Bret Taylor im Interview So will der neue Co-Chef von Salesforce SAP abhängen und Microsoft angreifen

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Frankfurt Im Sommer 2016 holte sich Salesforce-Gründer Marc Benioff seinen Kronprinzen ins Haus. Für 412 Millionen Euro kaufte der Cloud-Spezialist das Start-up Quip. Das entwickelte eine Textverarbeitung für mobile Geräte – und hatte mit Bret Taylor einen vielversprechenden Gründer. „Er ist einer der absolut aufstrebenden Stars unserer Branche“, sagte Benioff damals. Es sei ein „Traum“, enger mit ihm zusammenzuarbeiten.
Künftig werden die beiden das sogar an der Spitze des Unternehmens machen. Salesforce kündigte am Dienstagabend an, dass Bret Taylor, bislang als Chief Operating Officer und Präsident die Nummer zwei, mit sofortiger Wirkung neben Marc Benioff Co-Chef wird.
So soll Taylor, der schon jetzt die Produktinnovationen verantwortet, den Markt von Salesforce weiter ausbauen. Der Konzern ist Marktführer bei Software für Vertrieb und Marketing, CRM genannt, und damit ein wichtiger Konkurrent von SAP – hat aber deutlich größere Ambitionen, wie Taylor kurz vor seiner Ernennung im Interview mit dem Handelsblatt erläuterte: „Wir erweitern die Definition von CRM, um zukünftige Technologietrends zu berücksichtigen.“
Mit einem Portfolio, das von der Analyse von Geschäftsdaten bis zur Kommunikation reicht, bewegt sich der Softwarehersteller in Märkte, wo Microsoft, Oracle und SAP aktiv sind. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Messenger-Dienst Slack, den Salesforce vor einem Jahr übernommen hat.
Die Erwartungen sind hoch, wie die Reaktion auf die Quartalszahlen zeigte, die Salesforce gleichzeitig mit der Beförderung am Dienstag öffentlich machte. Der Softwarehersteller konnte zwar den Umsatz um 27 Prozent auf 6,86 Milliarden Dollar steigern, auch dank Slack. Die Prognose für die nächsten Monate enttäuschte die Aktionäre aber, trotz eines avisierten Plus von 24 Prozent: Der Kurs fiel um sechs Prozent.
Benioff ist ein begnadeter Verkäufer, mit Taylor holt er nun einen Produktvisionär an seine Seite. Der Softwareentwickler war an mehreren Projekten beteiligt, die im Silicon Valley Legendenstatus haben: Nach dem Studium in Stanford erfand er bei Google den Kartendienst mit. Dann gründete er mit Freunden das soziale Netzwerk Friendfeed, das später von Facebook übernommen wurde – inklusive des „Gefällt mir“-Knopfs. Und bei Quip entwickelte er ein Produkt, das frischer wirkte als Microsoft Office und Google Docs.
Die Vision vom digitalen Hauptquartier
Unter dem Dach von Salesforce hatte Quip nicht den erwarteten Erfolg, wohl auch, weil die Integration ins Portfolio nur bedingt gelang. Doch Taylor bewährte sich und stieg schnell in die Führung des Konzerns auf. Nun, mit 41, prägt er bei einem der größten Softwarehersteller der Welt die Strategie.
Das sichtbarste Zeichen dafür ist die Übernahme von Slack für 28 Milliarden Dollar, an der er maßgeblich beteiligt war: Das Management will mit dem Kommunikationsdienst ein „digitales Hauptquartier“ für Unternehmen entwickeln, das die dezentrale Kollaboration ermöglicht – auch nach der Coronazeit.
„Viele der Veränderungen, die die Pandemie mit sich gebracht hat, werden dauerhaft – wir haben gelernt, digital zu arbeiten“, erklärt der Manager im Interview, der selbst oft zu Hause sein Notebook aufklappt, warum Salesforce auf den Trend zum Homeoffice setzt. Das gilt auch für den Konzern selbst: Im repräsentativen Salesforce Tower, dem höchsten Gebäude in San Francisco, ist die Auslastung mittlerweile gering.

Der Manager ist für die „Produktvision“ von Salesforce verantwortlich, und damit auch für das „digitale Hauptquartier“.
In einer Welt, in der Mitarbeiter nicht spontan bei Kollegen im Büro vorbeischauen können, will Salesforce die Infrastruktur für den Austausch schaffen. Dafür kombiniert der Softwarehersteller Slack mit dem eigenen Portfolio und bietet zudem die Integration zu Produkten anderer Hersteller an, darunter die der Konkurrenten Microsoft und SAP – die Kommunikationsplattform soll zur Benutzeroberfläche fürs Unternehmen werden.
Ein Beispiel: Vertriebler können seit Kurzem in Chats direkt auf Kundeninformationen zugreifen, gemeinsam über Verkaufschancen diskutieren und mit einfachen Kommandos eine Grafik zur Umsatzentwicklung von der Visualisierungsplattform Tableau aufrufen, die seit 2019 zum Konzern gehört. Über die Funktion „Connect“ können sie zudem mit den Kunden selbst kommunizieren.
Der Markt ist attraktiv. Der Umsatz mit Kollaborationssoftware stieg im vergangenen Jahr nach Einschätzung des Marktforschers IDC um 33 Prozent auf rund 23 Milliarden Dollar. Mit einem Mal seien diese Lösungen für alle Unternehmen relevant geworden, große wie kleine, heißt es in einem aktuellen Report. Nach Ansicht der Analysten ist das kein Einmaleffekt: Bis 2025 erwarten sie eine Verdopplung des Geschäfts auf 51 Milliarden Dollar.
Zweiter Frühling für ein altes Geschäft
Das neue Konzept soll Slack von einem Spielzeug der Nerds zu einem Werkzeug für die gesamte Organisation machen – und so auch die Bedeutung von Salesforce steigern. In Gesprächen mit Führungskräften aus Unternehmen sei das digitale Hauptquartier häufig ein Thema, und zwar in verschiedenen Branchen, sagt Taylor. „Dies ist eine großartige Gelegenheit für Wachstum – das war ein wichtiger Teil unserer Gespräche mit unseren Aktionären, als wir den Deal abgeschlossen haben.“ Allerdings will auch Microsoft seine Plattform Teams als Standard für die digitale Kommunikation etablieren.
Marktforscher halten die Vision von Salesforce für nachvollziehbar. Das Segment Customer Relationship Management (CRM) erlebe einen zweiten Frühling, sagt Kate Legget, Analystin bei IDC: Während die Software früher Marketing und Vertrieb effizienter gemacht habe, helfe sie heute dabei, Kunden rundum besser zu betreuen. „CRM expandiert in andere Kategorien.“
Salesforce könne mit Slack die vielen Produkte im Portfolio miteinander verknüpfen – und so die Nutzung über alle Programme hinweg steigern, sagt Legget. „Salesforce hat alle Einzelteile, die dafür nötig sind, muss aber noch herausfinden, wie diese zusammenpassen“, lautet ihr Fazit daher. Falls das nicht gelinge, habe der Konzern allerdings einen hohen Preis gezahlt.
Schon zuvor hat Taylor Projekte initiiert, um die Bedeutung von Salesforce für die Kundschaft auszubauen. So vermarktet der Konzern die Plattform „Customer 360“, auf der Unternehmen umfangreiche Daten über ihre Kunden sammeln und auswerten können. Und mit der Sustainability Cloud gibt es eine Plattform für die Analyse und Steuerung der CO2-Emissionen von Organisationen. Das hat höchstens mittelbar mit Kundenbeziehungen zu tun.
Aus Sicht der Analysten und Investoren sind diese Initiativen jedoch wichtig. Salesforce gibt das Ziel aus, den Umsatz jedes Jahr mindestens 20 Prozent zu steigern, 2026 will das Management die Marke von 50 Milliarden Dollar erreichen und damit wohl SAP übertreffen – das geht nicht als Spezialist in einem einzelnen Bereich, selbst wenn es sich dabei um den größten Softwaremarkt handelt.
Der Konzern durchlaufe gerade einen Wandel von einem vertikal integrierten CRM-Anbieter zu einer breiteren Plattform, analysierte Daniel Ives, Analyst bei Wedbush Securities, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg die Strategie. „Derzeit gibt es ein Wettrüsten im Cloud-Computing, und Salesforce muss sicherstellen, dass es in der Offensive bleibt.“
Mehr Technologieexperten fürs Management
Der Einfluss von Bret Taylor geht indes über die Strategie hinaus: Er will in dem Konzern mit rund 60.000 Mitarbeitern die Kultur verändern. Bei Salesforce spielt traditionell der Vertrieb eine große Rolle, der Technologe verschafft den Softwareentwicklern eine größere Bedeutung. So hat er ein Trainingsprogramm für Produktmanager aufgelegt, wie er es selbst einmal bei Google durchlaufen hat – was ihm nicht nur beruflich, sondern auch privat zum Glück verhalf: Dort lernte er seine Frau kennen.
„Meine Hoffnung ist, dass viele Produktmanager in der Führung von Salesforce landen“, sagt Taylor. Technologie werde immer komplexer und zugleich einflussreicher, daher brauche es im Management eine Mischung von Leuten mit unterschiedlichen Hintergründen.
Offen ist die Aufgabenteilung des neuen Duos. Gründer Benioff betonte, dass er Salesforce nie verlassen werde – „das ist meine Lebensaufgabe“, sagte er in einem Interview mit CNBC und bügelte damit die Frage ab, ob er nun seinen politischen und philanthropischen Ambitionen nachgehen werde. Taylor betont indes das gute Verhältnis mit seinem neuen Co-Chef: „Marc ist seit Jahren mein Mentor, mein größter Unterstützer und mein treuer Freund.“
Für den Softwareentwickler war es übrigens nicht die einzige Beförderung in dieser Woche. Beim Social-Media-Dienst Twitter – den Salesforce einst übernehmen wollte – ist Taylor seit Neuem auch Vorsitzender des Verwaltungsrats.
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