Die Probleme wurden kurzfristig behoben.

Dingelstädt profitiert von langer Vorarbeit

Das Gymnasium in Dingelstädt gehört zu den Vorreitern bei der Schul-Cloud. Das System wurde schon kurz vor der Coronakrise eingeführt. Die Schule nimmt an einem Pilotprojekt des Landes Thüringen teil. Der Landkreis Eichsfeld sorgte für die nötige WLAN-Verbindung im ganzen Gebäude.

Davon profitiert das Gymnasium in der Coronakrise. „Es ist schwierig, den Eltern, Schülern und Lehrern das digitale Lernen beizubringen, ohne dass man vor Ort ist“, weiß Krippendorf. Es gelte, die Software einzurichten, das Einverständnis der Eltern einzuholen, das Personal zu schulen.

Die Schulen, in denen der Fernunterricht über das Internet derzeit gut funktioniert, sind diejenigen, die schon vorher digital unterrichtet haben: wo Schüler mit funktionsfähigen Geräten ausgestattet sind, Kinder zu Hause unterstützt werden und eine Breitbandverbindung haben, wo Lehrer mit der Technik umgehen können, es einen Schulverantwortlichen für die Technik gibt und das Lehrkonzept genau auf die jeweiligen Voraussetzungen abgestimmt ist.

Dieses Gesamtpaket kann kein Anbieter liefern. Und es lässt sich auch nicht nach einem Standardschema an einer Schule einführen und dann an allen anderen auf die gleiche Weise ausrollen. „Der digitale Unterricht funktioniert nur, wenn die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler intakt ist“, sagt auch Krippendorf. „Es geht darum, die Qualität des Unterrichts zu erhöhen – und das muss methodisch und didaktisch gut gemacht sein.“ Und ganz ohne Präsenz gehe es auch in Dingelstädt nicht.

Mehr: Lange haben sich die Schulen schwergetan bei der Digitalisierung. Es fehlte an Ausstattung, Personal und Überzeugung. Jetzt muss es trotzdem gehen.

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