Kein anderes Thema ist derzeit für Angelika Gifford so wichtig wie die Bundestagswahl: Die Sicherheit der Abstimmung habe „allergrößte Priorität“, sagt die Europachefin von Facebook im Videogespräch mit dem Handelsblatt.
Um Missbrauch zu vermeiden, hat der Konzern ein Team mit 200 Experten aufgestellt, das das Netzwerk beobachtet, und arbeitet mit Behörden wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zusammen. Zudem ist eine stärkere Moderation in Gruppen geplant. Einflussversuche seien derzeit nicht zu beobachten, sagt Gifford. Dass Facebook Beiträge löschen müsse, sei Normalität.
Trotz aller Bemühungen könne man nicht garantieren, dass die Plattformen „zu 100 Prozent sicher [...] und frei von Hassrede“ sind. „Facebook, Instagram und WhatsApp sind ein Spiegelbild der Gesellschaft – da passieren auch nicht immer nur schöne Dinge“, betont Gifford.
Frau Gifford, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, wen würden die Facebook-Nutzer wählen?
Zu dem Erfolg einzelner Parteien auf unserer Plattform äußern wir uns nicht. Was ich Ihnen aber sagen kann: Ich verwende momentan die meiste Zeit auf das Thema Wahl. Und die Sicherheit der Wahl hat für uns allergrößte Priorität.
Ein bisschen Transparenz wäre aber schon gut. Beobachter haben oft festgestellt, dass sich vor allem polarisierende Meinungen auf Facebook verbreiten.
Für uns wichtig, dafür stehe ich auch: Wir wollen den politischen Diskurs auf der Plattform ermöglichen. Wir sind kein Schiedsrichter zwischen den Parteien, wie es uns oft unterstellt wird. Und wir sollten dies auch nicht sein.
Es geht um mehr als gewöhnliche Nutzerbeiträge. Ihre Plattform und Werbefunktionen sind gezielt zur Wahlmanipulation genutzt worden. Können Sie ausschließen, dass das wieder passiert?
Cambridge Analytica und die US-Wahl 2016 waren Weckrufe für uns. Wir durchsuchen die Plattform heute proaktiv in Echtzeit, um potenziellen Missbrauch zu erkennen und zu bekämpfen. Seit 2018 arbeiten rund 200 Experten für Gefährdungsanalyse, IT-Sicherheit, Strafverfolgung, nationale Sicherheit, investigativen Journalismus und Ingenieure dabei zusammen. Wir haben seither 200 Wahlen begleitet, zum Beispiel in Brasilien, Indien, der EU, den USA, und waren damit nicht auf den Titelseiten.
Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen?
Wir arbeiten noch viel stärker mit den Behörden zusammen, in Deutschland mit der Bundesregierung und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Dabei schauen wir sehr stark auf die Bedrohung der Wahl durch Desinformationen und auf allgemeine Sicherheitssysteme.
Können Sie denn Einflussversuche beobachten?
Im Moment sehen wir nichts, keine Anomalien. Aber es ist Normalität, dass wir Beiträge runternehmen müssen, dass wir Hassrede entfernen, dass wir verstärkt in Gruppen reinschauen, ob Gemeinschaftsstandards eingehalten werden.
Was in den Gruppen auf Facebook passiert, ist für Beobachter kaum zu kontrollieren. Können Sie garantieren, dass dort nicht gehetzt wird?
Das ist schwierig angesichts von Millionen Gruppen auf der Plattform. Aber wir tun sehr viel: Wir empfehlen in Deutschland keine politischen Gruppen mehr. Wir schulen Moderatoren und verlangen teilweise, dass Gruppenbeiträge erst von Administratoren genehmigt werden müssen. Verstößt eine Gruppe gegen die Gemeinschaftsstandards, schränken wir ihre Verbreitung ein und, wenn Regeln wiederholt missachtet werden, entfernen wir sie.
Und wie ist das auf dem Rest der Plattform?
Wir entfernen unzulässige Inhalte, wir bekämpfen Falschinformationen, dämmen ihre Verbreitung ein. Wir haben eine hohe Transparenz bei politischen Werbeanzeigen. Wir zeigen Kandidaten, wie sie sich gegen Missbrauch auf der Plattform schützen können. Aber wird unsere Plattform mit 3,4 Milliarden Nutzerinnen und Nutzern jemals zu 100 Prozent sicher sein und frei von Hassrede? Das kann ich nicht garantieren. Facebook, Instagram und WhatsApp sind ein Spiegelbild der Gesellschaft – da passieren auch nicht immer nur schöne Dinge.
Ist die Größe der Plattform wirklich das Problem? Oder geht es vielmehr um die Tatsache, dass Facebook davon profitiert, wenn die Leute emotionalisiert diskutieren?
Von der Verletzung unserer Gemeinschaftsstandards profitiert keiner: nicht die Nutzer, nicht die Werbetreibenden und am wenigsten wir.
Vor einem Jahr haben viele Unternehmen sogar für einige Tage und Wochen ihre Anzeigen bei Facebook ausgesetzt: Ihre Kunden wollten, dass Facebook sich um ein besseres Werbeumfeld kümmert.
Wir berichten regelmäßig, was wir gegen Hassrede tun. Und auf das, was wir während der Pandemie vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen getan haben, sind wir wirklich stolz.
Sie meinen, ohne Facebook wären die Unternehmen nicht durch den Lockdown gekommen?
In der EU nutzen 25 Millionen Unternehmen die Plattformen. Allein in Deutschland haben wir 150.000 Unternehmerinnen und Unternehmer erreicht, und unter anderem darin geschult, einen Facebook- oder Instagram-Shop aufzubauen. Bei aller Kritik an Facebook: Da haben wir viel geleistet.
Frau Gifford, vielen Dank für das Gespräch.
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