Chiphersteller Infineon eröffnet neues Werk – die Lieferengpässe aber bleiben

Reinraum in der neuen Chipfabrik von Infineon: Mitten im weltweiten Chipmangel eröffnet der Halbleiterkonzern Infineon sein neuestes Werk im österreichischen Villach
Villach Die Welt giert nach Halbleitern – und Infineon kann sie künftig verlässlicher als bisher liefern. An diesem Freitag hat Europas größter Halbleiterkonzern seine neue Fabrik für Leistungshalbleiter im österreichischen Villach offiziell eröffnet. „Das Timing könnte nicht besser sein, denn die Kunden reißen uns die Chips aus der Hand“, sagte Produktionsvorstand Jochen Hanebeck.
Richtig aufatmen können die Abnehmer aber nicht. Zwar musste Infineon in den vergangenen Monaten auch einige Typen von Leistungshalbleitern zuteilen, weil die Maschinen voll ausgelastet sind. Den Münchnern mangelt es aber nicht so sehr an Kapazitäten in den eigenen Fabriken. Vielmehr bekommen sie zu wenig Waren von den Auftragsfertigern, den sogenannten Foundries. Insbesondere Microcontroller sind knapp, das sind Minicomputer für ganz spezielle Aufgaben. „Diese Knappheit hält bis ins nächste Jahr an“, warnte Hanebeck.
Foundries produzieren die Chips für Anbieter wie Infineon, die sich in bestimmten Bereichen keine eigenen Werke leisten können oder wollen. Der Dax-Konzern ist darauf angewiesen, dass Foundries wie TSMC, Samsung oder Globalfoundries mehr investieren. Das haben diese zwar auch versprochen. Nur: Bis neue Maschinen installiert sind, vergehen noch Monate. Zusätzliche Werke sind frühestens in zwei bis drei Jahren fertig.
Infineon gewinnt eine gewaltige Wette
Gleichwohl, die neue Fabrik in Villach geht genau zum richtigen Zeitpunkt in Betrieb. Denn Chips sind begehrt wie nie – auch die Leistungshalbleiter. Der mit der Pandemie einhergehende Digitalisierungsschub sorgt für einen ungeahnten Nachfrageboom. Die Engpässe treffen vor allem die Autoindustrie, die wegen des Chipmangels weniger Fahrzeuge bauen kann als geplant.
Angesichts randvoller Auftragsbücher geht die wohl größte Wette von Infineon seit zwei Jahrzehnten auf, denn nichts anderes ist der Neubau. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, als Vorstandschef Reinhard Ploss vor drei Jahren den Grundstein gelegt hat. Zu jenem Zeitpunkt waren viele Analysten skeptisch, weil sie einen Abschwung in der zyklischen Branche befürchteten.
Nun zahlt sich der unternehmerische Mut des Konzernherrn aus. „Die Wettbewerber zögern zu investieren. Das eröffnet uns neue Chancen“, sagte Ploss damals dem Handelsblatt. Er sollte recht behalten. Erst jetzt ziehen Konkurrenten wie ST Microelectronics mit eigenen Bauvorhaben nach.
1,6 Milliarden Euro steckt der Dax-Konzern in die Fabrik, die an einem bereits bestehenden Infineon-Standort entstanden ist. Damit will das Unternehmen im Endausbau in drei, vier Jahren zwei Milliarden Euro zusätzlichen Umsatz pro Jahr erzielen – rund 200 Millionen Euro mehr, als Ploss 2018 in Aussicht gestellt hatte. Die zwei Milliarden entsprechen rund 18 Prozent der für das laufende Geschäftsjahr prognostizierten Erlöse.
Ploss braucht das neue Werk, wenn er seine Versprechen an die Investoren einhalten und den steigenden Bedarf der Kunden decken möchte. Langfristig soll Infineon im Schnitt gut neun Prozent Umsatzplus pro Jahr erzielen, deutlich mehr, als Experten für die gesamte Branche erwarten.
Das geht nur, wenn er massiv Kapazitäten aufbaut. Zum Vergleich: Die in Villach mögliche jährliche Produktionsmenge an Leistungshalbleitern reicht aus zur Ausstattung von Solaranlagen, die den dreifachen jährlichen Stromverbrauch von Deutschland produzieren können.
Zudem muss Ploss die Maschinen wirtschaftlicher als bisher betreiben. Denn die operative Marge soll künftig 19 Prozent erreichen. Ein Wert, den der Konzern in den vergangenen fünf Jahren nicht annähernd erzielt hat und den er wohl auch im guten laufenden Geschäftsjahr nicht schaffen wird. Der jüngsten Prognose zufolge sollen es 18 Prozent werden.
Neue Chipwerke in Europa sind rar
Infineon wagt sich mit dem neuen Werk zurück nach Europa. Das ist bemerkenswert, zuletzt hatte der Konzern seine neuen Werke in Malaysia errichtet. Ein Investment in Europa ist in der Chipbranche nach wie vor außergewöhnlich. Lediglich Bosch hat zuletzt ebenfalls in größerem Stil in Dresden neu gebaut. Die Schwaben investierten in Sachsen eine Milliarde.
Infineon hatte Jahre vor der Konkurrenz damit begonnen, seine Leistungshalbleiter auf 300 Millimeter großen Scheiben zu produzieren. Standard sind 200 Millimeter. Das hat den Konzern Milliarden gekostet, nun zahlt sich das aus. „Wir haben Größenvorteile, und die sind das A und O in der Halbleiterindustrie“, sagte Produktionsvorstand Hanebeck im Handelsblatt-Interview.
Mit Leistungshalbleitern erzielte Infineon im vergangenen Geschäftsjahr 55 Prozent vom Umsatz. Knapp zehn Prozent vom gesamten Chipmarkt entfallen auf diese Bauelemente, im Jahr 2020 waren es 46 Milliarden Dollar. Leistungshalbleiter werden für viele Kunden immer wichtiger, denn sie wandeln die bereitgestellte elektrische Energie in die vom Verbraucher benötigte Form um.
Sie werden in Netzteile eingebaut, in Server, Notebooks, medizinische Geräte oder auch in Elektrofahrzeuge. So werden sie zum Beispiel für Frequenzumrichter benutzt, also für elektronische Geräte, mit denen sich die Drehzahl von Elektromotoren elektronisch verändern lässt. Oder für Umrichter in Solarstromanlagen. Diese wandeln den Gleichstrom der Photovoltaik-Module in den netzüblichen Wechselstrom um und speisen diesen in das öffentliche Netz ein.
Der Aktienkurs von Infineon notiert auf höchsten Stand seit Jahrzehnten
Analysten sehen Infineon derzeit ausgesprochen positiv. Der Halbleiterkonzern sei gut positioniert, um von der Nachfrage aus China zu profitieren, so Berenberg-Analystin Tammy Qiu. Sie rechnet mit einem Kursanstieg binnen Jahresfrist von gut einem Fünftel.
Ein breit angelegter Nachfrageschub durch Verbraucher und Industrie sorge in der Halbleiterbranche für Engpässe und treibe damit eine Preisspirale an, meint NordLB-Analyst Alexander Zienkowicz. Seit Jahresbeginn ist der Aktienkurs um knapp ein Fünftel auf derzeit annähernd 38 Euro gestiegen – auf den höchsten Stand seit 20 Jahren. Mit einem Kursplus von gut einem Prozent gehörte Infineon am Freitag zu den größten Gewinnern im Dax.
Die Aktionäre brauchen sich auf absehbare Zeit keine Sorgen machen: Ein Abschwung ist nicht in Sicht. Seit zwei Jahrzehnten sei es nicht mehr so gut gelaufen wie in diesen Tagen, so Vorstandschef Ploss.
Mehr: Chipmangel: Infineon fordert langfristige Abnahmegarantien von der Autoindustrie
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